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Nexit-Karte sticht nicht

Von Alexander Dworzak

Politik

Der im Wahlkampf von Geert Wilders propagierte EU-Austritt der Niederlande läuft ins Leere: Kein EU-Land steht der Unions-Mitgliedschaft so positiv gegenüber wie Bürger der Niederlande - Schlusslicht Österreich.


Den Haag/Wien. Die vielgerühmte Toleranz in den Niederlanden sei kein Produkt der Aufklärung, sondern den Erfordernissen der historischen Handelsstädte geschuldet. Das schrieb der niederländische Autor Geert Mak in seinem Buch "Der Mord an Theo van Gogh" im Jahr 2004, der die multikulturelle Erzählung des Landes in seinen Grundfesten erschüttert hatte. Jener spezifisch niederländische Pragmatismus spiegelt sich auch im Verhältnis zur Europäischen Union wider: Die Nettosumme aus EU-Mitgliedsbefürwortern und -gegnern ergibt ein sattes Plus von mehr als 60 Prozent für jene, die in der Union bleiben wollen. Auf einen dermaßen hohen Wert kommt kein anderes EU-Land; Österreich schafft lediglich ein Nettoplus für den EU-Verbleib von rund fünf Prozent, wie eine Eurobarometer-Umfrage vom November 2016 ergab.

"Unglückliche Ehe"

Insofern läuft der von Geert Wilders propagierte Nexit, der Austritt der Niederlande aus der EU, völlig ins Leere. Jedoch: "Mit der EU verhält es sich für die Niederländer wie mit einer unglücklichen Ehe, in der man weiß, dass man nicht gehen kann", sagt Paul Dekker. Der Professor für Soziologie an der Universität Tilburg war vor kurzem auf Einladung des Forum Journalismus und Medien (fjum) in Wien zu Gast.

Die auf Handel und Export ausgerichtete niederländische Wirtschaft hat an einem Nexit überhaupt kein Interesse. Welche Folgen ein solcher mit sich bringt, zeigte sich unmittelbar nach dem Brexit-Votum im vergangenen Juni. Am Tag nach der Abstimmung brach der Amsterdamer Aktienindex um knapp zehn Prozent ein. Die traditionelle Atlantik-Affinität und die engen Bindungen nach Großbritannien werden noch für Kopfzerbrechen sorgen: Um 1,2 bis 2 Prozent könnte das niederländische Bruttoinlandsprodukt in den kommenden zehn Jahren sinken, analysiert das Wirtschaftsforschungsinstitut CPB; für die anderen EU-Staaten werden lediglich Werte zwischen 0,8 und 1,5 Prozent ausgewiesen.

Diesen Zahlen hält Wilders seine Erzählung von der wiedergewonnenen Souveränität gegenüber "der EU" im Falle des Nexit entgegen. Er stellt bilaterale statt multinationaler Verträge in Aussicht - wie Donald Trump in den USA. Und Wilders verspricht mit einer Abkoppelung von der EU auch die Rückkehr vermeintlich niederländischer Werte.

Nicht auf dem richtigen Weg

Dabei hilft ihm, dass nur ein Viertel der Bürger denkt, das Land befinde sich auf dem richtigen Weg. Die Kritiker bemängeln, dass sowohl Flüchtlinge als auch das krisengebeutelte Griechenland unterstützt würden, während auf die Alten und Armen in den Niederlanden vergessen würde. Wilders verspricht nicht weniger als die Schließung der Grenzen. Premier Rutte entgegnet, dass ein kleiner Staat wie die Niederlande dieses Thema nicht allein lösen könne.

Laut sind die Rufe, wonach die Niederlande nicht mehr die Niederlande seien, von der Rolle des Islam bis hin zu Weinachtswünschen, die man nicht mehr ausschicken dürfe. Rutte positioniert sich hier möglichst nahe an Konkurrent Wilders. "Verhaltet Euch normal oder verlasst das Land", richtete der Premier Migranten in einem offenen Brief aus.

Die Polarisierung hat aber auch für eine Gegenbewegung gesorgt. Viele Bürger sehen die Verrohung der Sprache mit Sorge, davon zeugt nicht zuletzt der Aufstieg von GroenLinks (Grüne), angeführt vom 30-jährigen Jesse Klaver, dessen Vater aus Marokko stammt. Auch die Linke bemüht also die vermeintliche Tradition niederländischer Toleranz - bloß inhaltlich spiegelverkehrt.