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Über den Markt in die EU

Von Martyna Czarnowska aus Triest

Politik

Wirtschaftsprojekte sollen die Annäherung der Westbalkan-Staaten an die Union beschleunigen.


Triest. Die Kulisse, vor der sich üblicherweise Touristen fotografieren, war diesmal Spitzenpolitikern aus einem Dutzend Ländern vorbehalten. Ansonsten war der elegante, zum Meer offene Platz der italienischen Einheit, die repräsentativste Terrasse der Hafenstadt Triest, weitläufig abgesperrt und beinahe leer. In den Palästen dort versammelten sich nämlich am Mittwoch die Staats- und Regierungschefs sowie die Außenminister der Westbalkan-Staaten, Deutschlands, Österreichs, Italiens, Frankreichs, Großbritanniens, Kroatiens und Sloweniens. Sie berieten über eine Stärkung der regionalen Zusammenarbeit, über bessere Kooperation in den Bereichen der Wirtschaft, Infrastruktur, Energie und des Verkehrs.

Doch schon die Unterzeichnung des Vertrags über eine Transport-Gemeinschaft geriet zu einem zähen Ringen. Die Republika Srpska, eine Teilrepublik Bosnien-Herzegowinas mit sezessionistischen Gedankenspielen, wollte dem Abkommen entgegen früheren Ankündigungen kurzfristig doch nicht zustimmen. Das zersplitterte bosnische Staatswesen ist durch solche Blockadepolitik immer wieder gelähmt.

Europäische Perspektive

Aber auch andernorts gibt es Bedenken gegen die EU-Pläne zur regionalen Kooperation auf dem Westbalkan. Zum einen fürchten einige kleinere Länder die Dominanz Serbiens, das nicht einmal die Unabhängigkeit aller Teilnehmer anerkennt: Die Loslösung der einstigen südserbischen Provinz Kosovo hält Belgrad bis heute für nicht gültig. Von einem neuen Gebilde, das beinahe das Territorium des alten Jugoslawien umfassen würde, würde denn auch Serbien besonders profitieren.

Zum anderen aber gibt es Sorgen, dass das Drängen der EU auf mehr Zusammenarbeit eine Alternative zu den Beitrittsverhandlungen mit den Westbalkan-Staaten werden könnte. Dabei wollen Serbien, Mazedonien, Montenegro, Kosovo, Bosnien-Herzegowina und Albanien nicht weniger als Mitglieder der Union sein - auch wenn die einzelnen Länder unterschiedlich weit auf diesem Weg sind. Während beispielsweise Montenegro in den Verhandlungen mit Brüssel bereits einige Kapitel eröffnet hat, hat der Kosovo nicht einmal den Status eines Beitrittskandidaten. Mazedoniens EU-Annäherung wiederum ist durch einen Namensstreit mit Griechenland behindert.

Dennoch soll die Perspektive einer Aufnahme in die EU aufrecht bleiben. Das betont der für Erweiterungsverhandlungen zuständige EU-Kommissar, Johannes Hahn, immer wieder. Und auch aus Wien kommen solche Beteuerungen regelmäßig. Immerhin sei der Westbalkan nicht Europas Hinterhof, sondern "unser Wohnzimmer", erklärte Bundeskanzler Christian Kern am Rande des Gipfeltreffens in Triest. Daher müsse an die Beitrittswerber ein klares Signal ausgesandt werden.

Ähnlich äußerte sich Außenminister Sebastian Kurz. Er verwies auf das Vorhaben zur Schaffung eines gemeinsamen regionalen Wirtschaftsraums, der nicht nur Investitionen anziehen, sondern auch die Annäherung an die EU beschleunigen könnte.

Für solch eine ökonomische Verknüpfung wirbt ebenfalls Hahn. Laut Kommission würde ein gemeinsamer Binnenmarkt mit rund zwanzig Millionen Menschen bis zum Jahr 2025 an die 80.000 Arbeitsplätze schaffen. In einer Gegend, wo teilweise jeder vierte Mensch keinen Job hat, wäre das durchaus wünschenswert.

Im eigenen Interesse engagiert

Jedoch gibt es dafür noch etliche Hürden zu überwinden: Die Infrastruktur müsste einer engeren Zusammenarbeit angepasst, die Verwaltung reformiert werden. Auch mangelt es stellenweise an guten Straßen- und Schienenverbindungen zwischen den einzelnen Ländern. Die EU möchte der Region mit Expertise und Geld helfen. In der laufenden Finanzierungsperiode bis 2020 will die Union die Region - und die Beitrittskandidatin Türkei - mit knapp zwölf Milliarden Euro unterstützen. Für die Westbalkan-Staaten soll es außerdem Darlehen für Investitionsprojekte in Höhe von bis zu 500 Millionen Euro geben, etwa von der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung sowie von der Europäischen Investitionsbank.

Das Engagement der EU liegt allerdings auch in deren eigenem Interesse. Ohne das könnte in der Region nämlich ein Vakuum entstehen, worauf ebenfalls Kern hinwies. Und das Vakuum versuchen schon andere Länder aufzufüllen. Die Türkei etwa möchte vor allem die Kontakte zu den muslimischen Gemeinschaften nutzen, um ihre wirtschaftlichen Projekte zu realisieren. Politischer hingegen sind die Motive Russlands, in der Region seinen Einfluss zu vergrößern. Moskau möchte dadurch in erster Linie den Prozess der EU-Annäherung der Westbalkan-Staaten stören.