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Ein Gott in Frankreich

Von Michael Schmölzer

Politik

Emmanuel Macron ist der mächtigste Präsident seit Jahrzehnten. "Die Straße" bringt sich bereits in Stellung.


Paris/Wien. Mehr als dreihundert Jahre nach dem Tod Ludwigs XIV. hat Frankreich einen neuen Sonnenkönig. Emmanuel Macron eilt von Erfolg zu Erfolg, am Sonntag bei der zweiten Runde der Parlamentswahl wird das nicht anders sein. Alle Umfragen sagen für Macrons Partei La République en marche und ihre Verbündeten einen klaren Sieg voraus, im Extremfall könnte er 80 Prozent der Parlamentssitze unter seine Kontrolle bekommen.

Die Grande Nation steht kopf, Macron hat im Handstreich die politische Elite des Landes hinweggefegt - und das mit einer Bewegung, die vor zwei Jahren noch nicht existierte. Experten und Presse überschlagen sich mit Superlativen: "Macron erschüttert die politische Landschaft", schreibt der konservative "Figaro", "L’Alsace" spricht gar vom "totalen Sieg". La République en marche zertrample förmlich ihre Gegner.

In der Tat ist von Konservativen und Sozialisten nicht mehr viel übrig. Erstere dürfen auf rund 100 Sitze, Letztere auf 20 Sitze hoffen. Kein Wunder, dass Macron europaweit Nachahmer findet, der österreichische Kanzlerkandidat Sebastian Kurz ist einer derer, die Macron zum Vorbild erkoren haben.

Triumph ohne Begeisterung

Doch ist der Triumph des Franzosen ein Triumph ohne Begeisterung: Macron hat in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen nur 24 Prozent der abgegebenen Stimmen erhalten, dann nahmen die Enthaltungen sprunghaft zu. Viele Linke konnten sich nicht dazu durchringen, Macron im Duell mit der Rechtsextremen Marine Le Pen den Vorzug zu geben.

Die Beteiligung am Sonntag, wenn es in zweiter Runde um den Einzug in die Nationalversammlung geht, wird auf matte 46 Prozent geschätzt - ein Negativrekord.

Trotzdem bekommt Frankreich jetzt einen republikanischen Monarchen mit einer Machtfülle, wie sie kein Präsident der Fünften Republik seit Charles de Gaulle hatte. Wobei die Franzosen beim Votum am Sonntag mehrheitlich nicht so sehr den Kandidaten ihres jeweiligen Wahlkreises ins Parlament hieven, sondern in erster Linie Macron stärken wollen, der ja schon im Mai zum Präsidenten gewählt worden ist.

Die Frage ist, ob die Strategie des 39-Jährigen auch weiterhin aufgeht. Denn Macrons Gefolgsleute bestehen zur Hälfte aus politischen Greenhorns, Quereinsteigern ohne jede parteipolitische Erfahrung - angesichts der allgemeinen Ablehnung der Politik alten Stils ein hervorragender taktischer Zug.

Radikale Veränderungen

Doch wenn es ans Regieren geht, haben Politprofis die Nase vorne. Abschreckendes Beispiel sind die USA, wo ein launenhafter Laie derzeit eine Panne nach der anderen verursacht.

Macrons Gefolgsleute eint jedenfalls der Wunsch nach dem "Völlig anders". Wie das genau aussehen soll, ist unklar. Es ist auch offen, ob die neue Riesen-Fraktion in allen Themen an einem Strang zieht. Immerhin hat Macron Engagierte sowohl rechts als auch links der Mitte um sich versammelt. Sicher ist nur, dass die Wähler nach Jahren des Stillstands unter Amtsvorgänger François Hollande schnelle Veränderungen wollen. Die muffige Fünfte Republik soll rasch umgebaut und modernisiert werden.

Für seine Reformgesetze wird die Übermacht in der Nationalversammlung Macron große Schlagkraft geben. Der Senat hat nur eingeschränkte Blockademöglichkeiten - im Konfliktfall hat die erste Kammer das letzte Wort. Im Senat dominiert die bürgerliche Rechte, die gerade bei den geplanten Wirtschaftsreformen durchaus gesprächsbereit sein dürfte.

Macron will die Gesetze unternehmerfreundlicher gestalten, um mehr Jobs zu schaffen, Entlassungen und befristete Einstellungen will er erleichtern und Unternehmenssteuern senken. Über die kommenden fünf Jahre will er insgesamt 50 Milliarden Euro in die Ankurbelung der Wirtschaft investieren. Da sind Qualifizierungsmaßnahmen dabei bis hin zum Ausbau der erneuerbaren Energien.

Linke ruft zum Widerstand auf

Widerstand gegen diese Vorhaben wird von außerhalb des Parlaments kommen. Macrons Gegner - und die sind zahlreich - argumentieren, dass der Präsident trotz der Riesenmehrheit kein echtes Mandat für seine liberalen Reformpläne bekommen habe. Sie verweisen auf den extrem hohen Anteil an Nichtwählern.

Die radikale Linke dürfte versuchen, "die Straße" gegen Macron in Stellung zu bringen. Ob diese Mobilisierung Erfolg hat, ist entscheidend - schon viele Regierungen mussten in Frankreich Reformprojekte unter dem Druck von Massendemonstrationen aufgeben. Der "Front social", ein Bündnis aus linken Parteien und den noch linkeren Gewerkschaftsverbänden, bereitet den Widerstand bereits aktiv vor. Am Tag nach der Wahl soll es die ersten Kundgebungen und brennenden Abfalleimer geben. Auch der Ex-Präsidentschaftskandidat der radikalen Linken, Jean-Luc Mélenchon, ruft zum Widerstand auf.

Ein nicht zu unterschätzender Grund für Macrons enorme Machtfülle ist übrigens das französische Wahlsystem. Das Mehrheitswahlrecht begünstigt große Parteien mit dem Ziel stabiler Regierungsmehrheiten. Käme in Frankreich das Verhältniswahlrecht wie in Österreich zur Anwendung, hätte Macron im Parlament nicht die absolute Mehrheit. Macrons Vorgänger im Amt, Nicolas Sarkozy und François Hollande, wollten das Wahlsystem bereits reformieren, es blieb aber bei Ankündigungen.