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Hart, aber loyal

Von Alexander Dworzak

Politik

Zum 75. Geburtstag von Wolfgang Schäuble, verhinderter Kanzler und verhinderter Bundespräsident Deutschlands.


Berlin/Wien. Als Wolfgang Schäuble zum ersten Mal in den Bundestag einzieht, heißt der Kanzler der BRD Willy Brandt. 1972 nimmt der 30-jährige Neuling aus Baden-Württemberg auf der Hinterbank Platz. Aus der Bonner Republik ist zwischenzeitlich die Berliner geworden, aus dem Neuling das dienstälteste Mitglied des Bundestags. 45 Jahre und zwölf Legislaturperioden macht Schäuble Politik. Und schont dabei weder sich noch andere. Wenig Wert legt Deutschlands Finanzminister auf Rührseligkeit. Anlässlich seines 75. Geburtstags am Montag mahnt der Jubilar: "Wir werden eine gute Zukunft nur haben, das lehrt die Geschichte, wenn wir Europa zusammenhalten, und zwar das ganze Europa. Wieder und wieder." In der Europäischen Union müsse man aufpassen, dass nicht nur die großen Staaten bestimmten.

Kritiker werfen Schäuble genau das mit Blick auf dessen Griechenland-Politik vor. Die 2015 ausgesprochene Drohung, den Krisenstaat auf Zeit aus der Euro-Zone auszuschließen, ließ Premier Alexis Tsipras einknicken. Seitdem verfolgt der Linkspolitiker jene Sparziele, für die er Sozialisten und Konservative zuvor gebrandmarkt hatte. Maßnahmen, die das Land wieder wettbewerbsfähig machen sollen, den Menschen aber enorme soziale Lasten aufbürden. Schäuble nimmt die Rolle des Zuchtmeisters hin - und für sich in Anspruch, die Euro-Zone als Ganzes zusammengehalten zu haben. Härte für ein höheres Ziel.

Schäuble habe "die notwendige Härte, die es eben auch in einem Führungsamt braucht", sagt Angela Merkel in ihrer Geburtstagsansprache. Die Kanzlerin attestiert dem Jubilar dabei auch "das notwendige Feingefühl für die Sorgen, Nöte und Zwänge eines Abgeordneten". Fast 28 Jahre kennen die beiden Spitzenpolitiker einander, ihr Aufstieg ist untrennbar mit Helmut Kohl verbunden. Dass Schäuble niemals Kanzler wurde, hat mit Kohl und Merkel zu tun.

Zu spät von Kohl emanzipiert

Zwar machte sich Schäuble in der CDU rasch unverzichtbar. Er stieg 1984 zum Kanzleramtsminister auf, gestaltete als Innenminister den Einigungsvertrag entscheidend und wurde von Kohl selbst 1997 als potenzieller Nachfolger genannt. Bloß amtierte der Kanzler damals bereits seit 15 Jahren. Die Bürger hatten den Reformstau satt, den selbst Schäuble konstatierte: "Man kann nicht regieren, indem man über alles Konsenssoße gießt." Aber Kohl konnte nicht vom Amt lassen - und sein über Jahrzehnte treuer Weggefährte Schäuble ihn nicht stürzen. Loyalität siegte über Härte.

Es oblag Angela Merkel, mit einem Beitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" 1999 die Emanzipation der Partei von Kohl einzuläuten. Sie rief die CDU dazu auf, "ohne ihr altes Schlachtross, wie Helmut Kohl sich selbst oft gerne genannt hat, den Kampf mit dem politischen Gegner aufzunehmen". Damals wurde publik, dass die CDU schwarze Konten unterhalten hatte. Und Schäuble musste einräumen, 100.000 Mark des Waffenlobbyisten Karlheinz Schreiber angenommen zu haben. Sein "dämlicher Fehler", so Schäuble, kostete ihn den Parteivorsitz, auch auf Betreiben von Helmut Kohl im Hintergrund. Generalsekretärin Merkel wurde Chefin der CDU.

Seitdem Merkel Kanzlerin ist, zählt Schäuble zu den Fixstartern in ihren Kabinetten. Unter Schwarz-Rot von 2005 bis 2009 war er Innenminister - und ließ seine Härte aufblitzen, als er den Grundsatz der Unschuldsvermutung im Kampf gegen terroristische Gefahren nicht gelten lassen wollte. Seit 2009 amtiert er als Finanzminister, zuerst in einer Koalition von CDU/CSU mit der FDP, in den vergangenen vier Jahren wieder mit den Sozialdemokraten.

Schäuble gibt sich hart, wenn es um die schwarze Null im Haushalt geht. Und tatsächlich kann der Leistungsethiker das als erster Finanzminister seit 1969 für sich verbuchen. Dass das Ausgabenwachstum nicht gebremst wurde und externe Faktoren wie die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank entscheidend zum Budgetplus beitragen, das seit drei Jahren anhält, schmälert die Leistung Schäubles in den Augen der Bürger nicht. 62 Prozent sind laut ARD-Deutschlandtrend mit ihm zufrieden. Davor rangieren nur Merkel und an der Spitze Sigmar Gabriel; Außenminister genießen eine Sonderstellung und führen das Ranking zumeist an.

Obwohl Schäuble bisher für Merkel als Minister unverzichtbar war, ist sein Verbleib im Amt nach der Wahl am Sonntag unsicher. Die FDP reklamiert das Finanzministerium für sich. Und die SPD könnte bei Schwarz-Rot zur Besänftigung ihrer Basis auf das wichtigste Ressort pochen.

Keine Revanche an Merkel

Einen anderen Karriereschritt verbaute Merkel. Sie entschied sich 2004 gemeinsam mit dem damaligen FDP-Chef Guido Westerwelle für Horst Köhler als Präsidenten. Der gab sein Amt frühzeitig auf. Schäuble hätte Revanche üben können, als Merkel ob ihrer Flüchtlingspolitik in die Kritik geriet. Die CSU und Teile der CDU stellten Planspiele an, die Kanzlerin zu stürzen. Der Finanzminister aber stand zu Merkel. Wie gegenüber Kohl zog Schäuble Loyalität der Härte vor.

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www.wienerzeitung.at/deutschland2017