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Der Staat, den niemand will

Von Gerhard Lechner

Politik

Im Osten der Ukraine soll "Kleinrussland" entstehen. Kiew schäumt, Moskau ist nicht begeistert.


Donezk/Kiew. Durch Bescheidenheit, Umsicht und Rücksichtnahme hat sich Alexander Sachartschenko schon bisher nicht ausgezeichnet. Der ostukrainische Rebellenführer, der seit bald drei Jahren der selbstproklamierten "Volksrepublik Donezk" als deren Ministerpräsident vorsteht, gibt stets das ruppige Polit-Raubein. Nun hat der meist im militärischen Camouflage-Look auftretende Politiker mit einer neuen Provokation aufhorchen lassen. Sachartschenko will einen neuen Staat gründen - "Malorossija", Kleinrussland. Dieser soll - "als Nachfolger der Ukraine" - die ganze Ukraine mit Ausnahme des Westens des Landes umfassen, auch die Hauptstadt Kiew soll sein Teil werden - allerdings nur als "historisches und kulturelles Zentrum", nicht mehr als Hauptstadt. Die wäre dann Donezk.

Gegen den Westen

"Malorossija" ist ein Name, der in Kiew keinen guten Klang hat - und der wohl als gezielte Provokation aufgefasst werden wird. Dabei ist der Begriff, der ins Mittelalter zurückreicht, zunächst nicht abwertend gemeint. Wie es in Polen ein "Großpolen" um Gnesen und Posen und ein "Kleinpolen" um Krakau gibt, so unterschieden auch die Byzantiner die "Kleine Rus" um Kiew von der "Großen Rus" um Wladimir und Susdal. Und noch der aus der Ukraine stammende Dichter Nikolaj Gogol sprach von "Kleinrussen und Großrussen", von den "Seelen zweier Zwillinge".

In Zeiten, in denen die Ukraine mit Moskau im Dauerkonflikt ist, in denen sich im Donbass ukrainische Soldaten und von Moskau unterstützte Rebellen gegenüberstehen, ist die Rede von den "Zwillingen" oder - wie in der Sowjetunion - den "slawischen Brüdern" in Kiew nur mäßig populär. Spätestens seit der Revolution auf dem Maidan 2014 wird in der Ukraine energisch aufs "Ukrainertum" gepocht, auf die eigene Sprache, eine eigene, oft krampfhaft von Russland losgelöste Geschichte - und auf die Anbindung an den Westen.

Symbol der Ablehnung dieser Anbindung an den Westen ist aber eben das "Kleinrussentum", das bei vielen orthodoxen Ukrainern in der Zeit der Unterdrückung durch das katholische Polen-Litauen hoch im Kurs stand. Damals glaubten viele, dass sich Klein-, Groß- und Weißrussen unter dem Zepter des Zaren der fremden Ausbeuter erwehren müssten. Auch heute hat diese Ideologie noch Anhänger. Sie wird vor allem durch die Russisch-Orthodoxe Kirche vertreten, deren Patriarch sich Patriarch "der ganzen Rus" nennt - also von Russland, Weißrussland und der Ukraine zusammen. Sie bilden gemeinsam "Russki Mir", die "Russische Welt". Der Patriarch ist dann auch eine politische Zielscheibe in der heutigen Ukraine.

Russland nicht begeistert

Die Chancen für Sachartschenko, seine großen Visionen umzusetzen, stehen allerdings denkbar schlecht - Russland, der mächtige Verbündete der Donbass-Rebellen, reagierte auf seine Ankündigung alles andere als begeistert. Die oberste Regierungsebene hüllte sich in Schweigen. Und Leonid Kalaschnikow, der Vorsitzende des auswärtigen Ausschusses der Staatsduma, des russischen Parlaments, kritisierte gar, der Vorschlag widerspreche dem Friedensplan für den Donbass.

"Sachartschenkos Äußerung war offensichtlich nicht mit Moskau abgesprochen", sagte Russland-Experte Gerhard Mangott der "Wiener Zeitung". Und er verweist darauf, dass die mangelnde Unterstützung des Kremls für seine Pläne nicht Sachartschenkos einziges Problem ist: "Die Ankündigung, ein ,Kleinrussland‘ schaffen zu wollen, war ein Alleingang der Donezker Volksrepublik", stellt der Politologe klar. "Die benachbarte Volksrepublik in Lugansk will sich an Sachartschenkos Plänen nicht beteiligen. Das persönliche Verhältnis des Donezker Republikchefs zu seinem Amtskollegen in Lugansk, Igor Plotnizki, ist nämlich denkbar schlecht", analysiert Mangott. "Wie soll es Sachartschenko da gelingen, fast die ganze Ukraine in die Hand zu bekommen?"

Neben der großspurigen Ankündigung, "Kleinrussland" schaffen zu wollen, dürfte in Kiew aber auch noch eine zweite Ankündigung Sachartschenkos für Unmut sorgen: Der 41-Jährige erklärte, dass der Ausnahmezustand in Donezk für weitere drei Jahre aufrechterhalten werden sollte.

Verbot von Parteien

Dieser Ausnahmezustand sieht auch das Verbot aller Parteien vor. "Im Minsker Prozess ist aber die Durchführung von lokalen Wahlen in den Separatistengebieten vorgesehen. Daran sollen auch ukrainische Parteien teilnehmen dürfen", sagte Mangott. "Die Ukraine will ihre Verpflichtungen im Minsker Abkommen nur umsetzen, wenn es im Donbass freie Wahlen gibt." Davon ist man im Donbass nun weit entfernt.