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Bombe in Putins Heimatstadt

Von Ines Scholz

Politik

Ein Selbstmordattentat in der St. Petersburger U-Bahn reißt mindestens elf Menschen in den Tod.


St. Petersburg/Wien.Die Sanitäter mussten sich erst mühsam zu den Bahnsteigen der St. Petersburger Metro vorkämpfen. Überall war Rauch, Verwundete lagen auf dem Boden - und Tote. Zahlreiche Fahrgäste hatten, so gut sie konnten, bei der Erstversorgung der Verletzten geholfen. Wladimir Putins Heimatstadt ist am Montag Schauplatz eines blutigen Selbstmordanschlags geworden.

Wie bereits 2010 in Moskau wählten die Täter die U-Bahn als Ziel. Der Sprengsatz detonierte, kurz bevor der Zug von der Station "Sennaja" in die Haltestelle "Technologistschesky Institut" (Technologisches Institut) einfuhr, in einem der Waggons, berichteten Augenzeugen. Elf Menschen seien ums Leben gekommen, gab das russische Anti-Terror-Komitee bekannt, rund 50 weitere Personen hätten Verletzungen erlitten, unter ihnen auch mehrere Kinder.

Kurz nach 14 Uhr Ortszeit, dem Zeitpunkt der Explosion, waren viele Schulkinder unterwegs nach Hause. In der Station des Technologischen Instituts im historischen Zentrum der einstigen Hauptstadt der Zaren entwickelte sich starker Rauch. Laut Augenzeugen mussten die Menschen durch die Fenster aussteigen, weil die Türen nicht mehr funktionierten.

Behördenquellen schätzten die Sprengkraft auf 200 bis 300 Gramm Dynamit. Der Sprengsatz sei mit Metallteilen versehen gewesen. Laut der russischen Agentur Interfax war ein Selbstmordattentäter verantwortlich für die Explosion. Das sickerte aus dem Kreis der Ermittler in der Nacht auf Dienstag durch. Den Kreisen zufolge haben die Behörden auch die Identität des mutmaßlichen Selbstmordattentäters herausgefunden. Es soll sich um einen 23-Jährigen aus Zentralasien handeln.

Der junge Mann habe die Bomben in einem Rucksack in die Metro gebracht. Er sei mit radikalen Islamisten in Verbindung gestanden. Genauere Rückschlüsse können aber erst nach einem DNA-Abgleich gezogen werden. Den vorläufigen Erkenntnissen zufolge hat sich der Sprengsatz in einem Rucksack befunden

Sämtliche U-Bahn-Stationen in der Fünf-Millionen-Stadt wurden nach dem Anschlag geräumt. Der Gouverneur von Sankt Petersburg, Georgi Poltawtschenk, rief den Notfallplan für die Sicherheitskräfte aus. Im Internet machten Bilder des zerstörten U-Bahn-Wagens die Runde. Erste Meldungen, wonach es zwei Detonationen gegeben habe, wurden später revidiert. Nur ein Sprengsatz sei in die Luft gegangen, hieß es. Allerdings soll nach Polizeiangaben an der U-Bahn-Station Ploschtschad Wosstanija ein weiterer Sprengsatz gefunden worden sein, die Station liegt direkt unter dem größten Bahnhof der Stadt. Um ihn zu entschärfen, wurde ein Spezialkommando herbeigerufen, erfuhr die Agentur RIA von den Sicherheitskräften. Es war die erste Bluttat dieser Art, die die Stadt erlebte.

Terroristischer Hintergrund

Präsident Wladimir Putin war am Montag in St. Petersburg, er hielt sich nach Angaben seines Sprechers im Vorort Strelna auf, wo er seinen weißrussischen Amtskollegen Alexander Lukaschenko empfing. Die Sicherheitsbehörden würden die Explosion aufklären, versprach Putin. "Wir ziehen alle Möglichkeiten in Betracht - ob es eine kriminelle Tat war oder sie einen terroristischen Charakter hat", sagte der Kremlchef zunächst. Die vorsichtige Wortwahl ist für ihn, der nach Anschlägen sonst reflexartig die "tschetschenischen Banditen" beschuldigt, eher ungewöhnlich.

Die meisten der früheren Terrorakte gingen tatsächlich auf das Konto militanter Separatisten in der krisengeschüttelten Nordkaukasus-Republik zurück. 2010 hatte der islamistische Rebellenführer Dokku Umarow die Verantwortung für das Attentat auf die Moskauer U-Bahn übernommen, bei dem zwei junge Selbstmordattentäterinnen knapp 40 Menschen mit in den Tod gerissen hatten. Die Russen lasse Putins Krieg gegen die Zivilbevölkerung in Tschetschenien kalt, weil er für sie weit weg sei. "Wir werden ihn nach Russland tragen, damit sie wissen, was Krieg ist", hatte er verkündet. Später machte Umarow eine Kehrtwende und erklärte Anschläge auf zivile Ziele für tabu. Trotzdem bekannte er sich 2011 zu einer weiteren Attacke. Bei dem Selbstmordanschlag auf dem Moskauer Flughafen Domodedowo verloren erneut knapp 40 Menschen ihr Leben.

Die Jugendproteste sind vorerst vergessen

Doch nicht immer sind die Täter dort zu finden, wo die Politik gerne hinzeigt. Als 1999 der damals noch weitgehend unbekannte KGBler und Neo-Premier Wladimir Putin, um die Präsidentenwahl zu gewinnen, einen Tschetschenien-Feldzug vom Zaun brechen wollte, flogen in Moskau und anderen Regionen Russlands davor mehrere Wohnhäuser in die Luft. 300 Todesopfer waren die Folge. Putin hatte damit seinen Kriegsvorwand: Die Tschetschenen stünden dahinter, hieß die Devise. Eine Panne entlarvte dann aber die wahren Täter: Mitglieder des Geheimdienstes FSB, der Nachfolgeorganisation des KGB, waren die Mörder. Sämtliche Beweismittel und alle vom Kreml torpedierten unabhängigen parlamentarischen Untersuchungen ergaben, dass der FSB, dessen Chef Putin kurz zuvor noch war, die Attentate ausführte - auch wenn es natürlich Tschetschenen waren, die als "die Schuldigen" hinter Gittern landeten. Der Dissident Sergej Kowaljow, einer der wenigen, die die Recherchen überlebt haben (fast alle anderen wurden ermordet), meinte damals vorsichtig: "Ich kann nicht beweisen, dass diese Anschläge in Moskau vom Kreml organisiert waren. Aber ich glaube, sie waren für die Macht sehr nützlich."

Auch beim gestrigen U-Bahn-Anschlag in St. Petersburg fragen sich viele, wer ein Interesse daran haben könnte. Die Bluttat kommt dem Kreml jedenfalls gelegen, um von den jüngsten Protesten der russischen Jugend gegen Putins korrupte Machtclique abzulenken, auf die dieser geradezu panisch regiert hatte. Nach den Massenverhaftungen vor einer Woche war auch an diesem Sonntag die Polizei rasch zur Stelle, um die Unmutsbekundungen rasch im Kein zu ersticken.

Russland als Ziel von Terror
In den vergangenen 20 Jahren ist es in Russland immer wieder zu schweren Terrorattacken gekommen. Zusammengerechnet starben bei den Anschlägen, die häufig von islamistischen Attentätern aus dem Kaukasus verübt wurden, mehrere hundert Menschen.

Dezember 2013: Im Bahnhof der Millionenstadt Wolgograd zünden Terroristen am 29. Dezember eine mit Nägeln und Schrauben gefüllte Bombe. Bei dem Selbstmordanschlag sterben mindestens 17 Menschen.

Oktober 2013: Mit einer Bombe in einem Linienbus in Wolgograd tötet eine Selbstmordattentäterin sechs Insassen und sich selbst. Mehr als 30 Menschen werden zum Teil schwer verletzt. Fahnder vermuten, dass Islamisten aus dem Nordkaukasus der Frau die Bombe übergeben haben.

Jänner 2011: Bei einem Selbstmordanschlag auf dem Moskauer Flughafen Domodedowo sterben mindestens 37 Menschen. Drahtzieher der Sprengstoffattacke ist der tschetschenische Terrorist Doku Umarow, der der russischen Regierung per Video mit weiteren Anschlägen droht.

März 2010: Selbstmordattentäterinnen sprengen sich in zwei Zügen der Moskauer U-Bahn in die Luft und reißen mindestens 40 Menschen mit in den Tod. Auch hinter diesem Anschlag steckt Umarow.

November 2009: Bei einem Sprengstoffanschlag auf den Schnellzug Moskau-St. Petersburg kommen mindestens 26 Menschen ums Leben. Umarow bekennt sich zu dem Anschlag und kündigt einen "Sabotagekrieg" gegen die "blutige Besatzungspolitik" Moskaus im Kaukasus an.

September 2004: Bewaffnete überfallen eine Schule in Beslan (Nordossetien) und nehmen 1.100 Kinder, Eltern und Lehrer als Geiseln. Das Terrordrama endet mit 360 Toten. Als einer der Drahtzieher gilt der tschetschenische Rebellenführer Schamil Bassajew.

August 2004: Gleichzeitig stürzen zwei russische Passagiermaschinen ab. Alle 90 Menschen an Bord kommen ums Leben. In beiden Maschinen hatten Selbstmordattentäterinnen aus Tschetschenien Bomben gezündet.

Oktober 2002: Tschetschenen überfallen ein Moskauer Musical-Theater und nehmen mehr als 800 Geiseln. Nach drei Tagen stürmt die Polizei das Gebäude. 129 Geiseln und alle 41 Terroristen sterben.