Zum Hauptinhalt springen

Disneyland des Krieges

Von WZ-Korrespondentin Simone Brunner

Politik

Stalin-Kult, ein Mini-Reichstag und der Krieg als Rummel: ein martialischer Freizeitpark bei Moskau.


Kubinka/Moskau. "Kennst du das Onkelchen auf dem Bild?", fragt die junge Frau prüfend, während sie auf ein Porträt an der Wand zeigt. Der kleine Junge macht große Augen, aber schweigt. "Stalin," flüstert der Mann, mit einer Digitalkamera behangen, ehrfurchtsvoll seinem Sohn ein. Er hebt die Linse seines Fotoapparates vor die Augen, Mutter und Sohn rücken vor das Bild und lächeln in die Kamera. Knips. Draußen vor der schweren Holztür sind die Hütten wie auf einer Perlenschnur aufgefädelt. Rauchschwaden ziehen durch den Birkenwald, Sonnenlicht fällt durch die Baumkronen, der Geruch von Lagerfeuer kitzelt in der Nase. Ein junger Mann mit schweren Militärstiefeln an den Füßen und der "Pilotka", der typischen khakifarbenen Kopfbedeckung der Roten Armee, kocht Teewasser in einem Samowar.

Hier in Kubinka, eine Autostunde westlich von Moskau, steht der sogenannte "Patriotenpark". Bis 2020 soll hier auf 5400 Hektar ein Erlebnispark des russischen Verteidigungsministeriums, offiziell der "Kriegspatriotische Park für Kultur und Erholung der Streitkräfte der Russischen Föderation Patriot", entstehen. Kostenpunkt: 300 Millionen Euro.

Doch ein kleiner Teil des Parks hat schon geöffnet. Während draußen noch Bagger und Bauarbeiter ihre Runden ziehen, führt ein junger Exkursionsleiter mit schweren Militärstiefeln durch das Partisanendorf. "Viele Partisanen wurden bei ihren Sabotageaktionen von den Faschisten erschossen", rattert er seinen Text über die Okkupationszeit der Sowjetunion durch die Nazis herunter. "Den meisten von ihnen war schon im Vorhinein klar, dass das ihre letzte Heldentat sein wird."

Trotz dieser Geschichten herrscht hier eine eigentümliche Ausgelassenheit: Die Gäste lassen sich vor einem lebensgroßen Stalin-Gemälde, von Sowjet- und Russland-Fahnen eingefasst, fotografieren. In der Freiluftkantine wird Gerstenbrei "nach Armee-Art" serviert. "Hurra! Hurra! Hurra!", gibt eine fröhliche Reisegruppe einen Toast aus. Für ein Selfie können die Gäste sogar in die schweren Mäntel der Roten Armee schlüpfen. Aus den militärgrünen Lautsprechern schmettern sowjetische Lieder und Männerchöre. Doch auf eine Attraktion wartet man heute vergeblich.

"Heute findet keine Erstürmung des Reichstages statt", sagt eine Empfangsdame mit dem roten Haarschopf. Die Orden auf ihrer grünen Uniform glänzen mit dem frisch geschrubbten Kunststoffboden im neuen Besucherzentrum um die Wette, während die Metalldetektoren am Besuchereingang piepsen. Tatsächlich wurde Ende April auf dem Gelände eine Nachbildung des deutschen Reichstags in einer aufwendigen Inszenierung gestürmt - und als neue Attraktion eingeweiht. Sogar die Stimme Hitlers soll durch die Lautsprecher zu hören gewesen sein, berichten Journalisten.

Absurdes Zerrbild der Vergangenheit

Die nachträgliche Inszenierung des Sturms auf den Berliner Reichstag hat nicht nur international, sondern auch in Russland für Befremden gesorgt. "Der Staat veranstaltet Nachstellungen und Paraden, betäubt die Erinnerung an die Tragödien und verstärkt den Kult um den Sieg und die Erfolge der UdSSR", schrieb etwa der russische Publizist Sergej Medwedew in einem Beitrag. Auch Ilja Milschtein kritisiert diese geschmacklose "Riesengaudi", "wir alle können den realen Krieg ruhig komplett vergessen. Vergessen, wie er wirklich sein kann." Diese offizielle "Lightversion der Geschichte" sei ein "Rummelplatz geworden, auf dem alles tanzt", so Medwedew weiter. "Spiel statt Trauma, Anästhesie statt Schmerz."

Heute ist das hölzerne Reichstag-Modell vom Kleinbus aus, der die Besucher durch das Gelände kutschiert, nur aus der Ferne zu sehen. Wie eine einsame Hundehütte steht er in einer weiten Ebene aus Bauschutt, Brachland und aufgegrabener Erde. "Zentrum für kriegstaktische Spiele", steht in einem bunten Bogen über der staubigen Zufahrt geschrieben. Ob heute auf dem Mini-Reichstag das Hakenkreuz oder die rote Sowjet-Fahne weht, lässt sich aus der Ferne nur erahnen.

Verteidigungsminister Sergej Schoigu lobte indes die Möglichkeit für die "Jugendarmee", "diesen konkreten Ort zu stürmen." So ist es genau diese "Jugendarmee", die die letzte Schlacht um Berlin inszeniert hat. Die Organisation, die sich als eine "allrussische kriegspatriotische öffentliche Bewegung" versteht, wurde vor einem Jahr von Schoigu gegründet, laut eigenen Angaben zählt sie heute 70.000 Mitglieder. In einem Eid schwören die jungen Aktivisten "Treue zum Vaterland" und zu den "Traditionen des Heldentums". "Würdig vor dem Erbe der Vorfahren" wollen sie ihrem eigenen Motto zufolge sein, und meinen damit das Gedenken an den Zweiten Weltkrieg, den "Großen Vaterländischen Krieg".

"Frontbrot" und"höfliche Teddybären"

Im Patriotenpark wird das Gedenken an diesen Krieg, der in der Sowjetunion mehr als 20 Millionen Menschenleben gekostet hat, derweil zum Unterhaltungsspektakel und zur Merchandise-Show. In einer Backhütte gibt es "Frontbrot" für umgerechnet vier Euro das Kilo. In den Shops werden die "höflichen Teddybären" verkauft, eine Anlehnung an die russischen Soldaten, die vor drei Jahren ohne Hoheitsabkommen auf der Krim einmarschierten und seither in Russland euphemistisch als "höfliche Leute" bezeichnet werden. In der gleichnamigen Mensa kann man sich mit "patriotischen Mahlzeiten" verköstigen lassen. Es gibt Soldatenfiguren und T-Shirts von der Schlacht um Stalingrad.

Kriegsverherrlichungsoll Rekruten anlocken

Was wie ein absurdes Zerrbild der Vergangenheit wirkt, wird im Patriotenpark zur Zukunftsvision. "Das Territorium des Patriotismus ist das Territorium der Zukunft!", steht auf einem Werbeplakat neben der Autobahnabfahrt. Vor allem unter Wladimir Putin wurde das Gedenken an den Zweiten Weltkrieg zunehmend militarisiert und zur patriotisch-ideologischen Klammer. "Wir müssen unsere Zukunft auf ein stabiles Fundament stellen - ein solches Fundament ist der Patriotismus", erklärte der russische Präsident Wladimir Putin zuletzt. Der Park solle dabei ein "wichtiges Element in unserem System der militärisch-patriotischen Arbeit mit jungen Menschen" sein.

Die vergangene militärische Große wird im Park aber auch bewusst in eine Reihe mit der Gegenwart gestellt. Eine Ausstellungsecke in einem Hangar würdigt die Leistungen der russischen Fallschirmjäger - vom Zweiten Weltkrieg über die beiden russischen Tschetschenien-Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion bis hin zur Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim im Jahr 2014. In einem Hangar ist auch ein sandfarbener Militärbus, ein Geschenk der syrischen Armee für den Einsatz der Russen im Syrien-Krieg, ausgestellt.

In einem separaten Hangar stehen Panzer und Flugsimulatoren, damit Kinder den spielerischen Umgang mit der Waffe lernen. "Der Park wurde mit einem maximalen Einsatz von patriotischer Symbolik gestaltet", heißt es in einem offiziellen Werbevideo. "Dadurch sollen künftige Vertragssoldaten und Wehrpflichtige angezogen werden." Doch nicht nur der Reichstag und die Schlachten des Zweiten Weltkriegs sollen hier nachgebaut und nachgestellt werden, sondern auch Moskaus Roter Platz - um für die Militärparaden anlässlich des 9. Mai, des "Tags des Sieges", zu üben und das historische Stadtzentrum von Moskau zu entlasten, wie es heißt. Bis zu 20.000 Besucher soll der Park täglich aufnehmen können, so die Veranstalter.

Wie sehr die Russen selbst dieses "Disneyland des Krieges" annehmen werden, ist freilich unklar. Die Besucherzahlen sind derweil noch überschaubar. Trotz der vergünstigten Eintrittspreise (umgerechnet acht Euro) und des milden Maiwetters sind es heute nur wenige Gruppen, vor allem Jungfamilien, die durch die Attraktionen des Parks schlendern. Im Freiluftpark der Militärtechnik krabbeln Kinder auf Modellpanzern herum. "Die Kinder lieben diese Unterhaltung", erklärt Anna, eine 33-jährige Hausfrau, die mit einer 20-köpfigen Kindergruppe aus Moskau angereist ist. "Außerdem sollen sie die Geschichte ihres Landes kennenlernen." Aus den Lautsprechern dröhnt ein Kinderchor, der das "starke, reiche und freie Russland" preist. "Der Patriotismus ist unsere Zukunft", setzt sie noch hinzu.