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Platz eins ist vergeben

Von Alexander Dworzak

Politik

SPD-Kandidat Schulz kann beim TV-Duell gegen die deutsche Kanzlerin Merkel den Abstand höchstens verringern.


Berlin/Wien. Sonntagabend ist traditionell "Tatort"-Zeit in Deutschland. Doch an diesem Wochenende pausiert die beliebte Krimiserie. Bis zu 20 Millionen Bürger werden dann eine andere Sendung verfolgen, das TV-Duell zwischen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihrem SPD-Herausforderer Martin Schulz. Sorgt das einzige direkte Aufeinandertreffen der beiden vor der Bundestagswahl für Spannung in einem dahinplätschernden Wahlkampf?

Jeder Fünfte sagt, der Ausgang des 90-minütigen Duells könnte beeinflussen, wo er oder sie am 24. September das Kreuz macht. Das ergab eine Umfrage für den "Stern". Noch dazu hat rund die Hälfte der mehr als 61 Millionen Wahlberechtigten noch keine definitive Wahlentscheidung getroffen. Es sind Zahlen wie diese, an die sich die Sozialdemokraten klammern. Und an das Jahr 2002: Kanzler Gerhard Schröder - heute aufgrund seiner Russland-Nähe umstritten - lag weit hinter dem Herausforderer der Union, Edmund Stoiber. Sogar die Ministerliste hatten die Konservativen bereits parat. Doch dann erreichte das Elbe-Hochwasser Ostdeutschland. Und der Instinktpolitiker Schröder zeigte vor Ort "Leadership in Gummistiefeln", wie die "Zeit" formulierte, sein bayerischer Kontrahent dagegen urlaubte. Letztlich wurde die SPD Erster: mit 0,01 Prozent Vorsprung.

Wehmut ob Schröders Aufholjagd befällt die SPD, wenn sie einen Blick auf die aktuellen Umfragen wirft. Nur 22 Prozent erreicht sie laut am Freitag veröffentlichten Daten der Forschungsgruppe Wahlen. Das sind 17 Prozentprozentpunkte weniger als die konservative Union. Andere Demoskopen sehen den Abstand geringer, doch fehlen der SPD auch gemäß optimistischeren Analysen zumindest 13 Prozentpunkte auf CDU/CSU.

Noch immer Angst vor den "Roten Socken"

"Der Vorsprung der Union ist nicht aufholbar", legt sich Frank Brettschneider fest. Der Professor für Kommunikationswissenschaft und Wahlforscher an der Universität Hohenheim in Stuttgart sieht im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" keine Möglichkeit, wie Schulz entscheidend gegen Merkel punkten könnte - selbst bei Großereignissen, die viele Wähler mobilisieren könnten: "Auf nationaler Ebene würde Schulz nicht davon profitieren, wenn es einen Terroranschlag geben sollte; der hoffentlich nicht eintritt. Bei internationalen Krisen schart sich die Bevölkerung um den Amtsinhaber. Somit bleibt lediglich die Hoffnung, dass ein großer innenpolitischen Skandal auffliegt, in den Angela Merkel direkt verwickelt ist. Und dafür gibt es keinerlei Anzeichen."

Dabei sah es in den ersten drei Monaten des Jahres so aus, als könnte Schulz die seit 2005 amtierende Kanzlerin ernsthaft in Bedrängnis bringen. Bilder im Stil von Barack Obamas berühmten "Hope"-Plakat, bloß mit dem Konterfei des langjährigen EU-Parlamentspräsidenten, machten im Internet die Runde, mehr als zehntausend Personen wurden Mitglieder, nachdem Schulz die Parteispitze übernahm, und beim Parteitag erhielt er stalinistische 100 Prozent Zustimmung.

Von 15 Prozentpunkten Anfang Jänner schmolz der Vorsprung der Union auf die SPD bis Mitte März auf 2 Prozentpunkte. "In der SPD herrschte Erleichterung, als der damalige Parteichef Sigmar Gabriel Ende Jänner seinen Rückzug angekündigt hatte. Ihm wurde nichts zugetraut. Jeder außer Gabriel war der Basis recht", sagt Wahlforscher Brettschneider. "Schulz hatte damals den Vorteil, dass er neu auf dem Berliner Parkett war. Das brachte ihm mehr Aufmerksamkeit in den Medien, wie auch bei neuen Vorstandschefs von Konzernen wurde beim SPD-Kandidaten viel über bisherige Erfolge berichtet. Und die Sympathisanten berauschten sich an den Erfolgsmeldungen wie der 100-prozentigen-Zustimmung", analysiert der Professor für Kommunikationswissenschaft.

Ausgerechnet das Saarland mit seinen nur 800.000 Wahlberechtigten ließ die Schulz-Blase platzen. Vor der Landtagswahl im März holte die SPD analog zum Bund mächtig auf, am Wahltag folgte die große Ernüchterung. Entgegen allen Erwartungen lag die CDU mehr als elf Prozentpunkte vor den Sozialdemokraten. Sie hatten - wie auch die Demoskopen - völlig unterschätzt, wie umstritten außerhalb Ostdeutschlands eine ins Spiel gebrachte Koalition der SPD (und der Grünen) mit der Linkpartei noch ist. Gegen "rote Socken" führte die CDU bereits im Bundestagswahlkampf 1994 Kampagne. So offensiv muss sie es heute nicht machen. In unruhigen Zeiten von Brexit und Donald Trump sehnt sich die Mehrheit der Bürger nicht nach Experimenten. Schon gar nicht nach einer Partei wie der Linken, die noch immer auf Kriegsfuß mit der Nato steht. Außerdem schmetterte deren Basis den Vorschlag ab, im Wahlprogramm die Krim-Annexion durch Russland als völkerrechtswidrig zu verurteilen.

Die Kanzlerschaft ist noch nicht aufgegeben

Nach dem Debakel im Saarland war der davor so positiv bewertete Schulz plötzlich mit unangenehmen Fragen konfrontiert. Die Euphorie war verflogen, ein zündendes Thema fehlt bis heute. Trotz Kritik lässt er sich weiterhin alle Koalitionsoptionen offen. Auch wenn Platz eins für die SPD außer Reichweite ist, hat der 61-Jährige dennoch geringe Chancen, nächster Kanzler zu werden - entweder in einer Ampelkoalition mit den Grünen und der FDP oder dank Rot-Rot-Grün. Derzeit kommen beide Varianten nicht auf die notwendige Mehrheit.

Schulz muss daher mehrere Prozentpunkte aufholen. Die Erwartungen des Publikums in ihn sind gering: Laut ARD-Umfrage meinen fast zwei Drittel, dass Merkel bei dem TV-Duell Auftritt besser abschneiden wird, nur 17 Prozent trauen das Schulz zu. Die spröde, aber mit einem trockenen Charme ausgestattete Kanzlerin hat bei ihren Konfrontationen mit Gerhard Schröder 2005, Frank-Walter Steinmeier 2009 und Peer Steinbrück 2013 zwar nie geglänzt, aber auch nicht entscheidend gepatzt.

Unmittelbar helfe das TV-Duell beiden Großparteien, meint Wahlforscher Frank Brettschneider. Alles drehe sich dieser Tage um Union und SPD, während die Kleinparteien untergingen. Kann Schulz ein Thema setzen, über das auch über den Sonntag hinaus diskutiert wird, hat er die Chance aufzuholen. Wieder einmal dient Gerhard Schröder als Vorbild: 2005 stempelte er Merkels Finanzexperten Paul Kirchhof als "Professor aus Heidelberg" ab. Subtext: abgehoben. So nahm auch die Bevölkerung die Steuerkonzepte Kirchhofs wahr, die CDU-Chefin rückte von ihrem eigenen Berater ab. Die Wahl gewann Merkel trotzdem.

Das TV-Duell wird am Sonntag,
3. September, ab 20.15 Uhr auf
ARD, ZDF, Sat.1 und RTL übertragen.