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Durchstarter im Wahlfinale

Von WZ-Korrespondentin Birgit Holzer

Politik

Im Endspurt legt der französische Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon spektakulär zu. Der Volkstribun setzt dabei auf die Neuen Medien - und kommt damit gerade bei Frankreichs Jugend an.


Paris. Jean-Luc Mélenchon gab es in diesem Wahlkampf mehrmals. Modernste Technik nutzte der linke Präsidentschaftskandidat, um sich bei Kundgebungen durch ein Hologramm, eine 3D-Projektion, an verschiedenen Orten gleichzeitig zu zeigen. So auch am gestrigen Dienstagabend, wo er seinen Anhängern nicht nur real in Dijon erschien, sondern virtuell in fünf weiteren Städten, darunter auch im Übersee-Departement La Réunion. Wie immer sprach der stets leger auftretende 65-Jährige ohne Manuskript und schritt dabei die Bühne auf und ab. Sein unkonventioneller Stil spricht vor allem jüngere Wähler an. Auch füttert Mélenchon ausgiebig die sozialen Netzwerke, seinen Blog und unterhält seinen eigenen YouTube-Kanal, der inzwischen fast 300.000 Abonnenten zählt. Ausgerechnet das Urgestein unter den Kandidaten nutzt besonders innovative Wahlkampftechniken.

Das kommt an. Bei Auftritten versammelt Mélenchon zehntausende enthusiastische Anhänger, nach TV-Debatten überzeugte der humorvolle und charismatische Redner die Zuschauer im Durchschnitt mehr als seine Rivalen. Zuletzt holte der linke Volkstribun mit seiner Bewegung "Das aufständische Frankreich" ("La France Insoumise") kontinuierlich auf. Derzeit liegt er bei 19,5 Prozent und damit nur noch wenige Punkte hinter dem Linksliberalen Emmanuel Macron und der Rechtspopulistin Marine Le Pen. Der Einzug in die Stichwahl erscheint zwar unwahrscheinlich, aber möglich. Deshalb gab der Unternehmerverband Medef nun eine klare Warnung vor Mélenchons EU-kritischem und kostspieligem Programm aus - was dieser als Komplement nimmt.

Er habe "selten das französische Volk dermaßen orientierungslos gesehen", sagt der Linkspolitiker über den Wahlkampf, bei dem die traditionellen Volksparteien nur mit großer Mühe mobilisieren. Es ist die Chance all derer, die das "System" und die "Eliten-Kaste" anklagen und einen echten Wandel, ja eine Revolution versprechen.

Umverteilung, Pension mit 60 und die sechste Republik

Zu ihnen gehört Mélenchon, der eine radikale Umverteilung von Wohlstand, eine Besteuerung bis zu 100 Prozent und eine Rückkehr zur Rente mit 60 fordert - auf Pump. Außerdem will er einen Total-Umbau der Institutionen. "Ich werde der letzte Präsident der Fünften Republik sein", verkündet der geschiedene Vater einer Tochter, die ebenfalls Linkspolitikerin ist. Mit einer vom Volk abgesegneten neuen Verfassung verspricht Mélenchon, die "Präsidenten-Monarchie" abzuschaffen und das Parlament zu stärken. Dank einer "grünen Regel" soll der Umweltschutz Vorrang erhalten, außerdem will Mélenchon die "Rolle Frankreichs für den Frieden" in der Verfassung festschreiben. Der Kampf gegen Kriege sei zugleich einer gegen die Flüchtlingskrise.

Mehr als 30 Jahre lang war der im marokkanischen Tanger - damals französisches Protektorat - geborene Linke Mitglied der Sozialisten. Der Sohn eines Angestellten im Fernmeldedienst und einer Lehrerin arbeitete während des Philosophiestudiums in Besançon unter anderem als Journalist, bevor er in die Politik ging - als Generalrat, Senator und zeitweise Staatsminister für berufliche Bildung. 2008 verließ er die Partei, die ihm zu weit in die Mitte gerückt war. Mélenchon gründete in der Folge die Links-Front, deren Co-Vorsitzender er bis 2014 war. Bei der Präsidentschaftswahl 2012 mobilisierte er wie in diesem Jahr viele Anhänger, erzielt letztlich aber nur elf Prozent.

Angela Merkel und Natoals Feindbilder

Nun kann er auf deutlich mehr hoffen. Im Wettkampf mit dem sozialistischen Kandidaten Benoît Hamon hat er mehr Menschen überzeugt und damit zu dessen Abstieg in der Wählergunst einiges beigetragen. Zwar teilen beide die scharfe Kritik an der unternehmerfreundlichen Politik von Präsident François Hollande, den Mélenchon in gewohnter Spottmanier einst einen "Tretboot-Kapitän" nannte. Eine Vereinigung der Linken scheiterte an beider Unnachgiebigkeit. Zwar sind sie sich bei den Forderungen nach einem Atomausstieg und einer 32-Stunden-Woche einig. Anders als Hamon ist der EU-Parlamentarier Mélenchon allerdings ein EU-Skeptiker, der aus den europäischen Verträgen wie auch aus der Nato aussteigen will. Vor allem das konservative Deutschland sieht er als Hauptgegner. In seinem Buch "Bismarcks Hering - Deutsches Gift" kritisierte er 2015 scharf das in seinen Augen übermächtige, unsoziale Nachbarland. "Maul halten, Frau Merkel!", twitterte Mélenchon nach einer Ermahnung aus Berlin um mehr Reformbemühungen. Für seinen rabiaten Umgang ist er auch bei Journalisten berühmt-berüchtigt, die er bisweilen als "faschistische Spione" bezeichnet. Wenn möglich, umgeht er daher die klassischen Medien - und betreibt lieber seine eigenen im Internet.