Zum Hauptinhalt springen

Theresa May und die Rache der Pensionisten

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Politik

In nur einer Woche hat sich der Vorsprung der Tories halbiert. Schuld dürfte sein, dass der Staat auf das Vermögen von Pflegebedürftigen schielt.


London. Zu einem überraschenden Stimmungsumschwung ist es in den letzten Tagen, mitten im britischen Wahlkampf, gekommen. Wähler, deren Unterstützung die regierenden Konservativen sich sicher glaubten, scheinen plötzlich zu Tausenden von Theresa Mays Partei abzurücken - während der Linkssozialist Jeremy Corbyn unerwarteten Zuspruch erfährt.

Zwar gilt May noch immer als klare Favoritin für die Unterhauswahlen am 8. Juni. Doch der Vorsprung der Tories vor der Labour Party, der laut dem Meinungsforschungsinstitut YouGov vor einer Woche noch stolze 18 Prozent betragen hatte, hat sich im Laufe dieser sieben Tage buchstäblich halbiert. Die von der "Sunday Times" veröffentlichte YouGov-Umfrage gibt den Konservativen jetzt 44 Prozent (vor einer Woche noch 49) und Labour 35 Prozent (vor einer Woche 31) - ein erstaunlicher Rückschlag für die Regierungspartei, die bereits einen "Erdrutschsieg" über die Opposition und eine Zweidrittelmehrheit im Unterhaus erwartet hatte. Einen ähnlichen Trend hatten drei weitere Umfragen bereits am Sonntag aufgezeigt.

Das Haus soll an den Staat gehen

Wegen des Mehrheitswahlrechts kennt Großbritannien keine proportionale Sitzverteilung. Die stärkste Partei kann unter Umständen mit weniger als 40 Prozent Stimmanteil eine absolute Mehrheit erringen. Der geschrumpfte Vorsprung zwischen Tories und Labour hat im Regierungslager jedenfalls spürbare Nervosität ausgelöst. Die den Konservativen nahestehende "Sunday Times" zitierte einen namentlich nicht genannten Minister Mays mit den Worten, seine Partei habe sich dummerweise "mitreißen lassen von all diesem Gerede über einen Erdrutschsieg". Ein zweiter Minister erklärte, "eine ganze Menge" im Tory-Wahlprogramm stoße typische Tory-Wähler geradewegs vor den Kopf.

Ihr Wahlprogramm hatten die Konservativen am vorigen Donnerstag veröffentlicht. Seither hat vor allem einer von Mays Plänen Furore gemacht. Demnach müssen kranke und gebrechliche Mitbürger, die daheim soziale Dienste in Anspruch nehmen, dem Staat als Gegenleistung ihr Haus in Zahlung geben, so es ihnen an Einkommen oder Ersparnissen fehlt. Nur 100.000 Pfund vom Wert des Hauses sind nach dem May-Plan letztlich "sicher vorm Staat" und können weitervererbt werden. Der Rest geht nach dem Tod des Hausbesitzers an den Fiskus - was bedeutet, dass das Haus verkauft werden muss, und für die Erben insgesamt höchstens 100.000 Pfund übrig bleiben. Die Opposition hat diese Neuregelung bissig eine "Demenz-Steuer" genannt.

Viele Tories selbst sprechen von einer "verdeckten Erbschaftssteuer". Mit diesem Plan hat May gegen das alte konservative Gebot verstoßen, dass Hausbesitz quasi unantastbar ist und Besitzstand möglichst umfassend weiter vererbt werden kann. Der Tory-Think-Tank "Bow Group" warnte die Premierministerin: "Die Wirkung auf unsere Stammwählerschaft wird furchtbar sein." Auch Außenminister Boris Johnson hat bereits eingeräumt, er habe Verständnis "für die Vorbehalte der Leute" gegenüber dieser Reform. Im Verlauf des Wahlkampfs hatte May außerdem schon erklärt, dass sie keine Garantien zur automatischen Anhebung der Pensionen oder zum Pensionsantrittsalter mehr geben könne. Zehn Millionen Pensionisten sollen außerdem künftig keinen jährlichen Heizkostenzuschuss mehr erhalten. Für Labour-Chef Corbyn stellt das einen "Angriff auf die Pensionisten" im Lande dar.

Auch an der Schulfront ist May ins Kreuzfeuer der gesamten Opposition geraten. Die Regierungschefin will die freien Mittagessen an britischen Ganztagsschulen weitgehend streichen. Diese waren erst vor drei Jahren von den Liberaldemokraten eingeführt worden. Von der Streichung, prophezeite das britische Institut für Bildungspolitik, wären fast eine Million Schüler betroffen - die Mehrheit der Kinder "hart arbeitender", aber einkommensschwacher Eltern, zu deren Fürsprecherin sich Theresa May zuletzt immer wieder gemacht hat.