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Sie glauben an Marine

Von WZ-Korrespondentin Birigit Holzer

Politik

In wenigen Tagen wählen die Franzosen ihren nächsten Staatschef. Le Pen schießt schießt sich auf Macron ein.


Villepinte. Sie heißen Pedro, Nastasja und Dimitri. Aus Portugal, Polen und Armenien stammen ihre Vorfahren, aber sie selbst sind Franzosen und werden sich bei der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl an diesem Sonntag beteiligen. Entschieden sind sie schon; trotzdem wollen sie in Villepinte, rund 20 Kilometer nördlich von Paris, die Frau hören und sehen, der sie ihre Stimme geben: Marine Le Pen. Also der Politikerin, die künftig verhindern möchte, dass Leute wie einst ihre eigenen Eltern oder Großeltern ohne weiteres eingebürgert werden können. Jener Frau, die einen "Einwanderungs-Stopp" und die "nationale Priorität" fordert, um Franzosen bei der Vergabe von Jobs, Sozialwohnungen und -leistungen zu bevorzugen.

"Es ist doch normal, Frankreich den Franzosen zurückzugeben", sagt der 30-jährige Pedro, der als Concierge in einem Pariser Vorort arbeitet. "Marine ist die einzige, die für Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit einsteht. Ich bin Portugiese, aber finde mich in diesen Werten wieder."

"Choisir la France"

Nur Marine biete Schutz vor dem Terrorismus und habe ein echtes Sicherheitsprogramm, sagt die 21-jährige Studentin Nastasja Ducolombier. Ob sie die Vorschläge von Le Pens Rivalen Emmanuel Macron kenne? "Nein, hat er welche?" Die Rechtspopulistin wolle endlich hart gegen salafistische Prediger vorgehen und alle aus dem Land werfen, die terroristischer Aktivitäten verdächtigt werden, fügt ihr Freund Dimitri Blanchard hinzu. Und wenn es sich um Franzosen handelt - wohin ließen sich diese ausweisen? Der junge Mann zuckt die Schultern. In der Halle ist derweil schon alles vorbereitet. Der Slogan "Choisir la France", "Frankreich wählen", prangt in weißen Lettern auf blauem Hintergrund hinter dem Rednerpult. Frankreich-Fahnen werden an die Besucher verteilt, damit sie diese in die Luft reißen, wenn Le Pen gleich ihre Liebe zum Land und dessen Volk, das sie vertrete, beschwört.

Viele junge Leute sind gekommen. Doch nur allmählich füllt sich der Saal, während hinten eine weite Fläche frei bleibt.

Villepinte liegt im ärmsten Département Frankreichs, viele Nachfahren von Einwanderern leben hier, die Arbeitslosigkeit ist hoch. Le Pen will sich zwar zum Sprachrohr der Abgehängten machen, doch in dieser Gegend erhielt sie nur 13,6 Prozent der Stimmen, während mehr als jeder Dritte den Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon wählte und der unabhängige Kandidat Macron auf 24 Prozent kam. Zwar sagen Umfragen dem 39-jährigen Ex-Wirtschaftsminister bei der Stichwahl einen Sieg voraus, der auf eine breite, parteiübergreifende Unterstützung bauen kann.

Hilfe von Dupont-Aignan

Doch Gewissheit gibt es nicht: Eine geringe Wahlbeteiligung könnte sich ebenso zu seinen Ungunsten auswirken wie die Reaktion Mélenchons, der sich zwar gegen Le Pen aussprach, aber nicht eindeutig für Macron.

Nicht zuletzt nutzt der 48-jährigen Rechtspopulistin die Unterstützung des EU-Kritikers Nicolas Dupont-Aignan, der mit seiner Bewegung "Debout la France" ("Aufrechtes Frankreich") 4,7 Prozent der Wählerstimmen erhielt. Waren die beiden Politiker bisher erbitterte Gegner, so verspricht Le Pen dem 56-Jährigen nun, ihn im Falle eines Wahlsieges zum Premierminister zu machen. Beide schlossen eine "patriotische und republikanische Allianz", in der sie unter anderem "wirtschaftlichen Patriotismus" fordern.

Mit enthusiastischen "Nicolas"-Rufen wird Dupont-Aignan als Vorredner in Villepinte gefeiert. "Es geht darum, Frankreich zu retten, es mit Ruhe und Entschlossenheit wieder aufzurichten", ruft er. "Das wird nur möglich sein, indem wir uns von diesem schlechten Gefängnis der EU befreien." Ein Satz in der gemeinsamen Erklärung ließ aufhorchen: "Der Übergang der Einheitswährung zu einer gemeinsamen europäischen Währung ist keine Vorbedingung für jede Wirtschaftspolitik, der Kalender wird an die unmittelbaren Prioritäten angepasst."

In einem Interview erklärte Le Pen entgegen ihrer bisherigen Forderung nach "monetärer Souveränität", Frankreich müsse nicht sofort die Euro-Zone verlassen; erst einmal werde mit der EU verhandelt. Angesichts einer Mehrheit der Franzosen, die gegen einen Euro-Austritt sind, ist diese Wende verständlich - und erstaunt doch. Bei ihrem Auftritt hält sich Le Pen aber nicht mit solchen Details auf, sondern konzentriert sich auf ihr Hauptthema: die Kritik am Gegner.

Macron sei die Verkörperung von Arroganz, das Gesicht der Finanzwelt und gehöre einer Oligarchie an, die Frankreich in den Ruin getrieben habe. "Er präsentiert sich als der neue Mann, dabei war er eine Schlüsselfigur in der Regierung unter Hollande", ruft sie, während Buh-Rufe ertönen. Gefährlich sei Macrons "radikale, extremistische Vision der EU", der sich der deutschen Kanzlerin unterwerfe, für "massive Immigration" und "ungezügelte Globalisierung" stehe. Und dann betreibe er noch die "Diffamierung der glorreichen Geschichte unseres Landes": Macron hatte nicht nur die Kolonialisierung Frankreichs als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" kritisiert, sondern mit einem Besuch bei der Shoah-Gedenkstätte und einer Hommage an Brahim Bouarram Zeichen gesetzt - der Marokkaner war 1995 am Rande einer Kundgebung von Jean-Marie Le Pen von Rechtsradikalen in die Seine gestoßen worden und starb.