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"Emmanuel Macron hat die ideale Politikergestik"

Von Mathias Ziegler

Politik

Wie der französische Kandidat seine Kontrahentin Marine Le Pen mit deren eigenen Waffen schlagen könnte.


Paris/Wien. Donald Trump hat es geschafft, Geert Wilders, Marine Le Pen, Heinz-Christian Strache und Frauke Petry möchten noch an die Macht. Entsprechend aggressiv ist auch ihre Körpersprache, mit der sie nicht zuletzt die Wut der Verlassenen widerspiegeln, um deren Stimmen sie buhlen. "Es geht nicht nur darum, was man sagt, sondern auch, wie man es transportiert. Wie man dabei gestikuliert und aufs Rednerpult haut", erklärt der Körpersprache-Experte Stefan Verra, der schon viele Politiker analysiert und anhand seiner Studien auch schon deutsche Landtagswahlergebnisse richtig vorhergesagt hat.

Aus seiner Sicht gibt es ein paar ganz typische Merkmale, die in der Körpersprache so gut wie aller Populisten zu finden sind: "Der Kopf geht weit nach vorne, damit ist die Stirn in Angriffsposition, die Augen werden schmal gemacht, die Gesichtsmuskulatur fängt an zu zucken. Da ist die ganze Atmosphäre schon sehr aggressiv, bevor sie den Mund überhaupt aufmachen."

In Österreich sei diese Körpersprache zuletzt in den TV-Duellen der beiden Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer und Alexander Van der Bellen gut zu beobachten gewesen. "Da hat man ganz genau gesehen, was für ein Zorn in Hofer ist, als er mit dem Kopf immer weiter nach vorne gegangen ist, während Van der Bellen argumentiert hat. Und wie ist es dabei den Zuschauern gegangen, die Van der Bellen nicht als Bundespräsidenten wollten? Die sind vor dem Fernseher gesessen und haben sich von Hofer perfekt vertreten gefühlt."

Große Gesten, erstechender Zeigefinger, reduzierte Faust

Freilich ist die Mimik nur ein Teil der Körpersprache, wesentlich ist auch die Gestik mit weit ausladenden Armbewegungen. "Mit diesen großen Gesten wird möglichst viel Raum eingenommen", erklärt Verra. Bei Le Pen kommt in dieser Beziehung noch etwas hinzu, was sie erfolgreich, aber wenig sympathisch macht: "Sie stützt sich meistens breit auf dem Rednerpult ab. Dieses sichtbare Beanspruchen von Territorium ist evolutionär betrachtet eher eine typische Männergeste und wirkt bei einer Frau deswegen oft befremdlich. Frauen gestikulieren üblicherweise mit angelegten Ellbogen, während Männer auch die Oberarme möglichst raumgreifend einsetzen. Wenn eine Frau Gehör finden will, dann ist sie durchaus gut beraten, das ebenso zu machen, weil sie dadurch selbstbewusster wirkt - nur muss man bedenken, dass damit meist Sympathien flöten gehen. Le Pen scheint das egal zu sein."

Auch die Hände spielen eine wichtige Rolle. Einerseits kommt oft der Zeigefinger zum Einsatz: "Mit dem werden entweder sinnbildlich gegnerische Argumente erstochen, so wie wir einst in der Steinzeit mit einem Stöckchen unser Gegenüber gestochen haben. Das ist ein sehr starkes Dominanzsignal. Oder aber der Finger wird erhoben, um sich selbst größer zu machen." Andererseits benutzen vor allem die Populisten auch das sogenannte Kommunikationsringerl, bei dem Daumen- und Zeigefingerspitze aneinandergelegt werden und die Hand hinauf und hinunter geht: "Auch das kommt aus der Steinzeit und ist nichts anderes als die reduzierte, die verkappte und diplomatisch angepasste Form der Faust beziehungsweise des Steines, mit dem wir früher zugeschlagen haben. Am Wirtshaustisch haut man mit der Faust auf den Tisch, um die gegnerischen Argumente zu erschlagen, am Rednerpult macht man das mit dem eleganteren Kommunikationsringerl."

Die Körpersprache muss authentisch sein

Das alles muss aber authentisch sein, betont Verra. Die Körpersprache könne man zwar pflegen und verstärken, aber wer nicht der Typ dafür sei, wirke immer unglaubwürdig. "Deswegen wird die AfD-Politikerin Frauke Petry niemals eine große Populistin sein. Ihr fehlt einfach die authentische Körpersprache." Und die US-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton sei auch daran gescheitert, dass sie in ihrer Körpersprache allzu perfekt sein wollte. Verra erinnert in dem Zusammenhang an eine deutsche Studie, in der Studenten gefragt wurden, ob Trump oder Clinton glaubwürdiger sei: "Und obwohl das Bildungsbürger sind, die genau wissen, dass Trump lügt, hat er wesentlich besser abgeschnitten, weil er eben authentischer ist."

Für den Experten steht jedenfalls fest: "Le Pen, Wilders oder Strache sind als Populisten so erfolgreich, weil sie von ihrem Wesen her so agieren. Die haben ihr Gehabe nicht erst für ihre politische Rolle einstudiert. Deshalb gibt es ja auch in der FPÖ Hofer und Strache, die jeweils in ihren eigenen Bereichen sinnvoll eingesetzt sind. Ein Hofer zum Beispiel würde bei einer Aschermittwoch-Rede niemals einen solchen Hype erzeugen, wie es ein Strache oder auch ein Beppe Grillo schafft. Und vor allem wie es seinerzeit der CSU-Politiker Franz Josef Strauß geschafft hat. Weil er wusste, wie wichtig es ist, dass Mimik und Gestik zum gesprochenen Wort passen, wie er in seinen Erinnerungen geschrieben hat."

Auch der Zentrumspolitiker Macron weist aus Verras Sicht viele Ähnlichkeiten mit der Körpersprache von Populisten auf. "Jedoch in einer gesellschaftlich akzeptablen Form und mit viel eleganterer Mimik und Gestik. Insofern kommt Macrons Körpersprache dem Ideal eines Politikers näher als so manch andere. Auch weil er durch seine Mimik und Gestik intelligenter wirkt - wir wollen an der Spitze auch jemanden haben, der ein bisschen klüger ist als wir", stellt der Experte fest, der übrigens selbst niemals Politiker coacht, um diese weiterhin neutral analysieren zu können. Wobei er da auch oft sehr vorsichtig ist und Kollegen nicht versteht, die sich etwa anmaßen, Trump über eine Distanz von mehreren tausend Kilometern Narzissmus oder Dummheit zu unterstellen.

"Ich weiß nicht, wie intelligent er ist. Und ich kann auch nicht zweifelsfrei belegen, dass er narzisstisch ist. Ich habe eine Meinung dazu, aber Meinung und Faktum sind zwei unterschiedliche Dinge. Ich habe auch ein gewisse Skepsis davor, zu viel zu psychologisieren, wenn es um Körpersprache geht. Zum Beispiel kann jemand auch einfach so mit verschränkten Armen zurückgelehnt dasitzen, weil es bequem ist, und nicht weil er eine ablehnende Haltung hat. Anhand von Einzelsignalen kann man kein Psychogramm erstellen. Der Narzisst Trump jedenfalls ist eine von den Medien gerne aufgegriffene Meinung, die aber einer wissenschaftlichen Belegung bedarf", betont Verra. Allerdings weiß er auch: "Das Einzige, was im Wahlkampf zählt, ist, wie ein Politiker von den Wählern eingeschätzt wird. Ob das zutrifft oder nicht, spielt bei der Wahlentscheidung gar keine Rolle."

Revolutionäre, aber keine großen Staatenlenker

Einer der Besten in seinem Fach sei Trump. "Er ist ungeschliffen, nicht perfekt, aber wütend. Der haut mit der Faust auf den Tisch und gefällt sich auch noch in seiner Wut. Nur fällt ihm das als Präsident auf den Kopf, weil er sich jetzt staatsmännisch geben müsste, aber immer noch das Gehabe des Revolutionärs hat, der die Staatsführung stürzen will." Genau deshalb gebe es so wenige echte Populisten in Regierungen. Sie würden diese zwar perfekt vor sich hertreiben, "aber in dem Moment, in dem sie selbst an die Macht kommen, müssten sie ihre eigenen Führungsfiguren austauschen, weil sie ab einem gewissen Level mit ihrem wütenden Gehabe keine Akzeptanz mehr finden - ein Alphatier muss souverän sein, aber es darf nicht bedrohlich wirken". Insofern sei es etwa logisch gewesen, Hofer und nicht Strache als FPÖ-Präsidentschaftskandidaten aufzustellen.

Verra ist jedenfalls überzeugt: "Le Pen oder Trump sind an genau der Stelle, für die sie geschaffen wurden. Und sie kippen genau dann, wenn sie dort ankommen, wofür sie nicht geschaffen wurden." Das sehe man nun in den USA besonders gut.

Verra ist überzeugt: "Anhand der Körpersprache führender Politiker kann man auf den Zustand des Volkes schließen." Er erinnert an den Technokraten Mario Monti, der 2011 in Italien auf den populistischen Premier Silvio Berlusconi folgte: "Monti hatte unglaublich hohe Zustimmungsraten in der Bevölkerung, weil er offenbar etwas transportierte, was die Italiener suchten. Die hatten anscheinend einfach genug von Berlusconi mit seinen wilden, ausladenden Gesten, seiner revolutionären Körpersprache, seinem Auf-den-Tisch-hauen. Im Gegensatz dazu stand der fast schon langweilig wirkende Monti mit seiner Krankenkassenbrille und seinen zurückhaltenden, langsamen Bewegungen für genau die Stabilität und Glaubwürdigkeit, die dem Land unter Berlusconi gefehlt hatte." Ähnliches sei auch in Frankreich zu beobachten gewesen: "Dort hat erst Nicolas Sarkozy die Macht übernommen, mit seiner sehr aggressiven Mimik, wo die Augenbrauen von der Mitte aus immer extrem deutlich nach oben gehen. Als die Franzosen mit seiner polarisierenden Politik unzufrieden wurden, suchten sie Harmonie und wählten ausgerechnet François Hollande dessen Mimik Parallelen zu Disney-Figuren aufweist, als neuen Präsidenten. Und jetzt sind sie auf den angefressen, und wer hat die besten Chancen? Marine Le Pen und Emmanuel Macron mit ihrer dynamischen Körpersprache."

Großparteien sollten Potenzial nicht brachliegen lassen

Der Vorteil der meisten Populisten ist, dass sie aus Parteien kommen, die kaum Strukturen haben, meint Verra. Selbst Trump agierte ja lange Zeit außerhalb der Republikanischen Partei. Und auch Macron, der die populistische Le Pen in der französischen Präsidentschaftswahl besiegen könnte, gründete erst für den Wahlkampf seine eigene Partei, nachdem er die Sozialisten verlassen hatte.

Können also Großparteien gar keine Populisten hervorbringen? "Theoretisch schon", meint Verra. "Aber man muss sich das so vorstellen: Da ist zum Beispiel ein ambitionierter Jungpolitiker, der in seiner ersten Parteisitzung mit seiner ganzen Energie auf den Tisch haut und Innovationen fordert. Und dann nimmt ihn irgendein alter Parteigrande in der Pause beiseite und sagt zu ihm: ‚Das hast du ganz toll gemacht, aber nächstes Mal halt dich bitte ein bisschen zurück, ja? Verdien dir erst einmal deine Sporen, dann kannst du reden.‘ Jetzt hat der junge Enthusiast, der Ideen der Mitte hätte, gar keine extrem linken oder rechten, zwei Möglichkeiten: Entweder er verlässt die Partei und geht in die Privatwirtschaft oder eben zu einer populistischen Partei. Oder er passt sich an. Und die, die am Ende überbleiben und irgendwann an die Spitze kommen, sind die Angepassten."

Verra nennt den österreichischen Vizekanzler und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner als deutlichstes Beispiel für solch einen angepassten Politiker, "der gelernt hat, in der Partei ja nirgends anzuecken - und das ist auch an seiner Körpersprache zu sehen". Mitterlehner könnte sich - bei aller inhaltlichen Distanz - bei der Körpersprache manches von Strache abschauen, meint Verra. Die etablierten Parteien lassen jedenfalls aus seiner Sicht kaum Leute mit Charisma an die Spitze, bis auf wenige Ausnahmen: etwa Kanadas Premier Justin Trudeau und Österreichs Kanzler Christian Kern. Letzterem sei der politische Quereinsteiger noch positiv anzumerken: "Er hat sich eben nicht über Jahrzehnte an jemanden anpassen müssen. Er hätte da viel mehr Potenzial, wenn er sich noch ein bisschen lockerer machen würde."

Das Potenzial von Körpersprache-begabten Politikern nicht zu nutzen, hält Verra für einen schweren Fehler der Altparteien: "Nach dem Zweiten Weltkrieg war ausladende Körpersprache nicht en vogue. Da wollte man nach Adolf Hitler auch hier wieder mehr Ruhe und Gelassenheit. Aber wir sind jetzt in einer Zeit, die viel lauter ist, die geprägt ist von Youtube und Twitter, in der alle möglichen Leute alles Mögliche herausposaunen. Da können die Parteien nicht mehr agieren wie in den Sechzigern."

Stefan Verra wurde 1973 in Lienz geboren. Er ist auf vier Kontinenten (außer Australien) als Körpersprache-Experte in verschiedensten Bereichen tätig. Er lehrt an mehreren Universitäten, macht aber auch Live-Shows.
Am 27. April gastiert er im Globe Wien mit seinem Programm "Ertappt! Körpersprache: Echt männlich. Richtig weiblich."
www.stefanverra.com
www.globe.wien