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"Mund halten und abstimmen"

Von Martyna Czarnowska aus Prag

Politik
Die EU und Tschechien pflegen derzeit

Die Debatte um die Aufnahme von Flüchtlingen wird wieder schärfer. Einen gemeinsamen Beschluss möchten Tschechien, Ungarn und Polen nicht umsetzen - was die EU-Kommission nun ahnden will.


Prag. Der Außenminister hatte nur wenig Zeit. Als Lubomir Zaoralek bei einer hochrangig besetzten Konferenz in Prag auftreten sollte, jagte gerade eine Parteisitzung die andere. Die tschechischen Sozialdemokraten waren auf der Suche nach Wegen aus dem Umfragetief, das ihnen für die Parlamentswahl im Oktober herbe Stimmenverluste prognostiziert. Premier Bohuslav Sobotka zog die Konsequenzen: Seit gestern, Donnerstag, ist er nicht mehr Vorsitzender der CSSD, auch wenn er Ministerpräsident bleibt. Die Führung der Partei übernimmt Innenminister Milan Chovanec, und Außenminister Zaoralek wird Spitzenkandidat für die Wahl. Ob aber danach die Sozialdemokraten, die derzeit mit der Bewegung ANO und den Christdemokraten eine Koalition bilden, erneut in der Regierung vertreten sind, ist ungewiss.

Der nahende Wahlkampf mag denn auch einer der Gründe dafür gewesen sein, eine Debatte wieder anzuheizen, die in der EU seit Jahren für Zwistigkeiten sorgt. Die Diskussion um die Verteilung und Aufnahme von Flüchtlingen in der Union gewinnt erneut an Schärfe. Erst vor kurzem hat die tschechische Regierung, die um die ablehnende Haltung in der Bevölkerung weiß, einmal mehr deutlich gemacht, dass das Land keine Asylwerber, die nach Griechenland und Italien gelangt sind, übernehmen wolle. Das hatten auch Ungarn und Polen deklariert. Die EU-Kommission leitete daher am Dienstag gegen die drei Staaten ein Verfahren wegen Vertragsverletzung ein: Die Länder würden den entsprechenden EU-Minister-Beschluss nicht umsetzen. Die Slowakei hingegen, die - wie Ungarn - gegen diese Vereinbarung sogar vor dem Europäischen Gerichtshof geklagt hatte, hat zugesagt, bestimmte Schutzsuchende aufzunehmen.

An der Kritik an den Plänen zur Einführung einer EU-weiten Aufnahmequote für Flüchtlinge hält Bratislava dennoch fest. "Ein bürokratischer Ansatz wird das Problem nicht lösen", sagte Außenminister Miroslav Lajcak beim Prager Europa-Gipfel, der von der Denkfabrik Europeum und dem Prager Institut für Internationale Beziehungen (IIR) organisiert wurde. Der Politiker wandte sich gegen den Beschluss, den er nicht mitgetragen hat. "Ein solch komplexes Thema wie Migrationspolitik kann nicht mit qualifizierter Mehrheit auf Ministerebene entschieden werden", erklärte er. Es könne doch nicht sein, dass die skeptischen Länder zu hören bekommen: "Haltet den Mund und stimmt ab." Wenn nämlich eine abweichende Meinung zu einem Problem werde, dann stehe es nicht gut um die Gemeinschaft, befand Lajcak.

Druckmittel Geld

Die unterschiedlichen Einstellungen haben aber bereits zu einem Zerwürfnis geführt, das erneut an alte Klüfte zwischen West- und Osteuropa denken lässt. Während sich die Osteuropäer nicht ernst genommen fühlen, werfen ihnen manche Regierungen im Westen mangelnde Solidarität vor und drohen schon mit finanziellen Konsequenzen. Immerhin profitieren Länder wie Polen stark von den EU-Förderungen für regionale Entwicklung. Bei den kommenden Budgetverhandlungen über die mehrjährige Finanzierung der Union steht so das nächste Tauziehen um Lastenteilung an - und dabei könnte es zum Schlagabtausch nicht nur zwischen West- und Ost- sondern auch zwischen Süd- und Osteuropa kommen.

Darauf weist Barbara Lippert, Forschungsdirektorin der in Berlin ansässigen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), hin. Bei den Haushaltsgesprächen gehe es ja nicht zuletzt um einen Interessensausgleich. "Und dabei werden Polen und andere ost- sowie mitteleuropäische Staaten damit rechnen müssen, dass die Südländer, die weit stärker von Migration und der Flüchtlingsproblematik betroffen sind, Mittel aus dem Budget für die Unterstützung und Integration von Schutzsuchenden fordern werden", sagte Lippert der "Wiener Zeitung". So könnte eine Süd-Ost-Differenz entstehen, die nur mit größerer Kompromissbereitschaft als die bisher gezeigte zu überbrücken sei.

Vor einer Bestrafung durch den Entzug von Finanzhilfen hält etwa die EU-Kommission aber wenig. Dies gliche einem Schuss ins eigene Knie, meinte Vizepräsident Frans Timmermans in Prag. Denn die Fördermittel dienen der Verringerung von sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten in der Union. Das zu erreichen, liege im Interesse aller Mitglieder.