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Startschuss für die Trennung

Von Siobhán Geets

Politik
Am Montag steigt EU-Chefverhandler Barnier . . .

Am Montag starten die Brexit-Verhandlungen zwischen London und Brüssel. Grund für Streit gibt es genug.


Brüssel/Wien. Eines ist schon vor dem Start der Brexit-Verhandlungen am Montagvormittag klar: Die Gespräche zwischen London und Brüssel werden äußerst kompliziert - Anlass zum Streit gibt es genug.

Der 19. Juni steht schon länger als erster Verhandlungstag fest. Doch war zuletzt darüber spekuliert worden, ob das Datum eingehalten werden kann. Denn nach ihrer Wahlschlappe ist völlig unklar, welche Ziele Premierministerin Theresa May beim Brexit anstrebt.

Die Konservative erreichte das Gegenteil dessen, was sie sich von den Neuwahlen am 8. Juni versprochen hatte - und verlor die absolute Mehrheit im Parlament. Nun müssen die Tories mit den nordirischen Protestanten von der Democratic Unionist Party (DUP) zusammenarbeiten. Das hat die Angelegenheit noch komplizierter gemacht. Denn die DUP ist zwar absolut pro-Brexit, Kontrollen an der Grenze zur Republik Irland - die dann EU-Außengrenze wäre - wollen aber auch die Unionisten nicht.

Die von May in Wahlkampf roboterhaft wiederholte "starke und stabile" Verhandlungsposition ist damit dahin. Die Stimmverluste bestärken auch Kritiker in den eigenen Reihen: Die Tories sind sich nicht einig darin, wie das Verhandlungsergebnis aussehen soll. So soll etwa Finanzminister Philip Hammond für einen softeren Brexit und Verbleib in der EU-Zollunion sein. Ihm geht es in erster Linie darum, Arbeitsplätze in Großbritannien zu schützen und das Wirtschaftswachstum nicht zu gefährden. Andere Tories wollen einen kompromisslosen Schlussstrich ziehen.

Die Zerrissenheit der Tories belastet die Gespräche, bevor sie begonnen haben. Brüssel stört die Ungewissheit - niemand weiß, wie die unterschiedlichen Lager auf die Ergebnisse der Verhandlungen reagieren und wie lange sie May noch stützen werden.

May ist bisher nicht von ihrem harten Brexit - inklusive Austritt aus dem Binnenmarkt und Einschränkung der Migration - abgerückt. Eine offizielle Position zu den Verhandlungszielen der Briten gibt es aber nicht. Aus London hieß es am Freitag lediglich, man werde bei den Brexit-Gesprächen pragmatisch vorgehen. Er wolle sie "im Geist aufrichtiger Verhandlungen führen", sagte Hammond.

Drohungen und 100Milliarden Euro "brexit-bill"

Nicht einmal über den Ablauf der Gespräche ist man sich einig: Streitpunkt zwischen Brüssel und London bleibt die Frage, was zuerst geklärt werden soll. Während London so schnell wie möglich über künftige Handelsbeziehungen sprechen will, besteht Brüssel darauf, zuerst drängende Fragen wie die Rechte der drei Millionen in Großbritannien lebenden EU-Bürger zu klären. Dürfen sie nach dem Brexit noch im Vereinigten Königreich arbeiten? Auch die Lebensplanung von rund einer Million in der Union lebenden Briten ist betroffen. Werden sie noch Sozialleistungen erhalten und wenn ja, von wem? Hier wird sich die britische Regierung wohl an die Regeln der EU halten müssen - oder die Gespräche können erst gar nicht beginnen.

Besonders wichtig ist der EU-Kommission auch die Sicherheitsfrage in Zeiten des Terrors. Die britische Regierung hatte angedroht, die Kooperation mit europäischen Sicherheitsbehörden aufzukündigen. Brüssel will nun wissen, wie zuverlässig die Briten künftig bei der Zusammenarbeit gegen den Terrorismus, dem Austausch von Informationen oder der Erfüllung internationaler Haftbefehle sein werden. "Hier kein Abkommen zu finden, ist keine Option", heißt es dazu von einem Insider aus der EU-Kommission. Bis Herbst solle das Thema geklärt sein.

Der erste Streit könnte sich aber auch um die Rechnung drehen, die London noch an Brüssel zu zahlen hat. EU-Chefunterhändler Michel Barnier will zuerst klären, welche Zahlungsverpflichtungen Großbritannien hier noch hat. Bisher war von 60 bis 100 Milliarden Euro die Rede. Die Regierung in London hat das lautstark abgelehnt.

Gegen den ehemaligen Binnenkommissar Barnier in den Ring steigt am Montag der britische Brexit-Minister David Davis. Österreich vertritt in Sachen Brexit der langjährige Diplomat Gregor Schusterschitz. Der 47-jährige Botschafter in Luxemburg sitzt in der Arbeitsgruppe des Rates, die die Positionen der übrigen 27 EU-Staaten gegenüber London koordiniert.

Ab Montag soll dann eine Woche pro Monat verhandelt werden. Ihre Positionspapiere dazu will die EU-Kommission veröffentlichen - man habe die Lektion aus den als intransparent kritisierten Handelsabkommen gelernt, meint der Insider aus Brüssel.

"Sunset Clause" beendet EU-Mitgliedschaft

Welche Art von EU-Austritt London nun auch anstrebt - den "point of no return" haben die Briten schon Ende März überschritten. Damals reichte May Artikel 50 des Lissabon-Vertrags ein - und leitete damit den EU-Austritt ein. Damit keine Möglichkeit besteht, den Zeitraum für Verhandlungen hinauszuzögern, kann dieser Schritt nicht einfach rückgängig gemacht werden. Seit Ende März haben die Briten zwei Jahre Zeit, um ihren Austritt zu verhandeln.

Nach diesen zwei Jahren, von denen nur noch gut 21 Monate übrig sind, greift der "Sunset Clause" ("Sonnenuntergangs-Paragraf): Am 29. März 2019 treten die Briten automatisch aus der Union aus - ob mit oder ohne Abkommen mit der EU.