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"Zerstörerische Wirkung" Österreichs

Von Michael Schmölzer

Politik

Amnesty International kritisiert die heimische Flüchtlingspolitik als "europäisches Negativbeispiel".


Brüssel/Wien. Auffanglager für Flüchtlinge vor den Toren der EU - ja oder nein? In Europa wird gestritten, ob man abgewiesene Asylwerber nach Vorbild Australiens etwa in nordafrikanische Lager stecken sollte. Der deutsche Innenminister Thomas de Maiziere kann sich solche Lager in Tunesien vorstellen, Außenminister Sigmar Gabriel hingegen warnt: Berichte aus Libyen hätten Deutschland erreicht, wonach dort "KZ-ähnliche Zustände für Flüchtlinge" herrschten. Auffanglager in Nordafrika sind auch für Kanzlerin Angela Merkel (noch) kein Thema.

Die EU-Kommission sieht die Schaffung von Auffanglagern außerhalb Europas nicht auf der Tagesordnung. "Wir haben nicht damit begonnen, Haftzentren außerhalb Europas zu diskutieren", stellte Innenkommissar Dimitris Avramopoulos klar. Die deutsche Kanzlerin hat jedenfalls mit Ägyptens Staatschef Abdel Fattah al Sisi über die Flüchtlingsproblematik gesprochen. Es ging dabei "nur" um die Rückführung von abgewiesenen Asylwerbern aus Deutschland, die Bekämpfung des Schlepperunwesens und die Situation in Libyen - dem Haupt-Transitland zahlloser Flüchtlingstrecks aus Schwarzafrika.

"Europa lagert seine Verantwortung einfach aus"

Für Gauri van Gulik, Flüchtlingsexpertin und stellvertretende Europadirektorin bei Amnesty International, geht Merkels Mission in Nordafrika ebenso wie die gesamte EU-Debatte in die falsche Richtung. "Man handelt nach dem Motto: Alles ist gut, solange wir uns nicht darum kümmern müssen." Europa würde seine Verantwortung einfach auslagern, das sei am EU-Türkei-Deal zu beobachten, habe aber eine viel längere Tradition. Schon mit Muammar Gaddafi seien Flüchtlingsabkommen geschlossen worden, doch diese wie auch alle anderen seien gescheitert. Denn: Es sei unmöglich, mit Ländern wie Libyen Abkommen zu schließen und dabei grundlegende Menschenrechte zu berücksichtigen, betont sie im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".

"Wir haben mit zahlreichen Menschen gesprochen, die über Libyen nach Italien gekommen sind. Die Erzählungen gleichen einander, sie sind fürchterlich. Menschen werden entführt, gefoltert, oft kommt es zu sexueller Gewalt", berichtet van Gulik. Die Flüchtlinge, die von der libyschen Küstenwache aufgegriffen würden, kämen in staatliche Lager, wo man sie systematisch foltere. "Ich glaube, Kanzlerin Merkel hat begriffen, dass ein Türkei-Abkommen mit Libyen nicht machbar ist", meint sie. Wobei es in Deutschland "weit weniger Enthusiasmus als in Österreich gibt, mit Libyen zusammenzuarbeiten".

Die Amnesty-Kritik an Österreich fällt entsprechend deutlich aus: Es habe hier eine "dramatische Veränderung" ausgehend von einer ursprünglich herzlichen Aufnahme von Flüchtlingen gegeben. Van Gulik führt die von der rot-schwarzen Koalition beschlossene Obergrenze für Flüchtlinge an, die Notfallverordnung und die Diskussion um Reduktion von Sozialleistungen an. "Das erodiert das grundlegende Konzept des Rechts auf Asyl. Österreich wird ein Akteur in der EU, der im Hinblick auf eine europäische Lösung zerstörerische Wirkung entfaltet."

Kritik an Schließungder Balkan-Route

Österreich würde Initiativen setzen, die den Versuchen einer gemeinsamen Lösung zuwiderliefen, so der Amnesty-Standpunkt. Als Beispiel nennt van Gulik das australische Modell, das von Außenminister Sebastian Kurz ins Spiel gebracht wurde. Eine Idee, die "völlig grotesk" sei. Sie frage sich, wo in Europa Nauru liegen würde - dort sind in Australien abgewiesene Flüchtlinge gleichsam interniert. "Österreich gibt ein Negativbeispiel für ander EU-Länder ab", kritisiert sie.

Die Schließung der Balkan-Route war für Amnesty jedenfalls keine Meisterleistung. "Das Abkommen hat vor allem die Situation in Griechenland verschlechtert", sagt van Gulik. Vor allem die Lager auf dem Festland seien jetzt berstend voll. "Die Migration hat nicht aufgehört, vielmehr stecken die Menschen jetzt fest." Dass die Route effektiv geschlossen sei, sei "eine Illusion". Denn die Grenze werde weiter gequert, "die Menschen kommen jetzt über Bulgarien, was extrem gefährlich ist". Die Preise, die Menschenhändler verlangten, gingen hinauf. "Die Wahrheit ist, dass wir durch derartige Maßnahmen das Geschäft der Schlepper stimulieren", so van Gulik. "Umso schwieriger die Grenzquerung wird, desto höher die Preise", laute das Einmaleins des Menschenschmuggels. "Und es hat vonseiten Österreichs keine Bemühungen gegeben, mit diesen Konsequenzen fertig zu werden. Das erscheint mir unverantwortlich." Für van Gulik ist wie für viele andere Experten klar, dass diesen Sommer die Zahl der Flüchtlinge wieder ansteigen wird. Klar sei auch, dass die EU keine Fortschritte in der Bewältigung der Krise erreicht habe.

Für Amnesty besteht der einzige gangbare Weg im "Resettlement". Die Menschen würden nach einer Prüfung direkt nach Europa gebracht, Menschenhändler würden dann keine Rolle mehr spielen. "In einer globalen Flüchtlingskrise muss man akzeptieren, dass Menschen kontrolliert nach Europa gebracht werden", sagt van Gulik, es könne sich dabei nicht "um Millionen" handeln. Wer nicht als Flüchtling qualifiziere, müsse auf sicherem Weg zurückgeschickt werden.