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Monsieur Brexit

Von Siobhán Geets

Politik

Der EU-Chefunterhändler für den Brexit, Michel Barnier, wird London in den Verhandlungen nichts schenken.


London/Brüssel/Wien. Michel Barnier scharrt schon mit den Füßen. "Wir wollen so schnell wie möglich beginnen", sagte der Brexit-Chefunterhändler am Montag in Brüssel, bevor ihm die verbleibenden 27 EU-Staaten offiziell das Mandat für die EU-Austrittsgespräche mit London erteilten.

Zwar ist es bald ein Jahr her, dass die Briten sich in einem Referendum für den Austritt aus der Staatengemeinschaft aussprachen. Doch Premierministerin Theresa May stellte den offiziellen Antrag erst Ende März. Und Barnier muss weiter warten, denn mit den Neuwahlen am 8. Juni zögern die Briten den Beginn der Brexit-Gespräche noch einmal hinaus. Der Franzose hofft nun auf einen Beginn der Scheidungsverhandlungen am 19. Juni.

Albtraum der Banker

In Brüssel ist Barnier ein altbekanntes Gesicht und in alle Richtungen gut vernetzt - auch Vertreter anderer Parteien schätzen den erfahrenen Politiker. Er gilt als zuverlässig und geradlinig, ein überzeugter Europäer. Eigentlich wäre er selbst gern EU-Kommissionspräsident geworden. Doch die Europäische Volkspartei machte den Luxemburger Jean-Claude Juncker zum Spitzenkandidaten. Der Freundschaft zwischen Barnier und dem heutigen EU-Kommissionspräsidenten dürfte das keinen Abbruch getan haben.

Mit der britischen Premierministerin teilt Barnier zumindest die Leidenschaft fürs Wandern. Im Gebirge "müssen Sie lernen, einen Fuß vor den anderen zu setzen", erklärte er ihr, nachdem sie Neuwahlen verkündet hatte.

Bei den Briten war der 66-Jährige schon vor seiner Bestellung zum Brexit-Chefverhandler unbeliebt. Während der großen Wirtschaftskrise, in seiner Zeit als EU-Kommissar für den Binnenmarkt von 2010 bis 2014, wollte Barnier eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte durchsetzen - eine Horrorvision für London.

Barnier entwarf auch den Plan für die gemeinsame Bankenaufsicht, nach dem die Europäische Zentralbank die wichtigsten Geldinstitute in der Eurozone überwachen darf. "Wäre dieser Mechanismus schon vor ein paar Jahren eingerichtet worden", sagte er damals, "hätten wir viele Krisen vermeiden können".

Zudem wollte Barnier die Bonus-Zahlungen für Manager deckeln - woraufhin die mächtige "City of London" ihn regelrecht dämonisierte. Insofern hat Brüssel mit der Ernennung Barniers eine harte Botschaft an Großbritannien gesendet: Passt auf, wir lassen uns von euch nicht auf der Nase herumtanzen. Londons Banker waren jedenfalls nicht begeistert.

Doch nicht nur Banker fürchten den Franzosen. Mit seinem britischen Gegenüber, dem Brexit-Minister David Davis, soll Barnier eine jahrzehntealte Abneigung verbinden. Die beiden trafen erstmals in den 1990ern als damalige Europaminister aufeinander. Und jetzt sitzt ausgerechnet der Wirtschaftsexperte am Kopfende des Verhandlungstisches - keine gute Voraussetzung für London, das den Zugang zum EU-Binnenmarkt behalten möchte. Doch Barnier machte bereits vor einem Jahr deutlich, dass die Briten keinen "Binnenmarkt à la carte" bekommen würden: "Es ist nicht akzeptabel, dass dem Vereinigten Königreich eine Ausnahme vom Regelwerk des EU-Binnenmarkts bei der Arbeitnehmer-Freizügigkeit gewährt wird."

In den vergangenen Wochen ist die Stimmung zwischen Großbritannien und der EU dann noch einmal abgekühlt. Das liegt einerseits am britischen Wahlkampf, in dem die Wogen gegen Brüssel hochgehen. Zur schlechten Stimmung beigetragen hat aber auch ein Bericht der "Financial Times", wonach die EU bis zu 100 Milliarden Euro von London fordert. Barnier hat das zwar nicht bestätigt, aber auch nicht dementiert. Zuvor war von 40 bis 60 Milliarden die Rede gewesen. Sicher ist, dass Barnier die Zahlungsverpflichtungen Londons bis Jahresende klären will, ebenso die Rechte der 3,2 Millionen EU-Bürger in Großbritannien. Sie sollen, genauso wie in der EU lebende Briten, nicht um ihre Arbeitserlaubnis, Pensionen und Krankenversicherungen fürchten müssen.

Am Montag betonte der Franzose noch einmal, wie wichtig es sei, zuerst diese Hauptfragen zu klären - erst dann könne über ein Handelsabkommen gesprochen werden. London will aber gleich über die künftigen Wirtschaftsbeziehungen sprechen.

Berge und andere Gipfel

Nun muss Barnier nicht nur dafür sorgen, dass die Brexit-Gespräche zu einem Abschluss kommen. Er sollte auch verhindern, dass die Briten Themen, die gar nichts mit dem EU-Austritt zu tun haben, in die Debatte einbringen. Um Brüssel unter Druck zu setzen, hat London zuletzt etwa tagelang den Start eines EU-Militärhauptquartiers für Auslandseinsätze blockiert.

Den Franzosen lässt das bisher unbeeindruckt. Beim Bergwandern, so der langjährige Präsident der Alpenregion Savoyen, müsse man sich die Kraft eben gut einteilen. Das Ziel des Gipfels dürfe man nie aus den Augen verlieren. Beim Treffen der EU-Staats- und Regierungschefs am 22. und 23. Juni will Barnier einen ersten Bericht über die Verhandlungen mit London vorlegen - genau ein Jahr nach dem Brexit-Referendum.