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"Gewaltrituale sind die Norm"

Von Michael Schmölzer

Politik

In der Bundeswehr sorgen sexuelle Übergriffe auf Rekruten und Soldatinnen für Aufsehen.


Deutschlands Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen lässt die jüngsten sexuellen Übergriffe und Misshandlungen bei der Bundeswehr untersuchen. Dabei geht es um sadistische Praktiken während der Ausbildung, unter anderem wurden Soldatinnen sexuell bedrängt, Rekruten stundenlang an Stühle gefesselt und mit Wasserschläuchen abgespritzt. Andere hätten sich ausziehen müssen und seien gedemütigt worden, lauten die Vorwürfe. Das deutsche Verteidigungsministerium hat jetzt einen Kriminologen angeheuert, der die Zustände in den Kasernen untersuchen soll. Der Ruf nach besserer und stärkerer Führung wird laut. Für die Wiener Politologin Saskia Stachowitsch sind Demütigungsrituale fixer Bestandteil von Männerbünden, wobei die jüngsten Übergriffe auch eine Reaktion auf die Öffnung der Bundeswehr für Frauen seien.

Wiener Zeitung:Es häufen sich Berichte über merkwürdige gewalttätige und erniedrigende Rituale bei der Bundeswehr, die oft eine starke sexuelle Komponente haben. Überrascht Sie das?

Saskia Stachowitsch: Wir kennen das aus den USA und anderen Streitkräften. Die Bundeswehr ist mit derartigen Themen noch nicht massiv aufgefallen. Ob das jetzt dort gehäuft auftritt oder ob das Schweigen gebrochen wird, ist schwer abzuschätzen. Das ist aber ein Muster, das wir immer wieder beobachten, wenn männlich dominierte Institutionen einem Wandel unterliegen, wenn sich die Homogenität in einer Gruppe aufzulösen beginnt. Dann finden diese Übergriffe auf Frauen statt. Diese Aufnahmerituale gehen aber nicht auf die Frauenintegration an sich zurück. Es ist ein generelles Phänomen, dass Männerbünde sexualisierte und erniedrigende Rituale entwickeln. Das gibt es auch im zivilen Bereich, etwa bei manchen amerikanischen Studentenverbindungen.

Wenn man bei der Wehrmacht beginnt und sich dann die frühe Bundeswehr ansieht: Da gab es diese Schleifer, die die Rekruten bis zum Umfallen geschunden haben. Als Bestrafung. Das hat sich in die Bundeswehr herübergerettet. Hat sich die Art der Misshandlung geändert, eben weil es jetzt seit ein paar Jahren Frauen bei der Bundeswehr gibt?

Ich würde die Hypothese aufstellen, dass sich das nicht wesentlich verändert hat. In der Ausbildungsphase gibt es diese Konstruktion, dass man alle Soldaten diszipliniert, gleichmacht und vom zivilen Leben trennt. Man organisiert den Übergang vom zivilen in das militärische Leben und das militärische Leben bedeutete bis vor kurzem eben, in diesem Männerbund aufzugehen.

Man vernichtet die zivile Persönlichkeit und baut eine neue auf. Kann man das so sagen?

Das ist das althergebrachte Denken, dass man die jungen Männer von ihrem zivilen Leben trennt und auch diese Grenzüberschreitungen von ihnen verlangt. Im Endeffekt will man sie motivieren zu töten und zu kämpfen und Gewalt auszuüben und das braucht eine gewisse Loslösung von sozialen Bindungen, Werten und Normen des zivilen Lebens. Es gibt die Theorie, dass das die Grundlage ist, damit eine Armee überhaupt funktioniert. Das würde ich aber kritisch betrachten. Es gibt genauso viele Studien, die sagen, dass das kein funktionales Verhalten ist. Diese Art von männerbündischen und hypermaskulinen Ritualen und Verhalten ist etwas, das vielleicht den Männerbund stärkt, aber das Militär in seiner Effektivität nicht unterstützt, ja Effektivität sogar verhindern kann, weil es Disziplinstrukturen zerstört und Vertrauen und Beziehungen der Rekruten untereinander schädigt. Es ist eine umstrittene Frage: Gibt es ein Militär, das ohne solche Rituale auskommt? Diese Loslösung vom Zivilen war immer schon etwas, was mit einer starken Feminisierung verbunden war. Man lässt die Rekruten in vermeintlich weibliche Rollen schlüpfen . . .

. . . Männer werden als Frauen beschimpft. Wenn ich an den Stanley-Kubrick-Klassiker "Full Metal Jacket" denke. Da gibt es einen Soldaten, der vom sadistischen Ausbilder-Sergeant Hartman als "Private Schneewittchen" verunglimpft wird. Alle Rekruten sind für Hartman per se "Ladys". . .

Die Abwertung funktioniert oft über diese Geschlechter-Stereotypen. Und über eine frauenfeindliche Haltung. Wenn Frauen dann in solche Institutionen vordringen, dann wird Verschiedenes verkompliziert und bricht auf. Wenn die Rekrutinnen Kameradinnen sind, und mit denen soll man kämpfen, auf die soll man sich verlassen, ist es problematisch, wenn ich Rituale habe die besagen, dass Frauen von diesem Bund ausgeschlossen sind. Und es gibt natürlich auch Rituale, die nicht nur massiv Frauen, sondern alle Männer schädigen, die nicht diesem hegemonialen Typus entsprechen. Das ist etwas, was die Homosexuellen-Bewegung immer wieder angeprangert und angesprochen hat. Dass das eine Art von Männlichkeit konstituiert, die viele, die im Militär dienen, ausschließt und als minder definiert. Das ist der Boden, auf dem alle mögliche Gewalt gedeiht.

Wobei auffällig ist, dass Homosexualität auch bei diesen brutalen Schleifern eine große Rolle spielt. Homosexualität wird da ja verwendet.

Ja. Es geht um diese Grenzüberschreitung und es gibt Studien, die besagen, dass es bei diesen Ritualen auch darum geht, erlaubte Homosexualität zu konstituieren. Und das wird natürlich auch infrage gestellt und problematisiert, wenn dann "echte" Homosexuelle im Militär dienen. Das ungefährliche Spiel mit der Homosexualität wird problematisiert, wenn sexuelle Minderheiten auch im Militär sind.

Es heißt, Frauen bei der Bundeswehr seien häufig Opfer dieser Übergriffe, oft sind sie es aber, die die Missstände aufzeigen. Stimmt das?

Ich denke schon, dass das jetzt eine Trendwende ist. Dass klar wird, dass das Grenzüberschreitungen sind, die man nicht haben will. Das mag auch damit zu tun haben, dass eine Frau, (Ursula von der Leyen, Anm.) an der Spitze des Ministeriums steht. In den jüngsten Fällen ist man ja direkt zu ihr gegangen. Vielleicht hat das eine symbolische Wirkung, dass sich Frauen eher trauen, Missstände aufzuzeigen - weil sie das Gefühl haben, das wird auch gehört, es gibt auf der politischen Seite keine Toleranz für dieses Verhalten.

Ichhabe einen Artikel aus dem "Spiegel" Anfang der 90er-Jahre gefunden, wo eine US-Marines-Ausbildung ausschließlich von Frauen für Frauen beschrieben wird. Die wurden so gedrillt wie die Männer. Kommt es in reinenFrauengruppen auch zu solchen Gewaltritualen? Oder entstehen da völlig neue Dynamiken?

Da müsste man ein groß angelegtes soziales Experiment starten. Ich glaube aber nicht, dass Frauen quasi von Natur aus mit Eigenschaften ausgestattet sind, die sie solche Sachen nicht verüben lassen. Aber natürlich gibt es eine andere Sozialisation und ein anderes Verhältnis zum Militärischen und den Geschlechter-Stereotypen. Man kann in einer derart extremen Situation, wie sie im Militär entstehen kann, nicht davon ausgehen, dass Frauen sich anders verhalten. Wir haben genug Belege, wie Frauen in diese Missbräuche verwickelt sind, denken Sie nur an (das irakische Gefängnis, Anm.) Abu Ghraib.

Aber da war diese Soldatin namens England in einer Art Helferrolle.

In den aktuellen Strukturen sind Frauen oft in dieser Helfeshelferinnen-Position. Aber ich glaube nicht, dass Gewalt nicht mehr passieren würde, wenn es keine Männer in diesen Institutionen mehr gäbe. Ich würde sagen, dass Männer und Frauen prinzipiell die gleichen Anlagen haben, Gewalt zu verüben. Aber es gibt natürlich gesellschaftliche Strukturen, die das bei einem Geschlecht besonders zum Vorschein bringen.

Die männliche Form von Gewalt ist vielleicht eine andere?

Wir können Gewalt immer nur im sozialen Kontext beobachten, wir können nicht in eine Welt ohne soziale Beziehungen abstrahieren. Gewalt ist immer ein soziales und politisches Phänomen und in dem Sinn ist die Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen eine, die sich auch auf dieses Gewaltverhalten auswirkt. Da ist Abu Ghraib ein gutes Beispiel, weil da ja gerade mit dieser Verweiblichung der Insassen gespielt wurde. Das funktioniert ja nur, wenn ich eine ungleiche Geschlechterordnung habe.

. . . sonst wäre es ja keine Demütigung mehr . . .

Diese gewalttätigen, hegemonialen Männlichkeiten sind etwas, was mit Sicherheit nicht nur Frauen schädigt.

Bei den diversen Einheiten gibt es ja immer einen Mann, der stigmatisiert, der von den anderen unterdrückt und geschunden wird. Das kommt im Kino-Klassiker "Full Metal Jacket" vor, bei der Bundeswehr und beim österreichischen Bundesheer wahrscheinlich auch.

Wenn sich "übermännliche" Männlichkeiten konstituieren, dann entsteht automatisch eine Hierarchie, auch unter den Männern. Diese Rituale stellen Hierarchie her. Da ist die Frage, wie militärisch-funktional das ist. Es heißt immer, die Kameradschaft ist die ultimative Motivation, zu kämpfen. Studien zeigen, dass die meisten Soldaten nicht kämpfen, weil sie das Vaterland hochhalten - das ist auch eine Motivation. Die Hauptmotivation aber ist die Beziehung zu den anderen, die Gruppe, die Kameradschaft und die ist das Bezugssystem. Man darf diese Rituale dennoch nicht allein als Abweichung sehen. Ich fürchte . . .

. . . dass das dem Militärischen inhärent ist? Kein Militär ohne Demütigungen.

Genau.

Zum Schluss: Was also begünstig diese unmenschlichen Rituale und was wirkt dagegen?

Wir sehen einen großen Wandlungsprozess im Bereich des Militärischen. Das äußert sich in der Professionalisierung, Technisierung, im Outsourcing. Ein Aspekt ist die Integration von Gruppen, die vorher nicht in dieser Art und Weise vorhanden waren. Unter anderem Frauen. Diese Öffnung ruft Widerstände und Übergriffe hervor. Laut einer Studie ist in einer Organisation die Gefahr von Übergriffen und Diskriminierung am größten, wenn der Frauenanteil unter 30 Prozent liegt. 30 Prozent sind die Schwelle. Ab da können die Dinge dann ganz anders aussehen. Im Allgemeinen werden Frauen ab einem Anteil von 30 Prozent eher akzeptiert.

Saskia Stachowitsch unterrichtet an der Universität Wien. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Privatisierung von Sicherheit, Geschlecht und Militär, Parlamentarismus, Antisemitismus und politische Geschichte österreichischer Juden und Jüdinnen