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Maximaler Erfolg mit minimalem Beitrag

Von Alexander Dworzak

Politik

Merkel könnte die längstdienende Kanzlerin in der Geschichte der Bundesrepublik werden.


Berlin/Wien. Sie wolle politische Weichen neu stellen, sagte Angela Merkel im Bundestagswahlkampf. Dynamik und Wandel schwangen in ihren Worten mit - gefallen im Jahr 2005. Damals waren knapp zwölf Prozent der Bürger ohne Job. Die Verbraucherpreise stiegen stärker als die Verdienste. Das Wirtschaftswachstum betrug weit unter einem Prozent. Und der Frankfurter Aktienindex DAX grundelte um 4900 Punkte. Das Bild von Deutschland als dem "kranken Mann Europas" geisterte durch die Medien. Und tatsächlich löste die Anti-Wahlkämpferin Merkel den infolge seiner Arbeitsmarkt- und Sozialreform Agenda 2010 angeschlagenen SPD-Kanzler Gerhard Schröder ab.

Viele Deutsche kennen keine andere Person an der Spitze der Regierung. Merkel, mittlerweile 63 Jahre alt, schickt sich an, die längstdienende Kanzlerin in der Geschichte der Bundesrepublik zu werden. Sollte sie nach der Bundestagswahl am 24. September wieder eine Koalition anführen, fehlen ihr nur mehr zwei Jahre auf Konrad Adenauer, zwei weitere auf Helmut Kohl. Beide Politiker haben Deutschland von Grund auf verändert, auch ökonomisch: Unter dem Nachkriegskanzler setzte sein Wirtschaftsminister Ludwig Erhard das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft um. Kohl war nicht nur Vater der Wiedervereinigung, sondern auch Geburtshelfer des Euro. Wo finden sich Merkels Spuren?

Die fixen Wechselkurse waren noch in den 1990ern für eine tiefe Rezession in Deutschland verantwortlich. Denn mehrere Staaten, darunter Italien, Spanien und Portugal, werteten ihre Währungen um bis zu 30 Prozent ab. Die deutsche Antwort: Wettbewerbsfähigkeit der Preise, Lohnverzicht der Arbeitnehmer. Diese Rosskur mutete auch Schröder den Bürgern zu, als sich die Zahl der Arbeitslosen bedrohlich in Richtung fünf Millionen bewegte.

Merkel gestaltet nicht, sie verwaltet das Erbe ihres Amtsvorgängers. Das reicht, um zwölf Jahre später, im August 2017, die Zahl der Jobsuchenden auf 2,5 Millionen gedrückt zu haben. Im Gegenzug erreichte die Zahl der Erwerbstätigen mit mehr als 44 Millionen einen Rekordwert.

Die Kanzlerin kann nicht nur auf die Leidensfähigkeit der Bürger vertrauen. Ihr kommen gleich vier Großtrends zugute, welche das Geschäftsmodell Deutschlands - industriebasiert, dienstleistungsergänzt, exportorientiert - begünstigen und die Wirtschaft in den vergangenen zwölf Quartalen wachsen ließen: Erstens kurbelt der schwache Eurokurs die Exporte an. 252 Milliarden Euro betrug der Exportüberschuss im vergangenen Jahr, Rekord. Im letzten Jahr von Schröders Kanzlerschaft waren es 94 Milliarden Euro weniger. Zweitens sorgte der gesunkene Ölpreis dafür, dass die Unternehmen nicht nur billiger produzieren können. Ihre Waren werden auch zu günstigeren Konditionen transportiert.

Merkels Helfer Draghi

Drittens darf sich Merkel bei Mario Draghi, Chef der Europäischen Zentralbank, bedanken. Dank der Niedrigzinspolitik der EZB sinken die Kreditkosten der Bundesrepublik. Die öffentlichen Schulden fielen alleine von März 2016 bis März 2017 um 47 Milliarden Euro. Bund, Länder und Kommunen sind damit zum ersten Mal seit der Krise 2009 mit unter zwei Billionen Euro verschuldet. Zudem erleichtert der EZB-Leizins über 0,0 Prozent Unternehmern Finanzierungen immens. Verlierer dieser Politik sind die Sparer. Viertens, sie konsumieren daher; auch, weil die Lohnzurückhaltung gelockert wurde. Unter Schwarz-Rot wurde nach der Wahl 2013 gegen den Widerstand von Merkels Union der Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde eingeführt. 900.000 Jobs sahen Gegner dadurch in Gefahr, bestätigt hat sich die Befürchtung nicht.

Schwarze Zahlen sind die einzige große wirtschaftspolitische Ambition von CDU/CSU. In den vergangenen drei Jahren gelang dies, und auch 2017 dürfte der Trend fortgesetzt werden. Dafür verfallen Schulen und Straßen. Die staatliche KfW-Bank konstatiert bei Gemeinden, Landkreisen und Städten einen Investitionsrückstand in Höhe von 126 Milliarden Euro. Die Digitalisierung heften sich alle Parteien nun im Wahlkampf an die Brust. Dabei schafft es Schwarz-Rot nicht einmal, wie im Koalitionsvertrag versprochen, dass bis 2018 Breitbandanschlüsse im gesamten Land zur Verfügung stehen.

Schröders Flexibilisierung der Arbeitsmärkte brachte insbesondere für Jüngere Verschlechterungen. Mehr als 18 Prozent der 25- bis 34-Jährigen verfügen nur über einen befristeten Arbeitsvertrag; bei den über 55-Jährigen sind es dagegen nicht einmal vier Prozent. Trotz des Jobbooms bleiben Langzeitarbeitslose nur schwer vermittelbar. Und 3,7 Millionen Bürger verdienen trotz regelmäßiger Arbeit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens. Laut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung habe sich damit der Anteil als arm geltender Arbeitnehmer binnen zehn Jahren verdoppelt. Auf diese Probleme hat Merkel keine Antwort gefunden. Es kommen noch größere auf die alte und wohl neue Kanzlerin zu. Deutschland zählt zu den ältesten Gesellschaften weltweit, ab Mitte der 2020er werden die besonders geburtenstarken Jahrgänge in Pension gehen. Doch anstatt in guten Zeiten unpopuläre Entscheidungen zu treffen, senkte Schwarz-Rot das Pensionsantrittsalter bei 45 Beitragsjahren von 67 auf 63 Jahre.

Mutig nur bei der Energiewende

Mutig war Merkel nur bei der Energiewende. Die Stilllegung der Atomkraftwerke passierte der Kanzlerin infolge der Katastrophe von Fukushima. Mittlerweile haben die erneuerbaren Energien 30 Prozent Marktanteil; auch dank 24 Milliarden Euro Förderung alleine in diesem Jahr. Gleichzeitig laufen die Kohlekraftwerke weiter, Deutschland wird sein Ziel verfehlen, 40 Prozent der Treibhausgasemissionen von 1990 bis 2020 zu reduzieren. Es mangelt Merkel also nicht an Problemen, um die 2005 versprochenen neuen Weichenstellungen zu realisieren.