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Russische Staatsmedien verschweigen Proteste

Von Eva Zelechowski

Politik

Kreml steuert Medienapparat und lässt keine Informationen zu Anti-Korruptionsprotesten durch.


Moskau. Wer am Sonntag im Zentrum Moskaus unterwegs war, konnte Zeuge außergewöhnlicher Ereignisse werden, die in Russland so seit Jahren nicht stattgefunden hatten. In der Hauptstadt und in Dutzenden anderen Städten im ganzen Land legten sich Tausende mit den Mächtigsten des Landes an, ausgerüstet mit Quietscheentchen und Turnschuhen.

Entchen und Sneakers

Die zwei Symbole deuteten auf den durch Korruption angehäuften Luxus des Ministerpräsidenten Dimitri Medwedew hin: Er habe eine besonders ausgeprägte Leidenschaft für teure Sneakers und ließ sich auf seiner luxuriösen Feriendatscha ein aufwendiges Entenhäuschen errichten. Auch diverse Weingärten und Jachten soll Medwedew erworben haben. Dies enthüllte der scharfe Putin-Kritiker, Aktivist und Oppositionspolitiker Alexander Nawalny und rief deshalb zu Protesten im ganzen Land auf.

Anders als noch vor einigen Jahren war die Regierung dieses Mal besser auf die Demonstrationen vorbereitet. Eine Armee aus Polizisten und Sicherheitskräften stellte sich in voller Schutzausrüstung gegen die friedlich demonstrierende Bevölkerung. Alleine in Moskau wurden tausend Menschen, unter ihnen Journalisten und Nawalny selbst, abgeführt und verhaftet.

Besonders Jugendliche und junge Leute konnte Alexej Nawalny über Twitter und diverse Internetplattformen erreichen und mobilisieren. Damit wurde der Eindruck erweckt, es sei eine "Revolution der Jungen". Auf den ersten Blick ist dies eine erfreuliche Nachricht, doch bedeute es nicht, "dass die junge Generation insgesamt systemkritisch ist", twitterte der Russland-Experte und Universitätsprofessor Gerhard Mangott. Es zeige aber, dass der junge, gebildete und urbane Bevölkerungsanteil Russlands besser für Regierungskritik mobilisierbar sei. "Vor allem deshalb, weil das Korruptionsthema und Enthüllungen über die hemmungslose Bestechlichkeit der Führingselite des Landes die Jungen bekümmert", so Mangott.

Proteste gegen Regierung 2012 trafen Kreml unvorbereitet

Seit den Jahren 2011 und 2012, als der Kreml unvorbereitet mit Massenprotesten gegen eine erneute Präsidentschaftskandidatur Wladimir Putins konfrontiert wurde, hat Russland dieses Ausmaß an zivilem Aufbegehren in der Form nicht gesehen. Seitdem wurden Versammlungsrecht und Meinungsfreiheit zunehmend eingeschränkt und die Medien im Land mehr auf Kreml-Kurs gebracht.

Das ist auch einer der Gründe, warum die Bevölkerung an diesem Wochenende von den Staatsmedien über die Proteste nicht informiert wurde. 2011/2012 hat das noch anders ausgehen. Die staatliche Nachrichtenagentur Ria Novosti, die später im Kreml-treueren Medienunternehmen Rossija Sewodnja ("Russland Heute") integriert wurde, berichtete halbwegs neutral und übte keine Kritik am System Putin. Aber: Sie berichtete wenigstens.

Dieses Wochenende war das nicht der Fall. Am Sonntagnachmittag, am Höhepunkt der Proteste, als die meisten Menschen auf die Straßen strömten, als Hunderte in Polizeiautos gesteckt wurden, als Fotos von Frauen, die wie bedrohliche Systemgegner von Polizisten weggetragen wurden, tausendfach auf sozialen Medien geteilt und interaktive Karten ins Internet gestellt wurden, die Echtzeit-Informationen über Festnahmen und Auffälligkeiten lieferten, las man auf Ria Novosti als Top-Meldung: "Freiheitsliebende Kuh in den USA lieferte sich mit Polizei eine dramatische Verfolgungsjagd". Das twitterte der Moscow-Times-Journalist Alexey Kovalev. Während in russischen Wohnzimmern Fernsehberichte von chinesischen Protesten in Frankreich zu sehen waren, erfuhren die Zuseher nichts über Massenproteste im eigenen Land.

Illegale Demos - von Korruption kein Wort

In keiner russischen Nachrichtensendung, auch nicht in der in allen elf Zeitzonen Russlands ausgestrahlten Sendung "Nachrichten der Woche" von Chef-Propagandist Dimitri Kiselyow, wurden die Anti-Korruptionsproteste mit einem Wort erwähnt. Als Kiselyow von "wuchernder Korruption und einer demoralisierten Gesellschaft" sprach, bezog er sich auf die Ukraine.

Am späten Sonntagnachmittag nahmen die Proteste jedoch ein Ausmaß an, das von Ria Novosti nicht mehr ignoriert werden konnte. Berichtet wurde schließlich, dass sich Massendemonstrationen abzeichneten und "Aktivisten der Opposition bei illegaler Demonstration verhaftet wurden". Der Anlass für die Proteste wurde nicht genannt.

Suchmaschine Yandex manipuliert

Auch Yandex, ein russisch-niederländisches Unternehmen mit Sitz in Amsterdam und operativer Zentrale in Moskau, deren Internetdienstleistungen wie die gleichnamige Suchmaschine viele Russen nutzen, berichtete hauptsächlich über das sonnige Wetter und das sich nähernde Frühlingsfestival. Eine beunruhigende Entwicklung, wie die unabhängige russische Tageszeitung "Moscow Times" feststellte. Es sei demnach bekannt, dass russische Behörden imstande seien, den News-Feed von Yandex.Novosti. (Yandex News) zu beeinflussen, indem triviale Meldungen die Suchmaschine bombardieren und vorne gereiht werden.

"Nachrichten" von Ministerien: Gefälschte Trends

In einer Aussendung am Montag rechtfertigte sich Yandex mit der Begründung, man würde Nachrichten automatisch generieren und verwende dafür Algorithmen. Das Unternehmen warf darin der Regierung vage vor, ihr System zu manipulieren. Tatsächlich wurde die Suchmaschine am Sonntag von Meldungen aus Ministerien überflutet, in denen falsche Behauptungen zu den Protesten aufgestellt wurden. Können sich nun Regierungsstellen als Nachrichtenquellen registrieren lassen und so im News-Feeds der Suchmaschine aufscheinen? Eine berechtigte Frage, die von einem Moskau-Korrespondenten der "Financial Times" auf Twitter in den Raum gestellt wurde.

Auch wenn also Agenturen wie RIA und TASS am Rande über die Proteste berichteten, achteten sie darauf, die Ursache um die Korruptionsvorwürfe an Ministerpräsident Medwedew zu umgehen und zu betonen, dass es sich um verbotene Demos handle.

Während die zwei größten russischen Fernsehanstalten Channel One und Rossiya sich blind und taub stellten, erklärte Dmitri Peskow, Sprecher des russischen Präsidenten, gegenüber Journalisten: "Sie berichten über das, was sie für wichtig und signifikant halten."

Hohe Teilnehmerzahl an Protesten überraschte 

Für die meisten in Russland war die hohe Teilnahme an den Demos überraschend, weil Soziologen und Politikwissenschafter von einer weit verbreiteten Apathie und Resignation ausgegangen seien und für politische Proteste nicht zu gewinnen sei, sagte Gerhard Mangott in seinem neuen Videoblog. Laut Umfragen bewege sich diese Bereitschaft deutlich unter zehn Prozent.

Dennoch haben sich viele Menschen an den Protesten beteiligt und riskierten damit auch, verhaftet zu werden, da sie nicht offiziell genehmigt waren.

Wer bestimmt, welche Themen gecovert werden?

Am Montag wurde jener vor Gericht geführt, der die landesweiten Demos mit seinen investigativen Recherchen über Medwedew ausgelöst hatte. Alexej Nawalny wurde von einem Richter wegen Ruhestörung und Widerstand gegen die Staatsgewalt zu einer Geldstrafe von 20.000 Rubel (umgerechnet 320 Euro) und einer Freiheitsstrafe von 15 Tagen verurteilt.

Im Gerichtssaal fragte er Journalisten vor laufender Kamera, warum sie nicht über die Proteste berichteten. "Wir sind kleine Leute", lautete die Antwort. Sie gibt Aufschluss über eines: Welche Themen ausgestrahlt werden, bestimmen nicht sie, sondern der Kreml.

"Moscow Times"-Bericht
Videoblog von Gerhard Mangott zu den Russland-Protesten