Zum Hauptinhalt springen

Der lange Schatten nach Moskau

Von WZ-Korrespondentin Simone Brunner

Politik
Aufsichtsratsmitglied Gusenbauer hielt dieser Tage in Berlin seinen ersten Vortrag für den Thinktank "Dialogue Of Civilizations".
© Brunner

Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer sitzt neuerdings im Aufsichtsrat der Denkfabrik des Putin-Vertrauten Wladimir Jakunin.


Berlin. Es ist Dienstagabend, das letzte Tageslicht fällt durch eine große Glaskuppel, die den Raum nach oben hin öffnet. Als einen "politischen Stern, der in Österreich und Europa aufgegangen ist", aber danach "nicht verglüht, sondern nur reifer geworden ist," stellt Wladimir Jakunin den Redner vor. Applaus. Auftritt Alfred Gusenbauer. "Die Welt am Scheidepunkt. Über den Wandel in der internationalen Politik" heißt der Titel, über den der Ex-Bundeskanzler referiert. Rund 30, vorwiegend männliche Zuschauer in Anzug und Krawatte, lauschen den Ausführungen zu Trump, Terror und Türkei. Es sei eine Welt mit "weniger Sicherheiten und weniger Gewissheiten", beschließt Gusenbauer seinen Vortrag, aber zugleich könnte es auch eine Chance sein, "weil kein Hegemon mehr über das Schicksal der anderen entscheidet." Danach werden Sekt und Brötchen gereicht.

"Frieden", "Welt", "Entwicklung" steht auf den Glaswänden, zwischen einem blau-weißen Logo: "DOC - Dialogue Of Civilizations". Hier, im fünften Stock des Kaufhauses Galeries Lafayette in der Berliner Friedrichstraße, hat sich seit dem Sommer die Denkfabrik "Dialog der Zivilisationen" eingemietet. Jakunin betont die "großen Ehre", den Ex-Kanzler nicht nur als Redner, sondern auch als Mitglied des Aufsichtsrats begrüßen zu dürfen. Mit dieser Funktion falle aber jede Äußerung, die Gusenbauer mache, wieder auf das Institut zurück, wird Jakunin am Ende schulterklopfend scherzen.

Jakunin, Gründer und "Spiritus Rector" des Thinktank, ist kein Niemand. Der 68-jährige Putin-Vertraute leitete viele Jahre die Russischen Eisenbahnen, eines der größten Unternehmen Russlands. Als er 2015 überraschend seinen Rücktritt erklärte, wurde viel über seinen Abgang spekuliert. Er könnte in Ungnade des Kreml gefallen sein, meinte die einen, einem effizienteren Manager Platz machen, die anderen. Laut Enthüllungen des russischen Anti-Korruptions-Aktivisten Alexej Nawalnij soll Jakunins Familie über ein millionenschweres Offshore-Imperium verfügen.

Seit seinem Rücktritt hat sich Jakunin mit dem Aufbau des Berliner Thinktanks beschäftigt. "Wir haben im Moment nur eine einzige Wahrheitsquelle, und die sitzt in Washington", hatte Jakunin zuletzt in einem Presse-Interview die Gründung argumentiert. Als eine Denkfabrik für "alternative Lösungen der Welt", für "Konflikte und Friedensbildung" will es der indische Vorsitzende Pooran Chandra Pandey verstanden wissen. "Es ist unsere Agenda, Alternativlösungen für Probleme und Konflikte unserer Zeit zu finden".

Auf Anfrage ist Jakunin, der von Europa lieber als von "Eurasien" spricht, nur zu einer Stellungnahme zum Terroranschlag in St. Petersburg bereit. "Die Politiker müssen jetzt erkennen, dass es an der Zeit ist, die kleinen Meinungsverschiedenheiten aus dem Weg zu räumen und die Kräfte im Kampf gegen den gemeinsamen Feind, den Terrorismus, zu bündeln." Mit den "kleinen Meinungsunterschieden" meint Jakunin die russische Ukraine-Politik. Er steht seit 2014 wegen der Ukraine-Krise selbst auf der US-Sanktionsliste.

Doch gerade dieses Thema kommt im Forschungszentrum nicht prominent vor. Auch im Vortrag erwähnt Gusenbauer die Ukraine-Krise, die zur größten außenpolitischen Krise zwischen dem Westen und Russland seit der Wende geführt hat, nur am Rande. "Ich habe mich da eher auf die innere Situation in Russland konzentriert", sagt Gusenbauer nach dem Vortrag der "Wiener Zeitung". "Aber mir hat noch niemand Vorschriften gemacht, was ich sagen soll und was nicht."

Dunkle Finanzkanäle

In Deutschland hat die Gründung des Instituts vor neun Monaten jedenfalls für viel Aufregung gesorgt. "Putin lässt in Berlin riesige Denkfabrik gründen", titelte die "Welt". "Wer von unterschiedlichen Zivilisationen spricht, drückt damit aus, dass er die Universalität der Menschenrechte und auch die in der Europäischen Menschenrechtskonvention gemeinsam formulierten Grundlagen infrage stellt", kritisierte die Grünen-Politikerin Marieluise Beck die Ausrichtung der Denkfabrik. Eine Diskussion, die Gusenbauer für überzogen hält. Dass Jakunin hier als Gründer eine wichtige Rolle spielt, sei "logisch", aber es sei "heuchlerisch", dadurch gleich von einer "Propaganda-Organisation" zu sprechen: "Wenn ich das umgekehrt von jeder Institution behaupte, wo es einen amerikanischen Einfluss gibt, dann können wir gleich alles als Propagandainstitution bezeichnen."

Das Thinktank wird über eine Schweizer Stiftung und von Mäzenen "aus Europa und Eurasien" finanziert, die nicht namentlich genannt werden wollen, erklärt Pandey. Eine Verbindung zum Kreml dementiert er. "Ich bin Leiter dieses Instituts und komme auch nicht aus Russland." Die Finanzierung möchte auch Gusenbauer nicht kommentieren. "Ich bin nicht mit der Organisation befasst und möchte vielmehr einen inhaltlichen Beitrag leisten."

Neben Jakunin wird der ÖVP-Politiker und Ex-Generalsekretär des Europarats, Walter Schwimmer, auf der Homepage als Gründungsmitglied genannt. Im Aufsichtsrat sitzen neben Gusenbauer noch Professoren und Botschafter, aber auch der ehemalige tschechische Präsident und EU-Kritiker Vaclav Klaus. Dem Vernehmen nach hätten Headhunter versucht, Wissenschafter bei allen relevanten Berliner Einrichtungen abzuwerben, bisher ohne Erfolg. "Jakunin greift bisher auf sein altes Netzwerk zurück, das er sich in Wien aufgebaut hat", so Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Gründungspräsident Jakunin hatte schon 2002 den "Dialog der Kulturen" ins Leben gerufen, das seit 2008 in Wien präsent war. Schon damals wurde Gusenbauer als Co-Präsident der Organisation an Bord geholt.