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Ein kometenhafter Aufstieg

Von WZ-Korrespondentin Birgit Holzer

Politik

Wie konnte der 39-jährige Newcomer Emmanuel Macron so schnell so weit kommen?


Paris. "Ich habe das Gefühl, dass wir noch von dir hören werden." Zunächst war es wohl nur eine vage Vorahnung des französischen Finanzministers Michel Sapin, als sein junger Kollege Emmanuel Macron am 31. August letzten Jahres aus dem Kabinett verabschiedet wurde. Macron trat als Wirtschaftsminister zurück, um sich in ein politisches Abenteuer zu stürzen, das aussichtslos, ja halsbrecherisch erschien: mit seiner eigenen, im April gegründeten Partei "En marche!" ("In Bewegung!") bei der Präsidentschaftswahl zu kandidieren. Viele Franzosen misstrauten dem Absolvent von Elitehochschulen, der als Investmentbanker beim Geldhaus Rothschild arbeitete, bevor er sich von Präsident François Hollande zunächst als Wirtschaftsberater, dann als Minister anheuern ließ. Sie warfen ihm vor, mit seinen unternehmerfreundlichen Liberalisierungsreformen soziale Standards auszuhöhlen.

Irgendwo zwischenlinks und rechts

Gerade die Sozialisten, denen er nur von 2006 bis 2009 angehörte, provozierte Macron, etwa indem er den Spruch losließ, jeder junge Franzose solle "Lust haben, Millionär zu werden" - genau wie er selbst. Auf der politischen Skala positionierte sich der jugendlich wirkende Ex-Minister riskant, nämlich irgendwo zwischen links und rechts in einem Land, das seit Jahrzehnten von der traditionellen Konfrontation zwischen Sozialisten und Konservativen geprägt war, zuletzt nur durchbrochen vom Aufstieg des rechtsextremen Front National.

Auch als die Volksparteien schwächelten und Macrons Umfragewerte stiegen, galt das weiter als "Medien-Blase", zumal die Presse dem smarten Aufsteiger erkennbar zugetan war. Allerdings gewann er einflussreiche Persönlichkeiten wie den sozialistischen Bürgermeister von Lyon, Gérard Collomb, oder den Wirtschaftswissenschafter Jean Pisani-Ferry als Unterstützer.

Später schlossen sich ihm weitere Schwergewichte verschiedener Lager an, vom früheren konservativen Premierminister Dominique de Villepin bis zu François Bayrou, der ihm als erfahrener und geerdeter Zentrumspolitiker zu zusätzlicher Legitimität verhalf. Nie zuvor hatte Macron bei einer regionalen oder kommunalen Wahl kandidiert, diesen Weg einmal sogar als "Laufbahn einer vergangenen Zeit" bezeichnet - auch das brachte ihm scharfe Kritik ein. Sein Vorpreschen erschien allzu dreist und kränkte auch seinen politischen Ziehvater, Präsident François Hollande, der in der Folge auf eine erneute Kandidatur verzichtete. Und doch gab Sapin, ein enger Freund Hollandes, Macron bei seinem Kabinetts-Abschied am 31. August 2016 bedeutungsschwere Worte mit auf den Weg: "Ich wünsche dir viel Glück. Hoffentlich wird es das Glück für uns alle."

"Ich höre die Zweifelund die Wut"

Knapp acht Monate später am Abend der ersten Runde der Präsidentschaftswahl steht der Politik-Novize etwas überwältigt vor seinen ausgelassenen Anhängern. Mit 23,8 Prozent konnte er sich als stärkste Kraft für die Stichwahl am 7. Mai qualifizieren. Rechtspopulistin Marine Le Pen liegt mit 21,4 Prozent klar hinter ihm, obwohl ihr Umfragen monatelang den ersten Platz vorausgesagt hatten. Sie ist künftig Macrons einzige Gegnerin. Er wiederum sendet Signale der Einheit und des Zusammenhalts an alle anderen aus, um "unser Frankreich zu versöhnen": "Ich höre die Zweifel und die Wut des französischen Volkes. In zwei Wochen möchte ich euer aller Präsident werden", sagt Macron mit tragendem Ernst. "Es geht darum, eine neue Seite unseres politischen Lebens aufzuschlagen."

Der Optimismus und die Hoffnung auf einen Neubeginn, den der 39-Jährige im Wahlkampf ausstrahlen wollte, tragen ihn selbst an diesem historischen Sonntagabend. Auf der Bühne gibt er seiner Frau Brigitte einen Kuss und spricht ihr seinen Dank aus: "Ohne dich wäre ich heute nicht hier."

Für viele bewies Macron bereits mit seiner Partnerwahl die Fähigkeit, aus üblichen Rastern auszubrechen: Brigitte Macron war einst Lehrerin an seiner Schule in Amiens und verheiratete Mutter von drei Kindern, als sie sich ineinander verliebten. Am Wahlkampf beteiligte sich die energische 63-Jährige aktiv. Sie könnte Frankreichs nächste Première Dame werden.

Umfragen sehen Macron bereits klar vor Le Pen. Deren Anhänger kritisieren am nächsten Tag, er sei sich seiner Sache viel zu sicher und benehme sich, als habe er bereits gewonnen. "Mit Helium aufgeblasen" nennt ihn der Generalsekretär des Front National, Florian Philippot: Während der unabhängige Kandidat "alle Medien-Chefs im Hemdsärmel" trage, vertrete nur Le Pen das Volk. Die scharfe Reaktion lässt Enttäuschung durchscheinen. Zwar bleibt der Einzug in die Stichwahl ein Triumph für den Front National, der erstmals die Marke von 20 Prozent bei Präsidentschaftswahlen übertroffen hat. Immerhin rund 7,6 Millionen Franzosen haben für Le Pen gestimmt. Doch sie wirkt chancenlos, da sich bereits eine Anti-Front der Macron-Unterstützer bildet. Den Anfang machte der sozialistische Kandidat Benoît Hamon, der mit nur 6,3 Prozent hinter den ohnehin geringen Erwartungen zurückgeblieben war. Er wolle, so Hamon, damit ein eindeutiges Zeichen gegen den Front National setzen, das Parteibüro zog am Montag nach. Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon konnte sich hingegen nicht zu dieser Entscheidung durchringen: Seine 19,6 Prozent der Stimmen, die er erhielt, will er nicht ohne Weiteres dem "ultraliberalen" Macron schenken: Seine Anhänger rief Mélenchon auf, über seine Internet-Plattform abzustimmen.

"Ich habe Respekt für die Stimmen der Linken und Mélenchon, aber nicht zur Wahl gegen Madame Le Pen aufzurufen, ist ein unhaltbarer Fehler, wenn man links steht", reagierte Sozialisten-Chef Jean-Christophe Cambadélis am Montag, wohl wissend, dass seiner Partei schwere Unruhen bevorstehen.

"Republikanische" Barriere gegen die extreme Rechte

Auch Ex-Premierminister Manuel Valls sprach von einer "Phase der Dekonstruktion". Dasselbe gilt für die Republikaner, über die sogar das konservative Blatt "Figaro" titelte: "Die Rechte ist K.o." Dabei hatten diese bei dieser Präsidentschaftswahl ursprünglich ausgezeichnete Siegchancen. In einer viel beachteten Vorwahl mobilisierten sie zahlreiche Wähler und bestimmten mit Fillon ihren Kandidaten - der sie dann mit in seinen Affärensumpf zog.

Wochenlang bestimmten die Vorwürfe der Scheinbeschäftigung seiner Frau und zwei seiner Kinder, die Enthüllungen über seinen aufwendigen Lebensstil und teure Geschenke zwielichtiger Spender die Schlagzeilen. Sie machten Fillon unglaubwürdig, der sich als "Kandidat der Ehrlichkeit" und mutiger Reformer präsentieren wollte. Viele seiner Anhänger sahen ihren Kandidaten als Opfer der Medien: "Sie haben ihm keine Chance gelassen", schrieb Fillon-Wähler Sébastien in den sozialen Netzwerken: "Welche Naivität zu glauben, Macron bedeute Neuanfang!" Noch am Wahlabend übernahm der Ex-Premier, der mit 20 Prozent nur Drittplatzierter wurde, die Verantwortung für die Niederlage und lange dauerte es nicht, bis die ersten Parteifreunde nachtraten. "Nicht die bürgerliche Rechte hat verloren, sondern François Fillon", erklärte der frühere Arbeitsminister Eric Woerth am Montag.

Wie die überwiegende Mehrheit der Republikaner, darunter auch der glücklose Kandidat selbst, rief er zur Wahl Macrons auf. Danach erklärte er, sich zurückzuziehen und die bürgerliche Rechte nicht in die Parlamentswahlen im Juni führen zu wollen.

Erstmals sind zwar beide großen Volksparteien vorzeitig bei der Präsidentschaftswahl gescheitert. Aber sie konzentrieren sich nun auf die Parlamentswahlen im Juni, um sich dennoch Machtoptionen zu bewahren. Erst dann entscheidet sich, ob der Präsident Allianzen mit anderen Lagern bilden muss - denn die Mehrheitspartei in der Nationalversammlung stellt den Regierungschef. Bei Le Pen dürfte das im Falle eines Wahlsieges schwierig werden; "En Marche!" wiederum stellt zwar in allen Wahlkreisen eigene Kandidaten auf. Doch im Zweifelsfall könnte er auch mit den Sozialisten oder den Republikanern Koalitionen bilden. Es wäre Neuland für Frankreich, doch das scheint Macron nicht zu fürchten - so wie er in der Vergangenheit nichts für unmöglich hielt. Nicht einmal, der jüngste Präsident in Frankreichs Geschichte zu werden.