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Der willkommene Kritiker

Von WZ-Korrespondentin Kathrin Lauer

Politik

Nach der Rüge aus dem EU-Parlament setzt die Fidesz ihre Anti-EU-Kampagne unbeirrt fort. Orbán ist heilfroh über den Feind.


Budepest. Eben noch hatte Zsolt Bayer dazu aufgerufen, Regierungsgegnern das Gesicht "zu Brei zu schlagen" und damit auch Etliche im Regierungslager peinlich berührt. Vom ultrarechten Journalisten Bayer, Jahrgang 1963, heißt es, er spreche stets aus, was Ministerpräsident Viktor Orbán denkt. Jetzt, an einem Maiabend im Kulturzentrum des Budapester Arbeiterviertels Pesterzsébet, wählt er subtilere Methoden der Stimmungsmache. "Sie kennen doch die schöne Fernsehserie Scharzwaldklinik?", fragt er in den übervoll mit Rentnern besetzten Theatersaal hinein. Ob man in der "Schwarzwaldklinik" jemals Ausländer gesehen habe? Natürlich nicht. Damit sei es nun aus und vorbei, Deutschland gehöre nicht mehr den Deutschen, seit Massen von Migranten auf Geheiß des US-Milliardärs George Soros und der EU den Kontinent überschwemmten. "Wo ist die Welt von Doktor Brinkmann geblieben?", fragt Bayer traurig. Im Saal riecht es penetrant nach preiswertem Parfüm. Die Ordner öffnen zur Lüftung die Flügeltüren der Notausgänge.

Der aussterbende "weiße Mann"

Es ist eine von rund 130 Bürgerversammlungen, die Orbáns Fidesz unter dem Motto "Lasst uns Brüssel stoppen" veranstaltet. Ziel ist, dass möglichst viele Ungarn in Briefen Suggestivfragen der Regierung zur EU-Politik beantworten und damit Brüssel verurteilen. "Nationale Konsultation" wird diese Aktion genannt, mit der Orbán bereits zum fünften Mal seit seinem Amtsantritt 2010 einen angeblichen Beweis breiter Unterstützung für seine Politik liefern will - auf Basis freiwillig ausgefüllter Fragebögen und nicht von professionellen Umfragen.

Bayer spricht mehr als eine Stunde lang ohne Manuskript vor einem Publikum, von dem er annimmt, dass es fiktionalen deutschen TV-Kitsch nicht von der Realität unterscheidet. In geschickter Rhetorik baut er ein Angst-Gebäude auf, das nach Mobilmachung schreit. Er spricht vom "Soros-Votum", mit dem das EU-Parlament wenige Stunden zuvor ein Verfahren zur Suspendierung Ungarns nach Artikel 7 des EU-Vertrags verlangt hat. Geschehen sei das auf Druck des Börsenspekulanten George Soros, der in Ungarn regierungskritische Vereine fördert und in Budapest die Zentraleuropäische Universität (CEU) betreibt - gegen die Orbán mit der berüchtigten "Lex CEU" vorgeht.

Dann leitet Bayer über zum nach seiner Lesart vom Aussterben bedrohten "weißen Mann" Europas. Immer wieder fallen die Worte "Rassenschutz" und "Demografie" mit Bezug auf die hohen Geburtenraten in Asien und Afrika. Wie ein Dessert kommt zum Schluss noch eine Prise "Kultur": Das Römische Reich und andere Imperien seien auch untergegangen - warum sollte unser heutiges Europa ewig bestehen? Das Publikum klatscht begeistert.

Ähnliches hat auch Orbán immer wieder gesagt, vor Kurzem bei einem Besuch in China: Die Welt habe genug von europäischen Belehrungen über Menschenrechte, dem Osten gehöre die Zukunft. Mit der EU, auf deren Gelder er angewiesen ist, setzt Orbán sein gewohntes Spiel fort. Das vom EU-Parlament wegen des Demokratieabbaus in Ungarn verlangte Verfahren kann seine Politik nicht wirklich stoppen: Eine Suspendierung müssten die EU-Staaten einstimmig beschließen. Es ist nicht zu erwarten, dass die nationalkonservative Regierung Polens gegen Ungarn stimmt - dazu gibt es eine Abmachung zwischen Warschau und Budapest. Paradoxerweise scheint der Schritt des EU-Parlaments beiden Seiten zu nützen: Die Pro-Europäer beruhigen ihr Gewissen mit den Rügen für Orbán, während er damit seine Bedrohungsszenarien aus Brüssel weiterbaut.

Von der "Invasion des Islam"

Zwei Tage nach Bayers Darbietung findet im "Belvárosi Szalon" ("Innenstadt-Salon"), der Fidesz-Stadteilzentrale hinter dem schicken Budapester Café Central eine weitere Anti-Brüssel-Versammlung statt. Der Ton ist hauptstädtischer als in Pesterzsébet, Dekor und Accessoires herzhafter: Wände und Sofas sind in der Fidesz-Farbe Orange gehalten, an den Wänden prangen sinnliche gemalte Porträts einer Dame mit übervollen Lippen. In der ausliegenden Zeitschrift "Szentkereszt" ("Heiliges Kreuz") liest man, neben Kochrezepten katholischer Pfarrer, über die "Invasion des Islam". Die Poster-Doppelseite zeigt Jesus und Johannes den Täufer. An der Bar gibt es Schmalzbrote.

Redner ist der Fidesz-Fraktionsvorsitzende Lajos Kósa, das Publikum wieder vorwiegend älter als 60 Jahre. Kósa kommt ohne rassistische Anspielungen und ohne die "Schwarzwaldklinik" aus, dissertiert dafür lange über die Migranten. Dann aber will jemand wissen, ob es möglich sei, Soros in Ungarn ins Gefängnis zu sperren. Jetzt muss Kósa lächeln, die Frage scheint ihm zu gefallen. So einfach gehe das nicht, erklärt er, dafür müsse Soros erst in Ungarn eine Straftat begehen. Und danach benötige man ein Gerichtsverfahren.