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Eine Rückschau reicht nicht aus

Von Martyna Czarnowska

© Irma Tulek

Beim Festgipfel in Rom müssen sich die EU-Staats- und Regierungschefs Gedanken über die Zukunft der Union machen.


Rom/Brüssel/Wien. Aller Wege führen am Wochenende nach Rom. Zumindest gilt das für die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union. Am Samstag versammeln sich die 27 Spitzenpolitiker - ohne ihre britische Amtskollegin - zu einer Festsitzung im Konservatorenpalast auf dem Kapitolsplatz. Vor 60 Jahren, am 25. März, wurden dort die Römischen Verträge unterschrieben, die Basis für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. Sechs Länder waren es damals, die eine bessere Abstimmung nicht nur auf wirtschaftlichem Gebiet vereinbarten, sondern sich auch ein engeres Zusammenrücken bei der Verteidigung oder der Fixierung von Sozialstandards wünschten: Gastgeber Italien, Deutschland und Frankreich sowie die drei Benelux-Länder Belgien, die Niederlande und Luxemburg.

Und schon unter den sechs Gründerstaaten der späteren EU gab es ein Tauziehen darum, wie weit die Integration voranschreiten sollte. Der Vorstellung des Aufbaus einer gemeinsamen Armee etwa konnte Paris nicht viel abgewinnen.

Das ist nur ein Beispiel für die Debatten, die teilweise bis heute geführt werden. Eine europäische Verteidigungs- oder Außenpolitik, Asyl- und Migrationsfragen, die Vertiefung der Wirtschaftsunion - all das sorgt immer wieder für Zwistigkeiten. Einen gemeinsamen Nenner zu finden, ist mit mittlerweile 28 Mitgliedern umso schwieriger. Denn jeder Staat versucht auch seine eigenen Interessen zu vertreten. Da ist Großbritannien keine Ausnahme, auch wenn es sowieso aus der Gemeinschaft austreten möchte.

Szenarien für die EU

Wenn also die 27 Staats- und Regierungschefs auf dem Kapitolshügel zusammenkommen, gäbe es genug Diskussionsstoff. Dennoch werden sie in erster Linie auf die bisherigen Errungenschaften der Gemeinschaft verweisen und deren Zusammenhalt beschwören. Als "kühnes, weitsichtiges Unterfangen" wird die europäische Einigung in dem Entwurf für die Schlusserklärung der Gipfelteilnehmer bezeichnet, als eine Entscheidung, "uns zu verbünden und unseren Kontinent aus der Asche wieder aufzubauen".

Das Treffen soll aber nicht nur einer feierlichen Rückschau dienen. Die EU, mit einer Vielzahl von Problemen und damit gleich einer Poly-Krise ringend, muss sich auch Gedanken über ihre weitere Entwicklung machen. "Es ist kein Geheimnis, dass dieser historische Moment eine tiefere und grundlegende Betrachtung der Herausforderungen erfordert, denen die Union kurz- und mittelfristig ausgesetzt ist", schreibt EU-Ratspräsident Donald Tusk in seinem Einladungsbrief an die Staats- und Regierungschefs. Neben Aspekten der inneren und äußeren Sicherheit erwähnt er die Themen Beschäftigung sowie die soziale Dimension.

Wie die Gemeinschaft bei der Bewältigung dieser Schwierigkeiten vorgehen könnte, hat bereits die EU-Kommission skizziert. Deren Präsident Jean-Claude Juncker stellte vor wenigen Wochen fünf Szenarien für die EU vor. Die darin enthaltenen Ideen reichen von einem "Weiter wie bisher" über "Weniger, aber effizienter" bis hin zu einer verstärkten Zusammenarbeit in bestimmten Bereichen. Außerdem gibt es noch die zwei Gegenpole: eine Reduzierung der Kooperation auf den Binnenmarkt und umgekehrt eine Vertiefung der Gemeinschaft, unter dem Schlagwort "Viel mehr gemeinsames Handeln". Das aber würde das Teilen von nationalen Kompetenzen mit den anderen Mitgliedern voraussetzen.

Diese Option scheint derzeit freilich wenig realistisch. Zu unterschiedlich sind die Auffassungen der Länder in etlichen Bereichen. Doch ob ein "Weiter wie bisher" wünschenswert ist, bleibt ebenso offen - selbst wenn es nicht unwahrscheinlich ist.

Eine Gruppe schreitet voran

Wenig Neues birgt auch das Szenario, das betitelt ist mit: "Wer mehr will, tut mehr". Denn dass eine Gruppe von Mitgliedstaaten bei einem bestimmten Projekt voranschreitet, ohne auf die anderen warten zu müssen, ist schon jetzt möglich. Das nutzen derzeit einige Länder etwa für ihre Pläne zur Besteuerung von Finanztransaktionen. Da sich nicht alle Staaten auf deren Einführung einigen konnten, bemüht sich nun ein knappes Dutzend von ihnen - darunter Österreich - darum. Ebenso gehören nicht alle Mitglieder der Euro-Zone oder dem Schengen-Raum an, in dem Reisen ohne Passkontrollen möglich ist. Als weitere mögliche Beispiele der verstärkten Zusammenarbeit

nennt die EU-Kommission die Entwicklung und Nutzung von Drohnen für das Militär durch mehrere Länder oder die Schaffung eines gemeinsamen Polizeikorps zur Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität.

Eine weitere Variante ist das Konzept von "Weniger, aber effizienter". Dabei würde sich die Gemeinschaft auf einige Bereiche konzentrieren, in denen sie rasch Ergebnisse erzielen kann und sich aus anderen Gebieten zurückziehen. Denkbar wären etwa die Schaffung einer europäischen Behörde zur Terrorbekämpfung oder eine Anpassung der sehr unterschiedlichen Sozial- und Steuersysteme.

Jugendliche für Reformen

Von einem Europa mehrerer Geschwindigkeiten, wie es die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel - zum Unmut mancher, vor allem osteuropäischer Staaten - mehrmals angesprochen hat, will Juncker hingegen lieber nicht reden. Auch sollen keine exklusiven Klubs entstehen, befand er vor kurzem bei der Vorstellung seines Dokuments im EU-Parlament in Brüssel. Besser gefalle ihm da das Bild einer "Avantgarde", die andere nicht ausschließen, sondern diesen den Weg bereiten solle.

Ähnlich soll dies in der geplanten römischen Gipfelerklärung verankert werden. Manche Mitglieder könnten "enger, weiter und rascher in einigen Bereichen vorrücken" und dabei "die Tür offen lassen, für jene, die sich später anschließen möchten", heißt es in dem Papier.

Doch selbst darüber, wie hoch der Reformbedarf in der EU ist, gehen die Meinungen in den Hauptstädten auseinander. Junge Mitteleuropäer würden Veränderungen übrigens durchaus begrüßen. Aus einer aktuellen Umfrage der Bertelsmann-Stiftung in Deutschland, Österreich, Polen, Tschechien, Ungarn und der Slowakei geht hervor, dass eine überwältigende Mehrheit der befragten 15- bis 24-Jährigen nicht nur in der Union bleiben, sondern diese auch reformiert sehen möchte. Mehr als zwei Drittel der Jugendlichen sind dafür. Die Dinge so lassen, wie sie sind, will nicht einmal jeder Fünfte.