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Eine hervorragende Wahl

Von Frankreich-Korrespondentin Birgit Holzer

Politik

Die französische Präsidentenwahl ist eine beispiellose Klatsche für die etablierten Volksparteien.


Paris. Die gute Nachricht zuerst: Die Franzosen haben gestern dem unabhängigen Kandidaten Emmanuel Macron die Chance gegeben, bei der Stichwahl am 7. Mai nächster Präsident Frankreichs zu werden. Und damit einem überzeugten Pro-Europäer und Vertreter einer jüngeren Politiker-Generation, der die bisherigen Koordinaten der Politik verschieben, die alte Links-Rechts-Konfrontation aufbrechen und im Zentrum regieren will; der die Akzente auf eine Liberalisierung der Wirtschaft bei Beibehaltung eines schützenden Sozialmodells legt.

Damit bescherten die Wähler dem Republikaner François Fillon ein frühzeitiges Aus, der nicht mehr glaubwürdig war durch den Skandal wegen Scheinbeschäftigung und die Betrugsvorwürfe gegen ihn. Das bewies er auch mit seinen heftigen Angriffen auf die Justiz, die gegen ihn ermittelt, sowie Medien, die enthüllten, dass er doch nicht der aufrecht-ehrliche Staatsmann ist, als der er sich präsentierte. Fillon vertritt eine Politiker-Klasse, die seit Jahrzehnten die Macht unter sich aufteilt und den Franzosen Einschnitte empfiehlt, während sie selbst das bestehende System ausnutzt. Zu Recht kam nun die Abstrafung.

Klatsche für die etablierten Volksparteien 

Diese Wahl ist eine beispiellose Klatsche für die etablierten Volksparteien - beide hatten ihren Kandidaten mit Vorwahlen gekürt, beide wurden nur teilweise vom eigenen Lager unterstützt, beide scheiterten. Denn auch den Sozialisten Benoit Hamon katapultierte das Votum ins Abseits, der sich fragen muss, warum seine Vorschläge wie ein bedingungsloses Grundeinkommen nicht ankamen. Hamons Ideen mochten innovativ erscheinen - aber angesichts der wirtschaftlichen Schwäche Frankreichs illusorisch. Die Wahl zeigt ein großes Potenzial für die Linke in Frankreich, die insgesamt die Mehrheit hat - aber die sozialliberale Linie Macrons setzte sich durch. Weil sie realistisch ist und Brücken schlägt.

So riss der linke Klassenkämpfer Jean-Luc Mélenchon mit seinen Forderungen nach einer radikalen Umverteilung von Wohlstand und einem Abschied Frankreichs aus der EU und der Nato zwar viele Franzosen mit. Dass er auch regieren kann, trauten sie dem wortgewaltigen Volkstribun aber dann doch nicht zu.

Ergebnis eine Enttäuschung für Le Pen

Auch eine weniger gute Nachricht brachte diese erste Wahlrunde hervor. Rechtspopulistin Marine Le Pen erreicht die Stichwahl, wobei ihr Ergebnis geringer ausfiel als erwartet. Das Ergebnis ist eine Enttäuschung für sie; dennoch gelang es der Chefin des Front National, mit ihren Forderungen nach einem Einwanderungsstopp und einem Referendum über einen EU-Austritt viele Menschen an einer empfindlichen Stelle zu treffen: Sie rührte an der Frage nach ihrer Identität. Ihre Wähler haben Angst, in der Globalisierung unterzugehen. Angst, gegenüber Muslimen und Ausländern in die Minderheit zu geraten.

Zwar kann sie in zwei Wochen kaum mehr zur Präsidentin gewählt werden, weil eine Mehrheit der Menschen gegen sie stimmen dürfte. Mit Macron hat sie einen Gegner, der Vertreter verschiedener Lager auf seine Seite ziehen und einen Konsens schaffen kann. Das macht Le Pens Gewinnaussichten minimal. Doch sie kam weit.

Bemerkenswert erscheint bereits, dass ihre Qualifizierung niemanden überrascht - ein starker Front National ist längst Normalität. Le Pen erlebt gerade den größten Triumph ihrer bisherigen Laufbahn: Sie übertrifft nicht nur ihr eigenes Ergebnis der Wahl 2012 deutlich, als sie an dritter Position landete. Sondern sie überflügelt auch ihren Vater Jean-Marie Le Pen, der 2002 überraschend und zum Entsetzen vieler Franzosen die zweite Runde der Präsidentschaftswahl erreichte; allerdings nur mit knapp 18 Prozent der Stimmen. Er profitierte damals von der Zerstrittenheit und dem Vertrauensverlust der großen Volksparteien - wie nun seine Tochter. Auch macht sie sich die Wut über die französischen Eliten zunutze, die das Land "an den Abgrund führten". Dass ihre Politik genau diese Folgen hätte - Stichwort Austritt aus der Euro-Zone -, übersehen ihre Wähler geflissentlich.

Zwei Visionen stehen sich künftig gegenüber: Le Pens tiefschwarzes Bild von einem Frankreich, das von Brüssel und Berlin fremdbestimmt werde und dessen wirtschaftliche Probleme allein den Kosten der Einwanderung und dem unlauteren Wettbewerb anderer EU-Länder geschuldet seien. Dagegen schlägt sie Abschottung in jeder Hinsicht vor - wirtschaftlich, mental, politisch.

Diametral entgegengesetzt erscheint Macrons Ansatz, der dem Land wieder Mut machen, Blockaden lösen, es nicht nur in Europa halten, sondern zu einem starken Partner ausbauen will. Wie eine gute Nachricht bei der Stichwahl lauten würde - und wie die schlechte? Die Antwort erscheint eindeutig.