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"Wir schaffen das, weil wir müssen"

Von Reinhard Göweil

Politik

Buch des Ex-ÖVP-Abgeordneten Ferry Maier zeigt die Sonnen- und Schattenseiten Österreichs.


Auf der letzten Seite des Buches angekommen, bleiben mehrere Erkenntnisse. Erstens, das Innenministerium ist für Flüchtlings- und Asylpolitik der falsche Platz. Zweitens, ohne die Zivilcourage einiger Beamter und Politiker wäre die Flüchtlingsbewegung 2015/2016 nicht so glimpflich ausgegangen. Ferry Maier, Ex-ÖVP-Abgeordneter, begleitete den früheren Raiffeisen-Chef Christian Konrad auch als Flüchtlingskoordinator der Regierung. Dass es ausgerechnet die ÖVP war, die sich einer Verlängerung der Tätigkeit wiedersetzte, passt ins Bild eines turbulenten Jahres. "Willkommen in Österreich" erscheint dieser Tage im Tyrolia-Verlag und räumt mit ein paar Mythen auf, die sich nun auch im Mainstream festsetzen.

Maier geht dabei recht hart ins Gericht. "Im Jahr 2015 förderte Österreich das World Food Programme mit 5,3 Millionen und das UNHCR mit 3,6 Millionen Euro - allein die ,Kronen Zeitung‘ bekam in jenem Jahr von der öffentlichen Hand 23 Millionen mittels Inseraten." Vor allem das fehlende Geld für das Hungerprogramm löste die Flüchtlingsbewegung aus dem Nahen Osten und Nordafrika. Diese politische Ignoranz setzte sich fort. Das Heeresnachrichtenamt warnte schon im März 2011 schriftlich, Maier zitiert daraus. Auch die Europäische Kommission machte auf die Situation früh aufmerksam. Alle hätten es wissen müssen.

Der heimischen Regierung als Kollektivorgan wird rund um die Arbeit von Christian Konrad kein gutes Zeugnis ausgestellt. Die damalige Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und Verteidigungsminister Gerald Klug lieferten sich einen politischen Infight, anstatt die Hilfe zu koordinieren. Klug, der sich lange weigerte, zum Verkauf ausgeschriebene Kasernen als Unterbringung bereitzustellen, kommt besonders schlecht weg. Viele Beamte des Innenministeriums, sowie die damalige Leitung des Flüchtlingslagers Traiskirchen, bekommen in dem Buch auch ihr Fett ab. "Sie fürchteten sich wohl vor Anzeigen wegen Amtsmissbrauch, Untreue oder vor Amtshaftungsklagen", schreibt Maier.

Aber da sind auch die Beispiele von Zivilcourage und dem Bewusstsein, schnell helfen zu müssen. Wie etwa der Chef des Fonds Soziales Wien, Peter Hacker, der entschieden zupackte, während andere von europaweiten Ausschreibungen redeten, die Monate verstreichen hätte lassen. Auch Christian Kern, der als ÖBB-Chef unbürokratisch half, wird von Maier als so ein positives Beispiel genannt. Und natürlich die vielen Bürgermeister, die sich bereit erklärten, Flüchtlinge aufzunehmen und zu betreuen.

Ein Kapitel widmet sich Dieter Posch, Bürgermeister von Neudörfl (Burgenland), der dies ohne Proteste und in aller Ruhe schaffte. Er steht als Beispiel für die vielen anderen Bürgermeister, die Quartiere und eine erste Integration ermöglichten.

Ferry Maier, aber auch der ehemalige UN-Flüchtlingskoordinator Kilian Kleinschmid (interviewt von der Buch-Coautorin Julia Ortner), widersprechen übrigens der These, dass die deutsche Kanzlerin Angela Merkel mit ihrem Satz "Wir schaffen das" die Menschen aus den Krisenregionen quasi anlockte. Sie waren zu diesem Zeitpunkt bereits da, und ihre schiere Zahl machte Grenzschließungen humanitär unmöglich. Hätte man auf die Menschen schießen sollen?

Heute befinden sich etwa 84.000 Menschen in der Grundversorgung. "Wir schaffen das, weil wir müssen", sagt Kleinschmid im Buch. "Leute, es wird hart, aber sehen wir es auch als Chance für eine moderne, vernetzte Welt." Der Experte macht auch die fehlende politische Einigkeit dafür verantwortlich, dass es kein Registrierungssystem der heranströmenden Menschen gab. Er macht das sogenannte Dublin-Abkommen dafür dingfest. EU-Länder hatten wenig Interesse, die Menschen zu registrieren, weil sie dann - gemäß diesem Abkommen - zurückgenommen werden müssten.

Mittlerweile ist das Abkommen de facto tot, es taugte aber ohnehin so gut wie nichts. Sehr gut herausgearbeitet wird im Buch auch die Zuständigkeit des Innenministeriums. Zum einen wird die Flüchtlingsfrage vor allem als Sicherheitsthema betrachtet. Die NGOs, die mit den Flüchtlingen arbeiten, werden - so das Buch - eher kritisch betrachtet. Eine vertrauensvollere Zusammenarbeit würde vieles erleichtern.

Nun geht es also an die Integration der Menschen. Dafür ist das Außenministerium zuständig, aber um die Menschen arbeiten zu lassen, ist das Sozial- und Wirtschaftsministerium vonnöten. Ein "Runder Tisch", der all dies zentraler organisieren hätte können, wurde abgelehnt, wie Ferry Maier beschreibt. Die Kombination aus schlechter Bezahlung für gemeinnützige Arbeit (3-, 2-, 1-, Nulleuro-Jobs...) und Kürzung der Mindestsicherung verschlechterte die Integrationsbemühungen. "Man muss einer Teilzeitbeschäftigten sagen, dass sie nicht mehr kriegt, wenn man den Flüchtlingen weniger bezahlt", beschreibt es Bürgermeister Posch im Buch.

Insgesamt ist das Buch nicht nur ein Dokument eines turbulenten Jahres, das Ende August 2015 begann, sondern auch eine Anleitung, wie es besser funktionieren könnte, ohne das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung zu strapazieren und die Sozialsysteme nicht über Gebühr zu belasten. Zwei Beispiele von jugendlichen Flüchtlinge geben Einblick, was diese neuen Mitbürger von dieser Gesellschaft erwarten. Und es ist ein Buch darüber, dass sich in Krisensituationen die charakterliche Spreu vom Weizen trennt. Christian Konrad: "Ich weiß auch wieder, wie viele Freunde ich habe - nämlich wenige. Viele, die jubeln, sind nicht da, wenn es darauf ankommt."

Buchtipp

Ferry Maier,

Julia Ortner

"Willkommen in Österreich", Tyrolia-Verlag

175 Seiten

19,95 Euro