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Massiver Rechtsruck im Kosovo?

Von WZ-Korrespondent Ferry Batzoglou

Politik
Albin Kurti (42) spricht nach der Stimmabgabe zur Presse.
© Ferry Batzoglou)

Exit Polls sehen Nationalistenbündnis voran, die bisher regierende LDK fällt auf dritten Platz zurück.


Pristina. Will man einer ersten Exit-Poll Glauben schenken, hat es am Sonntag bei der Parlamentswahl im Kosovo einen massiven Rechtsruck gegeben. Demnach habe das Nationalistenbündnis um die Ex-Rebellenpartei PDK die Neuwahl mit 40 Prozent der Stimmen gewonnen. Zweite sei die linksnationalistische Oppositionspartei "Vetevendosje" ("Selbstbestimmung") mit 30 Prozent der Stimmen geworden, berichtete der TV-Sender Klan Kosovo.

Das Parteienbündnis um die Demokratische Liga (LDK) des bisherigen Premierministers Isa Mustafa kam demnach ferner nur noch auf 27 Prozent der Stimmen.

Doch die Ergebnisse der Exit Poll sind mit Vorsicht zu geniessen. Erste offizielle Resulate, die einen Rückschluss auf den Wahlausgang zulassen, waren nicht vor der Nacht zu Montag zu erwarten.

Wahlbeteiligung

Der Urnengang sei ruhig verlaufen, die Wahlbeteiligung ferner mit 41,45 Prozent etwas niedriger als bei den Wahlen im Jahr 2014 gelegen, wie die Wahlkommission nach Schliessung der Wahllokale um 19 Uhr MEZ erklärte.

In der Hauptstadt Pristina sei die Wahlbeteiligung mit 52 Prozent aber deutlich höher gelegen. Auch in den serbischen Gemeinden im Norden Kosovos sei die Wahlbeteiligung reger als im Landesdurchschnitt gewesen.

Schon früh liess es sich das Parteienbündnis um die PDK nicht nehmen, sich zum Wahlsieger zu erklären. Bereits eine Viertelstunde nach Schliessung der Wahllokale am Sonntagabend trat PDK-Spitzenfunktionär Blerand Stavileci vor die Presse."Heute war ein siegreicher Tag für uns", frohlockte er mit strahlender Miene.

In einem Atemzug gratulierte er Ex-Premier Ramush Haradinaj vom PDK-Bündnispartner "Allianz für die Zukunft" (AAK) zur Rückkehr ins Premierministeramt.

Korruption, Freunderlwirtschaft und wirtschaftliche Stagnation

Der Wahltag hatte für Lumnije Komoni (62), Ökonomin, kurze Haare, Sonnenbrille früh begonnen. Um 10:09 Uhr biegt sie eilig in eine Seitenstrasse in Pristinas Innenstadt ein. Ein paar Schritte weiter steht ein unscheinbares Gebäude der Wirtschaftsfakultät der Universität Pristina.

Heute Sonntag wurde hier aber nicht gebüffelt, sondern wie in den landesweit 889 Wahlzentren mit jeweils mehreren Wahllokalen sowie weiteren 2.940 Wahllokalen das nur einen Steinwurf entfernte Parlament Kosovos neu gewählt.

Die Volksvertretung in Pristina umfasst 120 Abgeordnete. 26 Parteien und Bündnisse treten an. Rund 1,9 Millionen Wähler sind registriert, aber nur 1,8 Millionen Menschen leben im Kosovo - Kinder und Jugendliche inklusive.

Wie das geht? "Auf den Listen stehen auch die jungen Kosovaren, die vor allem in Österreich, der Schweiz und Deutschland leben sowie die nach dem Krieg geflohenen Serben", erklärt ein Mitglied der Wahlkommission in Pristina der "Wiener Zeitung".

Rund 25.000 Staatsbürger des Kosovo leben laut Statistik Austria in Österreich. Fast 32.000 hier ansässige Personen wurden in dem Balkanland geboren. Beide Gruppen sind in den vergangenen Jahren gewachsen. So lebten 2009 erst gut 12.000 Kosovaren in Österreich. Am Votum in Kosovo konnten dessen Bürger nur per Briefwahl teilnehmen.

Lumnije Komoni ist jedenfalls vor Ort. Und sie hat sich schon längst entschieden, wem sie an diesem lauen Wahlsonntag im Wahllokal in der Wirtschaftsfakultät ihre Stimme gibt."Ich habe Vetevendosje ("Selbstbestimmung") gewählt! Wie schon beim letzten Mal", offenbart sie nach der Stimmabgabe.

Weshalb, Frau Komoni? "Ich will, dass der Kosovo sich endlich modernisiert. Die Korruption, die Freunderlwirtschaft, die wirtschaftliche Stagnation: Das muss alles aufhören! Wir müssen endlich ein neues Kapitel aufschlagen!"

Mit den alten Regierungsparteien, der PDK sowie LDK, sei das völlig aussichtslos, so die Kosovarin."Nur eine neue politische Kraft, die keinen Dreck am Stecken hat, kann das wirklich schaffen", fügt sie mit fester Stimme hinzu.

Kaum hat sie ausgesprochen, erscheint der Vetevendosje-Ziehvater und Spitzenkandidat Albin Kurti. Blitzlichtgewitter, ein Gerangel unter den Journalisten, dann ein paar Fragen, die jedoch vorerst unbeantwortet bleiben. Kurtis Stimmabgabe wird natürlich live im Fernsehen übertragen.

Der 42-jährige populäre Linksnationalist aus Pristina hat sich zum Geheimfavoriten dieser Wahlen gemausert. Bei seiner Rede zum Abschluss des Wahlkampfes am Freitag in Pristinas Innenstadt feierten ihn frenetisch Tausende seiner Anhänger. Viele junge Gesichter waren in der Menschenmenge zu sehen.

Kurti will mit Vetevendosje, kurz: VV, den Kosovo völlig umkrempeln. Seine Vision ist ein Mix aus sozialdemokratischen Positionen in der Wirtschafts- und Sozialpolitik sowie nationalistischen in den Beziehungen vor allem zum "Erbfeind" Serbien. Sein Credo insbesondere mit Blick auf Belgrad: "Klare Kante zeigen!"

Auch strebt Kurti eine Vereinigung mit Albanien an."Aber nur, wenn das alles geregelt und friedlich über die Bühne geht, mit Referenden in beiden Ländern - und zuvor einer Verfassungsänderung im Kosovo, die das bisher verbietet", sagte Kurti am Sonntag im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".

Im Innern haben für Kurti der Kampf gegen die hierzulande grassierende Korruption und tiefgreifende Reformen in Kosovos marodem Staats- und Verwaltungsapparat oberste Priorität.

Vorgezogene Parlamentswahlen

Der Urnengang im Kosovo wurde vorgezogen, nachdem Mitte Mai die Grosse Koalition aus den ewigen Regierungsparteien PDK und LDK platzte.

Die VV kam bei den letzten Parlamentswahlen im Jahr 2014 auf knapp 14 Prozent. Das waren knapp 100.000 Stimmen - denn die Wahlbeteiligung war damals mit nur 42 Prozent sehr niedrig.

Die Probleme im Kosovo sind immens: Im Kosovo existiert keine staatliche Krankenversicherung, für Schwerkranke wie Krebspatienten organisieren Mobilfunkfirmen Spendenaktionen. Die Rente beträgt 75 Euro, die Arbeitslosigkeit liegt bei rund 30 Prozent. Noch ein Knackpunkt: Kosovo bleibt so der einzige Balkanstaat, dessen Bürger nicht visafrei nach Westeuropa reisen dürfen.

Für viele, vor allem junge Kosovaren ist das schlicht frustrierend. Sie fühlen sich wie zuhause eingesperrt. Denn das Visum für die Reise in ein Schengenland ist teuer, der Antrag dafür Bürokratie pur.

6.000 Euro pro Monat für hochrangige Beamte

Der allenthalben spürbaren Frustration der breiten Bevölkerung über die ewige wirtschaftliche und soziale Misere zum Trotz: Besonders die Mitte-Rechts-Partei PDK ist schon längst zur "Staatspartei" avanciert. Sie kontrolliert den rund 90.000 Staatsdiener umfassenden Beamtenapparat - die Polizei inklusive.

Dies alleine ist schon ein Faustpfand, wenn Wahlen anstehen. Hochrangige, regierungstreue Beamte werden für ihre Loyalität mit üppigen Gehältern von 6.000 Euro pro Monat belohnt. Dabei beträgt der Durchschnittslohn nur 449 Euro im Monat.

Auch Privatunternehmer, die mit lukrativen staatlichen Aufträgen bedient werden, fordern ihre Mitarbeiter unverhohlen vor dem Wahlgang dazu auf, ihnen den Wahlzettel zu zeigen, mit dem Kreuz an der richtigen Stelle wohlgemerkt. Und dies heisst: Das Kreuz muss hinter der PDK oder LDK stehen. Bisher jedenfalls.

Die PDK, schon längst zur wichtigsten politischen Nachfolgeorganisation der paramilitäischen UCK avanciert, will fortan eine Regierungskoalition mit den beiden nationalistischen Ex-UCK-Anführern Ramush Haradinaj und dessen bisher oppositionellen "Allianz für die Zukunft" (AAK) sowie Fatmir Limaj von der NISMA-Partei ("Initiative") schmieden.

AAK-Chef Haradinaj machte zuletzt international Schlagzeilen, weil er bis Ende April monatelang in Frankreich festgehalten worden war. Serbien hatte dessen Auslieferung wegen Kriegsverbrechen im Kosovo-Krieg verlangt. Ein französisches Gericht verfügte aber seine Freilassung.

Die LDK, ebenfalls eine Mitte-Rechts-Partei, hatte ferner seine Bündnispartner in der "Allianz für ein neues Kosovo" (AKR) sowie "Alternativa" gefunden.

Derweil überboten sich die politischen Kontrahenten im Endspurt des hiesigen Wahlkampfs mit Versprechungen an ihre Wähler.

Kadri Veseli, PDK-Chef und zuletzt Parlamentspräsident, lange Chef des omnipotenten Geheimdienstes SHIK, versprach, die Löhne und Gehälter im öffentlichen Sektor um stattliche 30 Prozent anzuheben.

Avdullah Hoti, ein smarter Ökonom, Ex-Minister und Mitte Mai parteiintern nach dem Abgang Mustafas zum LDK-Kandidaten für das Premierministeramt gekürt, wollte ebenso die Staatsausgaben massiv erhöhen.

Alles nur Wahlkampfgetöse?

Wer glaubt, Kosovos alte Polit-Elite würde sich in Selbstkritik üben, der irrt gewaltig. Der EU-Kommissar für die Erweiterungsverhandlungen, Johannes Hahn, "kümmert sich nur um Serbien", klagte neulich Kosovos Staatspräsident Hashim Thaci, der "Übervater" der PDK. Dabei wird auch Thaci, ebenfalls ein ehemaliger UCK-Rebell, im Rest Europas nicht unbedingt ein einwandfreier Leumund bescheinigt.

Neshad Asllani, ein älterer, sehr gepflegter Herr mit einer betont ruhigen Stimme, sitzt in dem Restaurant eines Fünf-Sterne-Hotels in der Stadt Peja im äussersten Nordwesten Kosovos unweit der Grenze zu Montenegro.

Der renommierte Arzt trat für die AKR an, die ein Wahlbündnis mit der Altpartei LDK eingegangen ist. Im Kosovo kennt ihn jedes Kind. Für Asllani ist es das erste Mal, dass er bei Wahlen antritt. Zum alten System will er sich daher nicht zählen lassen.

Im Gegenteil: Vor allem an der PDK lässt er kein gutes Haar, obschon der AKR-Bündnispartner LDK zuletzt noch mit der PDK eine Koalition bildete."Das war ein Fehler. Der Kosovo steht am Scheideweg. Ich sage ihnen eines: Gewinnt heute wieder die PDK, dann gehen hier die Lichter aus. Dann kann sich Europa auf eine neue Welle von Flüchtlingen aus dem Kosovo einstellen."