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Rache an May - mit etwas Hilfe aus Moskau

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Politik

Im Sommer warf May Schatzkanzler Osborne aus der Regierung. Nun ist er wieder da - als Chefredakteur des Millionenblattes "Evening Standard".


London. Als Theresa May im vergangenen Sommer Premierministerin wurde, war es für George Osborne vorbei. Der langjährige britische Finanzminister und engste Verbündete David Camerons plumpste vom Podest des Cameron-Favoriten auf den Boden politischer Bedeutungslosigkeit. Die rabiate Pfarrerstochter von der Tory-Rechten wollte damit auch ein Zeichen setzen. Die Ära der "Cameroons", der Tory-Söhne aus privilegiertem Hause, war für sie nun vorüber.

May sah sich als Fürsprecherin der mittellosen Massen - auch, wenn ihre Politik sich bisher wenig von jener Camerons unterscheidet. Osborne, der den Adelstitel seines Vaters erben wird, stand im öffentlichen Bewusstsein für sechs Jahre unbarmherzige Austerität. Für ihn war Mays Entscheidung nach dem verlorenen Brexit-Referendum ein herber Schlag. Zusammen mit Cameron hatte er lautstark die Trommel für den Verbleib in der EU gerührt, während Mays Bekenntnis zu Europa fast unhörbar geblieben war. Zum Tory-Hinterbänkler degradiert, fand er sich isoliert und ohne viel Einfluss. Nur am nötigen Kleingeld fehlte es ihm auch nach Verlassen der Schatzkanzlei nie.

Der 45-Jährige hat nämlich in den vergangenen zehn Monaten nicht nur sein Abgeordneten-Salär von 75.000 Pfund bezogen. Das rechtslastige Washingtoner McCain-Institut, bei dem er ein "Kissinger Fellow" ist, überweist ihm jährlich 120.000 Pfund. Vom Fund-Manager BlackRock erhält er für einen Tag Arbeit pro Woche ein Jahresgehalt von 650.000 Pfund. Ansprachen haben ihm seit dem Sommer noch mal 800.000 Pfund eingebracht.

Und nun hat Osborne noch einen (Vollzeit-)Job angetreten - als Chefredakteur des London Evening Standard. Das Gratisblatt im Besitz des russischen Oligarchen Ewgeny Lebedew finanziert sich durch Anzeigen und druckt fast eine Million Exemplare. Es hat in London eine konkurrenzlose Stellung und ist, als Hauptstadtblatt, äußerst einflussreich.

May auf die Finger schauen

Als Osbornes Wechsel zum Standard im März bekannt wurde, gab es verdutzte Gesichter. Der Ex-Minister hat so gut wie keine journalistische Erfahrung. Bewerbungen in jüngeren Jahren bei der Times und beim Economist folgten Absagen. Sodann erregte seine Ernennung ziemliche Empörung. Osborne könne nicht seine Aufgabe als Volksvertreter wahrnehmen und gleichzeitig eine Tageszeitung herausgeben, fanden viele seiner Westminster-Kollegen.

Den Multitasker kümmert das nicht. Erst die Ausrufung von Neuwahlen durch Theresa May im April bot ihm die Chance eines stillen Abgangs aus Westminster. Für das neue Unterhaus kandidiert Osborne nicht mehr.

Stattdessen will er sich auf seinen neuen Job konzentrieren, darauf, "wieder dabei" zu sein. Osborne plant wohl, Theresa May im Standard "kritisch" zu begleiten. Für den früheren Schatzkanzler ist die Zeitung eine willkommene Bühne und potenzielles Sprungbrett zu einer neuen politischen Karriere. Sollten die Dinge für May schlecht laufen, stünde Osborne zur Rückkehr bereit.

Vor allem will er aber weiter seine Pro-EU-Haltung propagieren. Mit Mays "hartem Brexit" ging Osborne von Anfang an scharf ins Gericht. Beim Standard machte er als erstes in einem Leitartikel deutlich, dass May keinerlei Mandat habe, das Land aus Zollunion und Binnenmarkt der EU zu führen. Wolle sie einen Wahlsieg am 8. Juni wirklich als persönlichen Vertrauensbeweis für die kommenden Verhandlungen mit Brüssel werten, müsse sie klarere Auskunft über ihre Politik geben. Es reiche nicht, stets zu betonen, dass sie dem Land "eine starke und stabile Führung" geben wolle".

Wer einen Blankoscheck verlange, dürfe nicht überrascht sein, wenn dieser später einmal platze, heißt es weiter. Die Londoner, die beim Referendum mehrheitlich gegen den Brexit stimmten, hören so etwas gern. Für May eröffnet sich eine neue Front im Brexit-Getümmel. Für Osborne ist die Rache, nach der Demütigung des Vorjahrs, zweifellos süß.