Zum Hauptinhalt springen

Der Freund und Feind

Von Anja Stegmaier

Politik

Favorit der Präsidentschaftswahlen ist Premier Aleksandar Vucic. Kritiker werfen ihm Medienzensur vor.


Belgrad/Wien. Ein Jet fliegt über den Wolken. Auf ihm steht "Serbien 2017". Schnitt ins Flugzeuginnere. Der Pilot wendet sich an die Fluggäste. Dann schaltet sich der Copilot ein. Die beiden streiten sich, welches Ziel der Flug nehmen soll. Die Steuerknüppel werden hin- und hergerissen. Panik im Fluggastraum. Die Passagiere schreien vor Angst, Sauerstoffmasken fallen aus den Deckenklappen. Schnitt.

Serbiens Premierminister Aleksandar Vucic erwacht in einem ruhigen Fluggastraum und spricht direkt in die Kamera. "Genau dieses Szenario könnte der größte Albtraum für Serbien sein." Vucics Botschaft: Das Land ist wie dieses Flugzeug darauf angewiesen, von zwei Personen geführt zu werden, dem Premierminister und dem Präsidenten. "Wenn diese das Land in zwei unterschiedliche Richtungen führen, wird Serbien die Stabilität, die es jetzt gerade erreicht hat, verlieren."

Das Video ist eines von mehreren, mit denen der Premierminister der Fortschrittspartei Serbiens seinen Wahlkampf um das Präsidentenamt bestreitet. Ständig laufen die Spots zur besten Sendezeit. Warum der Premier am 2. April zum Präsidenten gewählt werden will, obwohl er als Premierminister mehr Macht hätte, erklärt er darin gleich selbst.

Der 47-Jährige glaubt nicht an eine Koexistenz mit einem Politiker einer anderen Orientierung an der Regierungsspitze. Mit dem Ansinnen, nach drei Jahren vom Premierministeramt in das Präsidentenamt zu wechseln, macht er es seinem Vorgänger Boris Tadic gleich. Als dieser 2008 die Wahl zum Präsidenten gewann, war er zwar ein schwacher Präsident, hatte aber de facto die Kontrolle über den Steuerknüppel des Landes, weil seine Partei damals die Regierung anführte. Der Premierminister war aufgrund des Ernennungsrechtes des Präsidenten sein Premierminister. Auch Vucic wird, so er die Wahlen für sich entscheiden kann, einen Copiloten ernennen, der ihm nahesteht. Mit Erfolg: Die jüngsten Umfragen sehen ihn bei knapp 60 Prozent, die anderen zehn Kandidaten scheinen chancenlos.

Die alternative Realität

Kritiker fürchten die parlamentarische Demokratie in Gefahr. Ein Präsidialsystem rückt wohl ein Stück näher. "Vucic ist der Staat", sagt Medienwissenschafterin und Ex-Journalistin Bojana Barlovac. Als Premier kontrolliere er die Medien. Auch Sasa Jankovic, der ebenfalls als Kandidat zur Wahl steht, kritisiert Vucic scharf, "der Staat ist reduziert auf eine Person".

Der langjährige Ex-Volksanwalt des Landes hatte sich immer wieder mit der Regierung angelegt. Zuletzt etwa auch bei dem von der Stadtregierung beauftragten, illegalen Abriss von Teilen des Belgrader Ausgehviertels Savamala. Stattdessen soll das Projekt "Belgrad auf dem Wasser" entstehen. Investoren vornehmlich aus den Vereinigten Arabischen Emiraten wollen an der Save ein Viertel von Shopping Malls, Wohnungen und Büroblocks aus dem Boden stampfen. Ohne jegliche Mitspracherechte für die Bürger.

Der Skandal sorgte für großen Aufruhr im Land. "Institutionen, die das öffentliche Interesse schützen sollten, werden instrumentalisiert um den Interessen der regierenden Partei zu dienen, selbst die Polizei kam nicht, als Bürger diese riefen", sagt Radomir Lazovic, der die Proteste gegen das Projekt anführt. Er selbst und seine Mitstreiter wurden in den Medien als Verräter, ausländische Spione und Kriminelle diffamiert. Nach rund einem Jahr sind die Proteste mit der gelben Quietscheente als Maskottchen nicht vorbei - die Bewegung will weiter gegen korrupte Wirtschafts- und Polit-Eliten vorgehen. "Wir kämpfen dafür, dass der Staat für die Bedürfnisse der Bürger da ist und organisieren, dass sich die Bürger in ihrer Gesellschaft einbringen können", sagt Lazovic.

Vucic mische sich bei der Polizei, in die Justiz, beim Geheimdienst und in vielen weiteren wichtigen Institutionen ein, übt auch der damalige Volksanwalt Jankovic Kritik. Daraufhin folgten Hetzkampagnen gegen ihn.

Trotz dieser Einschüchterungsversuche wird Aleksandar Vucic in der EU hofiert. Er gilt als Anker der Stabilität in Serbien. Die Alternativlosigkeit seiner Person scheint ausgemacht. Vucic bemüht sich um eine Normalisierung der Beziehung zum Kosovo, ohne ihn als Staat anzuerkennen. Gleichzeitig zu seinem klaren EU-Kurs bemüht er sich um gute Beziehungen zu Moskau. Diese Punkte fallen beim Urteil über den Politiker bei vielen in der EU, wie in Serbien gewichtiger aus.

Brüssel sei auf diesem Auge blind, kritisiert Barlovac. Denn bei den heiklen Themen, wie etwa dem Kosovo tue Vucic, was man von ihm wolle. Gleichzeitig spielt er seine Russlandbeziehungen in den heimischen Medien aus.

Die Politik der Angst

Eine Familie ist in der Küche um den Esstisch versammelt. Das Brot ist noch im Backofen. Die Kinder wollen nicht warten. Die Mutter mahnt zur Geduld. Schließlich spricht das Familienoberhaupt ein Machtwort. Die Mutter holt das Blech mit dem Brot aus dem Ofen. Gierig greift die Familie zu. Der rohe Teig-Laib wird von den Händen regelrecht zerfleddert. Die Gesichter der Kinder sind voll Ekel. Aus dem Off ist der Premier zu hören. 2013 war Serbien am Rand des Verfalls, nach drei Jahren sehe man nun die ersten Triebe der schweren Arbeit. Man müsse am richtigen Weg bleiben, so Vucic in dem Spot. Man dürfe nicht erlauben, dass die Schlechtesten wieder an die Macht kommen - "sie werden alles zerstören, was wir geschaffen haben."

In einem weiteren Werbefilm Vucics bezeichnet er die Opposition und die zehn Konkurrenten im Wahlkampf als "DOS". Die Abkürzung steht für Demokratische Opposition Serbiens und war ein Zusammenschluss politischer Parteien, der im Jahr 2000 als Bündnis gegen die herrschende Sozialistische Partei Serbiens und ihren Vorsitzenden, Slobodan Milosevic, gegründet wurde. Sie zerfiel letztlich und wurde bekannt für Privatisierungen sowie Affären und Korruptionsskandale.

Vucic stilisiert sich als Opfer - alle haben sich gegen ihn verbündet. Und wer sich gegen ihn stellt, stellt sich gegen Serbien. Der Werbefilm endet mit der Mahnung, dass die Konkurrenten alles zerstören wollen, was er mit seiner Regierung aufgebaut habe. Und zum Opfer gehört der Gegenpol der Feinde. Immer wieder seien dies neue, andere, so die Belgrader Ex-Journalistin Barlovac.

In den Medien, die nach den Privatisierungen von den Inseraten der Regierung abhängig sind, wird Vucics Deutung übernommen. "Das Hauptthema ist Vucic. Und seine Gegner", sagt Barlovac. Die Abhängigkeit der Medien habe auch dazu geführt, dass es keine Talkshows und keine Debatten mit den Kandidaten gibt.

"92 Prozent der Medienberichterstattung handelt von Premier Vucic", kein Oppositioneller könne sich eine Einschaltung im Fernsehen leisten - und da lediglich 65 Prozent der Bevölkerung einen Internetanschluss hat, ist und bleibt, vor allem am Land, das Fernsehen die Informationsquelle Nummer eins, so die Medienexpertin.

Anleihen bei Milosevic

Die Strategie erinnert an die Schlüsselfigur der Jugoslawienkriege, Slobodan Milosevic. Er verstand es, sich als Held und Opfer zu stilisieren. Pikant ist hierbei, dass Aleksandar Vucic Ende der 1990er während des Kosovo-Krieges als Informationsminister für Milosevics Propaganda verantwortlich zeichnete. Schon damals gab es drakonische Strafen für regierungskritische Medien.

Aber der Ultranationalist wandelte sich zum glühenden Pro-Europäer. Seine Strategie ist es heute, so sagt er selbst, den Beitritt Serbiens zur Europäischen Union voranzutreiben und gleichzeitig gute Beziehungen zu Russland zu pflegen. Er hat erkannt, dass er in einem westlichen, an der EU orientierten Land nie an die Macht hätte kommen können, wenn er sich nicht um 180 Grad gedreht hätte.

Die Medienforscherin Barlovac findet an der Entwicklungen der Präsidentschaftswahlen dennoch etwas Gutes. "Es gibt neue Oppositionsführer - und das nach fünf Jahren, in denen es keine Opposition gab", diese Wahl sei ein Lackmustest für die nächsten Wahlen, etwa in Belgrad 2018.