Zum Hauptinhalt springen

Eine erfrorene Beziehung

Von WZ-Korrespondent Frank Nordhausen

Politik

Das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei gilt schon seit längerem als tief zerrüttet. Nun sorgt die Verhängung der Untersuchungshaft über den deutsch-türkischen "Welt"-Journalisten Deniz Yücel für einen neuen Tiefpunkt.


Istanbul. Der Fall Deniz Yücel wird zur Staatsaffäre. Nachdem ein Haftrichter in Istanbul am Montag Untersuchungshaft für den Auslandskorrespondenten der deutschen Tageszeitung "Die Welt" anordnete, entwickelt sich die Angelegenheit zur Belastungsprobe für die ohnehin angespannten deutsch-türkischen Beziehungen. Mehrere deutsche Politiker warnten die Türkei davor, das bilaterale Verhältnis weiter zu strapazieren. Der SPD-Außenpolitiker Niels Annen sagte im ZDF: "Die türkische Führung muss wissen: Das ist nicht irgendein Fall, sondern wir werden uns mit allen Möglichkeiten, die uns rechtlich, aber auch politisch zur Verfügung stehen, dafür einsetzen, dass Herr Yücel schnellstmöglich auf freien Fuß gesetzt wird." Der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck verurteilte die Inhaftierung. "Uns fehlt das Verständnis", so Gauck. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Außenminister Sigmar Gabriel reagierten mit scharfen Worten auf das Urteil.

Angehörige, Journalistenkollegen, der deutsche Generalkonsul in der Türkei, Georg Birgelen, und Vertreter der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP) hatten am Montag bis spät in die Nacht im Justizpalast von Istanbul-Caglayan auf die Entscheidung der Justiz gewartet. Gegen 23 Uhr nahm ihnen der Haftrichter Mustafa Cakar alle Hoffnungen auf eine Freilassung, als er dem Antrag der Staatsanwaltschaft entsprach und Yücel nach zwei Wochen Polizeigewahrsam direkt in Untersuchungshaft schickte. Derselbe Haftrichter hatte im Oktober schon zehn Journalisten der regierungskritischen Zeitung "Cumhuriyet" verhaften lassen.

Yücel wird wegen Datenmissbrauchs, Propaganda für eine terroristische Vereinigung und Aufwiegelung angeklagt - als Belege dienen Artikel, die er im Zeitraum Juni bis September 2015 publizierte. Ein Staatsanwalt hatte den 43-jährigen Korrespondenten am Montag vier Stunden lang vernommen. Bei diesem Verhör ging es unter anderem um ein Interview, das er mit dem Militärchef der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, Cemil Bayik, geführt hatte, und um Berichte über Gefechte in der kurdischen Stadt Cizre, die Yücel "nicht wahrheitsgemäß" dargestellt habe. Außerdem werden ihm zwei Artikel über geleakte E-Mails vorgeworfen, die von Berat Albayrak, Energieminister und Schwiegersohn des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, stammen sollen. Die linksextreme türkische Hackergruppe RedHack hatte die Leaks im Internet veröffentlicht. Darin ging es unter anderem um türkische Ölgeschäfte mit den Kurden im Nordirak.

Unter Dauerbeschuss

Yücel ist der erste deutsche Korrespondent, der seit Regierungsübernahme der islamisch-konservativen AKP Erdogans im Jahr 2002 in Untersuchungshaft kommt und einer der wenigen ausländischen Journalisten, die überhaupt verhaftet wurden. Er wird von der Türkei allerdings nicht als Ausländer behandelt, da er neben der deutschen auch die türkische Staatsbürgerschaft besitzt. Die Untersuchungshaft kann in der Türkei fünf Jahre dauern; sie wird häufig als vorgezogene Strafe benutzt, wie Menschenrechtsorganisationen kritisieren.

Der Fall Yücel ist allerdings alles andere als eine Ausnahme. Die Angaben über die Zahl der Journalisten in türkischen Gefängnissen variieren zwar zwischen 80 und mehr als 150; es sind auf jeden Fall mehr als in irgendeinem anderen Land der Welt. Heute liegt die Türkei auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen auf Platz 151 - wobei die Liste noch aus der Zeit vor dem Ausnahmezustand seit dem gescheiterten Putschversuch im Juli stammt. Seither wurden 149 Medieninstitutionen geschlossen und dutzende Journalisten verhaftet. Mehr als 600 Journalisten wurde die Akkreditierung entzogen, über 3000 verloren ihre Arbeit.

"Ich halte die Verhaftung Deniz Yücels für politisch motiviert", sagte Erol Önderoglu, Sprecher der Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen in der Türkei, gegenüber der "Wiener Zeitung". "Falls es nicht eine Antwort auf die Razzien gegen türkische Imame in Deutschland ist, ist es eine Leugnung der fundamentalen Prinzipien der Pressefreiheit, wonach Journalisten über alle Dinge berichten können, die im öffentlichen Interesse liegen, auch wenn es die Regierung beunruhigt." Seit den Gezi-Unruhen 2013 seien internationale Medien in der Türkei nicht mehr willkommen, sagt der gelernte Journalist. "Die Regierung sendet mit der Verhaftung zwei klare Botschaften: Zum einen versucht sie, eine regierungsfreundliche Berichterstattung in den internationalen Medien zu erzeugen. Zum anderen ist es eine Warnung an die wenigen Medien in der Türkei, die noch kritisch berichten: Hört damit auf, oder ihr landet auch im Gefängnis." Der Druck auf ausländische Journalisten nimmt unterdessen stetig zu. Vor allem kritische Berichte über die Kurdenpolitik der Regierung werden als "Unterstützung der Terrorpropaganda" betrachtet. Seit vergangenem Jahr enthält die Regierung einigen kritischen ausländischen Journalisten zudem die notwendige Presseakkreditierung vor, die Voraussetzung für eine Aufenthaltsgenehmigung ist.

Über Yücels Verhaftung wird in der Regierungspresse nicht prominent berichtet, aber die Schlagzeilen sprechen für sich. "Kein Journalist, sondern ein Agent provocateur", schreibt "Star". "Milat" titelt: "Für Terrorismus inhaftiert". Und die Erdogan-treue "Yeni Safak" kommentiert die Aufmerksamkeit der oppositionellen CHP-Abgeordneten für den Korrespondenten mit der Schlagzeile: "CHP-Mitglieder unterstützen PKK-Mitglied". Der Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu glaubt, dass Yücel ein "Pfand der türkischen Regierung" sei: "Mein Gefühl ist, dass sie ihn für einen Deal mit der Bundesregierung brauchen." Mutlu will sich nicht näher äußern. Doch es könnte sein, dass Ankara die Verhaftung Yücels benutzt, um den umstrittenen Wahlkampfauftritt Erdogans in Deutschland zu ermöglichen. Im Gegenzug könnte sie dem Journalisten die türkische Staatsangehörigkeit entziehen und ihn nach Deutschland abschieben.