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Theater mit Edi

Von Siobhán Geets aus Tirana

Politik
"Wir werden keine Deutschen werden, aber vielleicht ein bisschen italienisch": Rama kämpft gegen Korruption.
© Jan van Benthem

Albaniens Regierung kämpft mit einer umfassenden Justizreform - und mit der Opposition, die sie mit ihrem Boykott verzögern könnte.


Tirana. Edi Rama, Premier Albaniens, war einst Basketball-Profi, dann Maler, später Bürgermeister der Hauptstadt Tirana. Der Sozialdemokrat ist der Charismatiker unter den Regierungschefs am Westbalkan. Europäische Journalisten, die auf Einladung der EU-Kommission nach Albanien gekommen waren, empfing er vergangene Woche im "Maps Room" des Regierungssitzes, einem sieben Meter hohen Raum mit riesigen, antiken Karten und Zeichnungen an den Wänden. 15 Journalisten aus ebenso vielen Ländern saßen im Halbkreis um einen Tisch und warteten, ihre Gesichter vollständig ausgeleuchtet von zwei großen Fotolampen, auf Ramas Auftritt. Am Empfang "aus Sicherheitsgründen" ihrer Handys beraubt, blieb ihnen nichts, als verstohlen in die Runde zu blicken.

Als Rama dann endlich kommt, beginnt unten, aus dem Protestzelt der Opposition, laut Musik zu dröhnen. Wäre es gewollt gewesen, man hätte es nicht besser planen können. "Here we are now - entertain us", schallt der Nirvana-Hit, während der Premier Platz nimmt.

Geopolitische Interessen

Rama, große Gestalt, Stoppelbart und kurzrasierte Haare, erscheint im dunkelblauen Anzug, die obersten zwei Hemdknöpfe offen, dazu trägt der begeisterte Sammler von Turnschuhen schwarze Lack-Sneaker und lila Socken. "Ich wusste nicht, dass ihr so viele seid", sagt er, die Journalisten musternd, "was wollt ihr?" Man habe viele Fragen, antwortet eine Journalistin artig, es gehe ihr vor allem um Kriminalität. "Wir haben die niedrigste Rate seit 25 Jahren", schießt es aus Rama hervor. Dann spricht er von der Vergangenheit dieser jungen Demokratie, vom brutalen kommunistischen Regime Enver Hoxhas, das bis zum bitteren Ende stalinistisch war. Rama weiß seine gute Bildung zu nutzen: Auf unliebsame Fragen antwortet er ausweichend, schweift in die Vergangenheit ab, wird historisch, nahezu philosophisch.

Wann er denke, dass sein Land bereit sei für einen EU-Beitritt, fragt einer. Rama weiß es nicht. Was er aber sagen könne, ist, dass es keine Alternative zur EU-Mitgliedschaft gebe - "trotz aller Probleme". Die Red Hot Chili Peppers singen von der "Otherside".

Albanien ist zwar EU-Beitrittskandidat, doch die Verhandlungen wurden noch nicht eröffnet. In Zeiten des Brexit und der Idee vom "Kerneuropa" fragt sich ohnehin, ob die Westbalkanländer je beitreten werden. Die EU-Erweiterungsgespräche dienen seit langem nicht der Sache selbst, es geht vielmehr um geopolitische Interessen, um die Stabilisierung der Region. Wenige glauben ernsthaft an eine Erweiterung in den kommenden zehn Jahren - deshalb will auch niemand Prognosen dazu abgeben, wann es so weit sein könnte. Dennoch profitieren beide Seiten von der Annäherung: Die Kandidaten sind froh um jährliche Förderungen in Millionenhöhe und mitunter auch über die Unterstützung beim Aufbau demokratischer Strukturen. Und die EU hat im schlimmsten Fall "ihren Schurken" in einer wichtigen Region, im besten Fall einen verlässlichen Partner, dem in der Flüchtlingskrise Vertrauen geschenkt werden kann: Hauptsache, die Grenzen Richtung EU bleiben verschlossen.

Während die White Stripes vom Kampf gegen eine Armee aus sieben Ländern singen, spricht Rama vom "täglichen Kampf gegen uns selbst". Anstatt "zu kämpfen", so der Premier, "hauen viele junge Menschen ab". Das sei ein Hindernis auf dem Weg zu einer modernen Gesellschaft. Tatsächlich stand Albanien noch 2015 in Deutschland auf den Listen der Herkunftsländer an zweiter Stelle: 55.000 Albaner suchten um Asyl an. Dass es in Österreich deutlich weniger waren, liegt wohl daran, dass Albanien hier bereits 2010 zum sicheren Herkunftsstaat erklärt wurde. Die Anerkennungsquoten sind gering, dennoch treibt die Armut viele Albaner in die Flucht.

Baustelle Justizreform

Während der Cranberries-Song "Zombie" durch die dicken Mauern in den Saal dringt, spricht Rama von der größten Baustelle in seinem Land: der Justizreform. Rund 800 Richter und Staatsanwälte sollen auf Korruption und private Verbindungen in die Politik überprüft und, wenn nötig, aus dem Apparat entfernt werden. Bei dieser grundlegenden Umwälzung des Systems wundert es nicht, dass die Reform vielen, die von der Korruption profitiert haben, ein Dorn im Auge ist. Die EU-Botschafterin in Tirana wird bedroht, sie steht unter Polizeischutz. Romana Vlahudin sitzt, wie auch der US-Botschafter, in der Überprüfungskommission für die Reform.

Die Justizreform ist eine der Voraussetzungen dafür, dass die Gespräche mit der EU beginnen können. Doch nun könnte sich alles verzögern. Seit Ende Februar blockiert die größte Oppositionspartei nicht nur eine wichtige Hauptstraße in Tirana. Ihre Abgeordneten boykottieren auch die Parlamentssitzungen. Die rechtskonservative Opposition glaubt nicht daran, dass die Wahlen am 18. Juni frei sein werden. Sie will den sofortigen Rücktritt Ramas. In den Augen des Premiers wollen die "Demokraten" mit ihrem Boykott korrupte Beamte im Justizapparat schützen.

Doch Korruption betrifft nicht nur die Justiz, sie zieht sich durch alle Behörden. Unternehmer kommen ohne Schmiergeldzahlungen nicht weit, auch die Polizei gilt als bestechlich. "Heute werden Leute, die Polizisten bestechen wollen, verhaftet", versucht Rama die Fortschritte im Kampf gegen Korruption zu verdeutlichen. "Wir werden keine Deutschen werden, aber vielleicht ein bisschen italienisch."

"Kolumbien Europas"

Vorwürfe der Korruption machen auch vor der Regierung nicht halt. Die Opposition wirft Rama vor, bei der Kultivierung von Cannabis im Land beide Augen zuzudrücken, um die vielen Profiteure vor den Wahlen im Juni nicht zu vergraulen. Zwar ist der Anbau von Marihuana illegal, doch hindert das viele Bauern in abgelegenen Regionen nicht daran, das Zeug in großem Stil zu kultivieren. In die Schlagzeilen schaffte es das südalbanische Dorf Lazarat, dessen Bauern jährlich rund 900 Tonnen Marihuana mit einem Marktwert von geschätzten viereinhalb Milliarden Euro ernteten. Fremde und Polizisten wurden verjagt, Politiker und Justiz angeblich mit Bestechungsgeldern zum Schweigen gebracht. Mittlerweile scheinen die Sicherheitskräfte die Kontrolle über Lazarat zwar weitgehend zurückerlangt zu haben. Doch Albanien ist nach wie vor der größte Marihuanaproduzent Europas.

Bei all den Problemen mit dem Cannabisanbau: Wäre es da nicht klüger, den Gebrauch zu entkriminalisieren? Immerhin könnte das Land von den Einnahmen profitieren. "Nein", sagt Rama, im Hintergrund läuft "Born To Be Wild". "Erst müssen wir das Problem unter Kontrolle bringen. Das wird in den kommenden zwei Jahren geschehen. Danach können wir über Entkriminalisierung sprechen."

Rama scheint jetzt keine Lust mehr zu haben. Er steht auf, will sich verabschieden. Doch ein Kollege aus den Niederlanden besteht darauf, ein Foto mit allen zu machen. Artig versammeln sich die Journalisten um Rama. Der Premier scherzt, klopft einigen von ihnen beherzt auf die Schultern. Dann verschwindet er hinter der versteckten Tür in der roten Wand. Edi Rama weiß sich zu inszenieren.