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Das Strafverfahren als Geschenk

Von WZ-Korrespondentin Kathrin Lauer

Politik

Die Zentraleuropäische Universität sei nicht in Gefahr, meinte Ungarns Premier Orbán vor dem EU-Parlament.


Budapest. Das von Viktor Orbán geführte Ungarn bedroht durch ein neues Hochschulgesetz die Existenz der renommierten Budapester US-Hochschule Central European University (CEU). Die dort betriebene freie wissenschaftliche Tätigkeit ist der Regierung ein Dorn im Auge - zumal sie vom US-Milliardär George Soros finanziert wird. Soros wird von zum Autoritarismus neigenden Politikern wie Orbán zunehmend zum Gegner par excellence hochstilisiert. In der Causa CEU hat die EU-Kommission am Mittwoch ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn eingeleitet. Die erste Stufe dabei ist ein Brief aus Brüssel, den Ungarn binnen eines Monats beantworten muss.

Die "Lex CEU" verstößt laut Kommission gegen mindestens fünf EU-Gesetze, gegen europäische Grundrechte und internationale Handelsabkommen. Die Neuregelung sieht nämlich vor, dass Universitäten, die aus Nicht-EU-Ländern stammen, in Ungarn nur noch tätig sein dürfen, wenn dies durch einen bilateralen Vertrag mit ihrer Heimatregierung beschlossen wird und sie dort ebenfalls einen Campus betreiben. Beide Bedingungen treffen auf die CEU - als einzige Hochschule in Ungarn - nicht zu. Und sie sind innerhalb der kurzen Frist bis 1. Jänner 2018 nicht erfüllbar.

Soros’ Universität in Budapest "nicht in Gefahr"

Das Gesetz verletze EU-Regeln zum Binnenmarkt, zur Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit, zur akademischen Freiheit und zum Recht auf Bildung. Es verstoße sogar gegen Regeln der Welthandelsorganisatin WTO, mit der Brüssel gute Beziehungen pflegen will, erläuterte die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström laut der ungarischen Internet-Zeitung "index.hu" bei einem Hintergrundgespräch in Brüssel.

All das scheint Orbán kalt zu lassen. "Heute brauchen wir ungarischen Schneid. Bin unterwegs nach Brüssel", postete er am Mittwoch vor dem Auftritt im EU-Parlament, wo eine Debatte über seine Politik angesetzt war, auf Facebook. Zuletzt war Ungarns Premier dort im Mai 2015 zu Gast gewesen, weil er mit Forderungen nach einer Wiedereinführung der Todesstrafe für Entsetzen gesorgt hatte. Jetzt aber war Soros Orbáns Leitmotiv in seiner Rede vor den EU-Abgeordneten: Soros habe mit seinen Finanzspekulationen Millionen Europäer ins Unglück gestürzt und wolle über seine Stiftungen jährlich eine Million Migranten nach Europa bringen.

Die Vorwürfe der EU-Kommission zu Einschränkungen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie Freiheit der Wissenschaft wies er scharf zurück: Das seien "grundlose Anschuldigungen", die Zentraleuropäische Universität in Budapest sei "nicht in Gefahr".

Publizistisch flankiert wurde Orbáns Trip nach Brüssel mit der Schlagzeile "Orbán in der Höhle von Soros" in der ultra-rechten Zeitung "Magyar Hirlap". Dort wurde auch berichtet, dass Soros 226 EU-Parlamentarier als seine Mitstreiter betrachte - dies würde eine interne, von der Hackergruppe DC Leaks veröffentlichte Liste beweisen. DC Leaks steht im Verdacht, zusammen mit dem russischen Geheimdienst den US-Wahlkampf zugunsten von Donald Trump beeinflusst zu haben.

Orbáns Kampfeslust deutet darauf hin, dass er das Strafverfahren - wie bereits die früheren Rügen aus Brüssel - als politisches Geschenk nutzen will. Denn dem Premier bleiben damit die Lieblingsfeinde erhalten: die EU und Soros. Unter Ungarns unabhängigen Politologen gilt längst als banaler Fakt, dass Orbán zur Konstruktion seines politischen Profils Feinde und Kampfsituationen braucht.

"Lasst uns Brüssel stoppen" liest man seit Wochen auf großen Plakaten in ganz Ungarn. Es ist der Slogan der von der Regierung initiierten Befragungsaktion "Stopp Brüssel". Die EU als alt-neue Zielscheibe kann auch für viele Ungarn vergessen machen, dass Orbán sich in der CEU-Affäre außenpolitisch verkalkuliert hat: Er hatte nämlich damit gerechnet, dass der von ihm bewunderte Trump ihn in Sachen CEU unterstützen werde. Das war ein Irrtum, stattdessen kam eine Rüge aus dem State Department.

Kanzleichef János Lázár hatte schon im Vorfeld verlautbart, dass die Europäische Volkspartei (EVP), zu der auch Orbáns Fidesz gehört, von Soros kontrolliert werde. "Tag und Nacht" seien dessen Leute "im Umkreis der EVP-Führung", so Lázár. Die Beziehungen des Fidesz zur EVP sind seit Jahren angespannt, doch kam die Kritik an den Ungarn bisher nur vereinzelt - etwa von der Luxemburgerin Viviane Reding, aus den skandinavischen Ländern, hin und wieder auch von Angela Merkel - und zuletzt auch von polnischen EVP-lern, weil Orbán die nationalpopulistische Regierung in Warschau unterstützt, deren Partei nicht zur EVP gehört.

Nach dem Skandal um die CEU wurde endlich auch der deutsche EVP-Fraktionsvorsitzende Manfred Weber deutlich: "Auch für Orbán gibt es rote Linien", sagte er dem "Spiegel". Weber ist Politiker der CSU, einer Partei, die bisher - anders als ihre "Schwester" CDU - demonstrativ freundlich mit Orbán umging. Im "Spiegel" drohte Weber Fidesz nun mit dem Ausschluss aus der EVP.

EVP will sich am Samstagmit Fidesz befassen

Unterdessen bemühten sich die Fidesz-EU-Parlamentarier, die Wogen zu glätten. Die linke ungarische Tageszeitung "Népszava" zitierte am Mittwoch einen als Besänftigung gedachten Brief der Fidesz-Gruppe im EU-Parlament an die EVP. "Wegen unserer kühnen und oft ungewöhnlichen Lösungen sind wir, und insbesondere Ministerpräsident Viktor Orbán, ständig angegriffen worden", heißt es da. "Wir sind nicht perfekt, nicht jeder Versuch ist gelungen, aber wir sind flexibel und bereit, einen konsistenten Dialog über die Zukunft unseres Landes und Europas zu beginnen."

Am Samstag will sich die EVP am Rande des Gipfeltreffens in Brüssel mit der Causa Fidesz befassen. Zum Ausschluss werde es nach Ansicht von Edit Inotai aber nicht kommen. Inotai war jahrelang Deutschland-Korrespondentin des im vorigen Jahr stillgelegten liberalen Traditionsblatts "Népszabadság". Im Unionslager hoffe man, so Inotai, Orbán über die EVP-Zugehörigkeit besser kontrollieren zu können.