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Im Versuchslabor des Front National

Von WZ-Korrespondentin Judith Kormann

Politik

In Fréjus regiert seit 2014 der Front National. Ein Lokalaugenschein.


Fréjus. Zügig rollt der blitzblaue Peugeot die Strandpromenade entlang. Vorbei an Restaurants, ersten Badegästen, blühendem Flieder in Vorgärten und alten Steinhäusern, bis ins Zentrum von Fréjus. Stolz zeigt Sonia Lauvard auf eine frisch renovierte Straße. "Bevor wir die Stadt übernahmen, war sie in einem schlechten Zustand", sagt die junge Frau und steigt aus dem Wagen. Das blaue Pailletten-Shirt und den dunkelblauen Blazer hat sie nicht zufällig gewählt. Auch nicht ihren Anstecker: eine blaue Rose, das Symbol der Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen. Seit drei Jahren ist Lauvard stellvertretende Bürgermeisterin von Fréjus. 14 Städte Frankreichs fielen nach den Gemeinderatswahlen 2014 an Le Pens rechtspopulistische Partei. Fréjus ist eine der größten.

Die 53.000-Einwohnerstadt an der Côte d’Azur könnte auch irgendwo in Italien liegen. Die Häuser sind in warmem Rot, Orange und Gelb gestrichen. Kleine Gassen schlängeln sich durch die Altstadt. Die Wäsche haben die Bewohner zum Trocknen vor die Fenster gehängt. Auf den ersten Blick vermittelt Fréjus das Bild eines idyllischen Ferienorts. Viele Menschen haben auf den Terrassen der Restaurants und Cafés in der Sonne Platz genommen. Einige von ihnen nicken Lauvard freundlich zu.

"Das Beispiel Fréjus zeigt, dass der Front National regierungsfähig ist", hat David Rachline, der Bürgermeister der Stadt, mehrmals betont. In Fréjus bekommt man den 29-Jährigen in den letzten Wochen kaum zu sehen. Er ist nämlich auch Senator und leitet landesweit die Kampagne von Marine Le Pen.

Wahlkampf mit Sicherheitspolitik

Auf lokaler Ebene kümmert sich Sonia Lauvard um den Wahlkampf. Sie ist fast jeden Tag auf der Straße. An diesem Nachmittag fährt die 33-Jährige mit einer Kollegin in die Nachbarstadt Roquebrune-sur-Argens und verteilt Flugblätter. Auf Ablehnung stoßen die beiden Frauen dabei kaum. Ein Pensionist nimmt das Programm mit Begeisterung entgegen. "Die Politiker der Rechten und der Linken haben doch keine Ahnung von unseren Problemen", poltert der 63-Jährige. "Meine Mutter muss jeden Monat mit 700 Euro Witwenpension überleben. Da kann ich nur hoffen, dass es uns mit Le Pen besser gehen wird", fährt er fort.

Die Zeiten, in denen der Front National schockierte, sind für viele Franzosen Geschichte. In der Region Provence-Alpes-Côte d’Azur schneiden die Rechtspopulisten erfahrungsgemäß gut ab. Anders als in Nordfrankreich treiben die Menschen hier aber nicht Deindustrialisierung und extrem hohe Arbeitslosigkeit an den rechten Rand.

"Im Süden Frankreichs stimmen vor allem Selbständige, Kleinunternehmer und Handwerker für den Front National. Die Partei stellt dort eine Alternative zu den traditionell dominierenden Konservativen dar", analysierte der Soziologe und Front-National-Experte Sylvain Crépon 2014 für die Tageszeitung "Le Figaro".

Mit der Unabhängigkeit Algeriens 1962 ließen sich in der Region auch viele Algerienfranzosen nieder. Die "pieds noirs" sind dem Front National in der Regel stärker zugeneigt als ihre Mitbürger.

In Fréjus war vor David Rachline 17 Jahre lang der Konservative Élie Brun im Amt. 2014 wurde er von einem Gericht wegen Korruption verurteilt, trat aber dennoch zu den Gemeinderatswahlen an. Bruns Stellvertreter ging ebenfalls ins Rennen. David Rachline profitierte von der doppelten Kandidatur. Den Schuldenberg seines Vorgängers, 150 Millionen Euro, konnte er in drei Jahren auf 20 Millionen reduzieren: Großteils durch den Verkauf von Bauland. "Wir haben die Stadt wieder aufgerichtet und das, ohne die Steuern zu erhöhen", freut sich Sonia Lauvard.

Neben den Finanzen rühmt sich die Partei mit verstärkten Sicherheitsmaßnahmen. Die Zahl der Polizisten wurde aufgestockt, die Waffen und Fahrzeuge erneuert. In Frankreich soll wieder Ordnung herrschen, so das Credo der Parteichefin Le Pen. "In Fréjus stellt die Sicherheit allerdings kein echtes Problem dar", muss Lauvard zugeben.

Einschüchterung der Opposition

"Die Partei schafft ein Klima der Angst. Damit hat sie vor allem bei der älteren Bevölkerung Erfolg", erklärt der Journalist Eric Farel. Farel leitet die örtliche Agentur der Lokalzeitung "Var Matin". Zwischen seiner Redaktion und dem Team des Bürgermeisters gab es des Öfteren Spannungen: "Sobald wir etwas publizieren, das gegen die Parteilinie geht, werden wir als politische Gegner dargestellt", sagt er.

Dann verfinstert sich seine Miene: "Mich beunruhigen nicht die Leute, die heute in Fréjus im Rathaus sitzen, sondern vielmehr, wie diese Leute reagieren werden, wenn Le Pen zur Präsidentin gewählt wird."

Probleme mit der Presse und Einschüchterung der Opposition sorgten in mehreren Städten der Rechtspopulisten für Aufsehen - trotz deren Bemühen um ein makelloses Image. Üben gemeinnützige Vereine Kritik an der Partei, werden nicht selten die finanziellen Mittel gekürzt. Das "Comité de défense des intérêts généraux de Fréjus-plage" machte im Dezember 2015 gegen ein Bauprojekt der Stadt an der Strandpromenade mobil. Wenig später bekam der Verein die Anordnung, die Räumlichkeiten zu verlassen, die ihm Fréjus seit 1927 zur Verfügung stellt. "Auch mit dem früheren Bürgermeister gab es Unstimmigkeiten. Aber die regelten wir im Dialog. Jetzt werden wir einfach rausgeworfen", klagt der Präsident des Vereins Jean-Paul Radigois.

Selbst das Klima in der Stadt habe sich verändert. "Die Leute nehmen sich kein Blatt mehr vor den Mund", sagt Insaf Rezagui. Die 23-jährige Studentin engagiert sich seit vier Jahren in der Sozialistischen Partei. Sie musste gegen zwei Mitglieder des Front National Klage einreichen. "Ich wurde über die sozialen Netzwerke beschimpft und sogar mit dem Tode bedroht", erzählt sie. Heute hat die 23-Jährige vor allem ein Ziel: den Front National aus Fréjus zu vertreiben.

"Manche Leute grüßenmich nicht mehr"

Unweit des Rathauses führt Jean-Yves Grolleau mit seiner Frau Cathy das Geschäft "Mine de rien". Seit 40 Jahren bietet er Schmuck und Souvenirs zum Verkauf an. Der Ladenbesitzer erinnert sich noch gut an den Tag nach den Gemeinderatswahlen. Damals hätten ihm Kunden ganz ungeniert gesagt, dass nun hoffentlich alle Araber die Stadt verlassen würden. "Solche Aussagen habe ich früher nie gehört", meint Grolleau bitter. Seit das Ehepaar seine Meinung über die Partei öffentlich gemacht hat, bleiben auch die Kunden weg. Das Verhalten der Mitbürger sei beängstigend. "Manche Leute grüßen mich auf der Straße nicht mehr, nur weil ich gegen den Front National bin. Sie drehen ihre Fahne einfach nach dem Wind", seufzt Cathy Grolleau.

Hört man sich auf der Straße um, ist der Tenor eher positiv. "Negative Veränderungen sind mir keine aufgefallen. So viel steht fest", sagt eine ältere Dame. Sie werde auch bei den Präsidentschaftswahlen für Le Pen stimmen. "Seit Rachline im Amt ist, lebt das Stadtzentrum wieder auf", bestätigt der Buchbinder Aurélio Ferreri, der vor seinem Laden die letzten Sonnenstrahlen genießt.

Langsam bricht die Dämmerung über der Stadt herein. Am Hafen eröffnen einige Stadtbewohner und erste Urlaubsgäste die Vorsaison. Bars mit Namen wie "La Palmeraie" oder "Salambo" samt grellen Neonlichtern auf den Dächern spielen Lieder von Manu Chao und Rihanna. In einer abgelegenen Bar fällt das Gespräch auf die Präsidentschaftswahlen. Ein Gast erhebt die Stimme. Er hat bereits getrunken, torkelt leicht und gestikuliert wild. "Wir lassen uns von den Politikern alles gefallen. Da muss ein Wechsel her, und zwar mit dem Front National", grölt er. Der Barbesitzer versucht ihn zu mäßigen.

"Ich verstehe, dass viele Franzosen die Politik satthaben. Aber die Geschichte hat uns doch gezeigt, was Fremdenhass anrichten kann. Das darf sich nicht wiederholen", ist er überzeugt. Öffentlich traut er sich aber nicht, seine Meinung zu sagen. Nicht einmal seinen Namen will er nennen. "Ich bin auf meine Kunden angewiesen. Sage ich etwas gegen den Front National, dann könnte das für mich negative Folgen haben." Er zögert kurz. "Früher musste ich mir solche Sorgen nicht machen," fügt er hinzu.