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Die CDU fürchtet den Schlendrian

Von Alexander Dworzak

Politik

Weil die Konservativen vor der Bundestagswahl am Sonntag haushoch führen, könnten deren Anhänger den Urnen fernbleiben - und die AfD könnte auch dank früherer Nichtwähler besser abschneiden als prognostiziert.


Berlin/Wien. Peter Tauber malt das ultimative Drohszenario an die Wand. Selbstverständlich werde sich SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz wenn möglich mit den Stimmen von Grünen und Linkspartei zum neuen Kanzler wählen lassen. Was der CDU-Generalsekretär verschweigt: Die drei Kontrahenten sind meilenweit von einer Mehrheit bei der Bundestagswahl am Sonntag entfernt; sie liegen um die 40 Prozent. Gerade weil die Union ungefährdet führt, herrscht bei den Konservativen Nervosität. Sie fürchten, dass viele Anhänger die Wahl als gelaufen ansehen und gleich gar nicht zu den Urnen schreiten.

Also rückt Tauber gegen die Linke aus, Feindbild Nummer eins vieler Konservativer. Stimmungsmache gegen die "roten Socken", so ein CDU-Plakat aus dem Jahr 1994, funktioniert noch immer. Das zeigte sich zuletzt im März bei der Landtagswahl im Saarland. Die SPD holte im Wahlkampf rund zehn Prozentpunkte auf, Rot-Rot-Grün schien in Griffweite. Doch selbst in der Heimat der Linken-Ikone Oskar Lafontaine wollte die Mehrheit der Bürger nichts von dieser Regierungsform wissen und flüchtete zu CDU-Kandidatin Annegret Kramp-Karrenbauer.

Einbruch im Krisenjahr 2009

Aufgrund der Aussicht auf Rot-Rot-Grün stieg die Wahlbeteiligung um fast acht Prozentpunkte. Umgekehrt war es bei der Bundestagswahl 2009. Damals wurde mit knapp 71 Prozent ein Tiefststand erreicht. Mitten in der Wirtschafts- und Finanzkrise straften die Bürger die SPD ab. Die Sozialdemokraten verloren mehr als zehn Prozentpunkte und landeten bei 23 Prozent. Diesen Wert könnte die Partei nun unterbieten, ihr Gerechtigkeitswahlkampf entpuppte sich als Rohrkrepierer in einem Land, in dem noch nie so viele Menschen beschäftigt sind wie heute - hohem Niedriglohnsektor zum Trotz.

Auch für die Union wird abseits des Sieges der Sonntag nicht zum Freudentag. Schließlich liegt das Wahlergebnis von 2013, als 41,5 Prozent erzielt wurden, in weiter Ferne. Verantwortlich dafür ist in erster Linie die Alternative für Deutschland (AfD); sie schafft beim zweiten Antritt den Sprung in den Bundestag. Zwar steht die (Kritik an der) Flüchtlingspolitik Merkels nicht mehr im Zentrum der Aufmerksamkeit bei den Bürgern. Laut ARD-Deutschlandtrend waren Integration als auch Zuwanderung von Flüchtlingen nicht unter den zehn häufigst genannten Themen, die sehr wichtig für die Wahlentscheidung der Befragten sind. Auf den ersten drei Plätzen landeten Bildungspolitik, Terrorismusbekämpfung und Altersabsicherung. Doch verknüpft die AfD Zuwanderung mit Terrorismus: "Es sind Merkels Tote", twitterte der AfD-Vorsitzende von Nordrhein-Westfalen, Marcus Pretzell, nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt.

Wie einst die FPÖ übt sich die AfD in Grenzüberschreitungen. Der Hass, der Merkel bei Wahlkampfveranstaltungen im Osten der Bundesrepublik entgegenschlug, wurde von der AfD mitbefeuert. Im Wahlkampfbus der Partei wurden Krakeeler zur Kanzlerin geführt, um sie niederzubrüllen. Und Spitzenkandidat Alexander Gauland ließ vor einigen Tagen fallen, die Bürger dürften stolz sein auf "die Leistungen deutscher Soldaten" im Ersten und Zweiten Weltkrieg.

Abwesend im Arbeiterviertel

Acht von zehn Deutschen finden, die Partei grenze sich nicht genug von rechtsextremen Positionen ab. Gleichzeitig meinen 40 Prozent, die AfD löse zwar keine Probleme, nenne die Dinge aber beim Namen. Das von der Sozialdemokratisierung der CDU enttäuschte Bürgertum findet bei der AfD Zuflucht. Sollte sie im weiteren nicht nur das Gros der Protestwähler für sich gewinnen - hier konkurriert sie vor allem mit der Linkspartei -, sondern auch frühere Nichtwähler in hohem Maße zu den Urnen bringen, könnte die AfD deutlich besser als prognostiziert abschneiden.

Wo die Lage der Bürger prekär und die Arbeitslosigkeit hoch ist, fällt die Wahlbeteiligung niedrig aus. Im fränkischen Nürnberg etwa, 500.000 Einwohner, nahmen vor vier Jahren stadtweit 67 Prozent an der Bundestagswahl teil. 80 Prozent waren es im Nobelbezirk Erlenstegen, dort betrug die Arbeitslosenquote 1,8 Prozent, ergab eine Analyse des Bayerischen Rundfunks. Umgekehrt war die Lage in Gibitzenhof, einem ehemaligen Arbeiterviertel mit hohem Migrantenanteil. Dort waren 2013 mehr als zehn Prozent ohne Job. Und nicht einmal die Hälfte der Wahlberechtigten gab ihre Stimme ab. Wie wählt Gibitzenhof am Sonntag?