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"Ich fürchte, was noch kommt"

Von Alexander Dworzak

Politik

2016 wurde die ungarische Oppositionszeitung "Népszabadság" eingestellt. Orbán zementiert seine Medienmacht weiter - mit Hilfe aus Österreich.


Budapest/Wien. Márton Gergely macht gerade Frühstück, als sein Berufsleben zusammenbricht. Es ist Samstagmorgen, der 8. Oktober 2016. Beim stellvertretenden Chefredakteur der ungarischen Zeitung "Népszabadság" klingelt das Telefon. "8.40 Uhr", erinnert sich Gergely im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" noch genau. "Ein investigativer Journalist unseres Blattes fragt mich, ob er gefeuert sei. Er habe plötzlich keinen Zugriff mehr auf seine E-Mails. Ich schaue nach. ,Bei mir funktioniert auch nichts, das kann nur ein gutes Zeichen sein‘, beruhige ich ihn. Zehn Minuten später erhalte ich von einem Boten das Kommuniqué, wonach wir suspendiert sind."

"Wir", das ist die gesamte Belegschaft. 88 Mitarbeiter, davon rund 65 Journalisten. Sie arbeiten für die wichtigste überregionale Zeitung des Landes. Vom Organ des Zentralkomitees der ungarischen KP, 1956 gegründet, wandelte sich "Népszabadság" zur bedeutendsten linksliberalen Stimme gegen Premier Viktor Orbán. Eigentlich sollte die Belegschaft an jenem Samstag umziehen. Und steht plötzlich vor verschlossenen Türen. Zugleich geht "Népszabadságs" Webseite samt dem zeithistorisch wertvollen Archiv vom Netz. Wer sie aufruft, erhält nur mehr den Hinweis des Eigentümers, wonach das Medium "bis zur Vorlage eines neuen Geschäftsmodells" eingestellt wird.

Im Freiheitsindex von Platz 23 auf 71 abgestürzt

"Das ist Kapitalismus", sagt der ungarische Regierungssprecher lapidar. Von einem "Putsch" spricht die Redaktion; und findet in ganz Europa Gehör. In den Wochen zuvor deckte "Népszabadság" gleich zwei Affären in Ungarn auf, sie betrafen einen Minister und den Präsidenten der Nationalbank. Auch bezog das Blatt Stellung gegen die tendenziösen Fragen der Regierung beim Referendum über die EU-Flüchtlingsquote. "Alles das war offenbar zu viel - jedenfalls für die feudalistische Haltung von Viktor Orbáns Politik", kommentiert der Schriftsteller György Dalos in der "Welt".

Seit seiner abermaligen Amtsübernahme 2010 hat der Premier die Staatsstrukturen radikal umgebaut. Die autoritäre Wende erfolgte lange bevor Orbán die "illiberale Demokratie" ausrief, 2014. Was seine Änderungen im Mediensektor bedeuten, zeigt der Freiheitsindex der NGO Reporter ohne Grenzen: Vor sieben Jahren rangierte Ungarn auf Platz 23 von 178 Ländern. Heuer ist es Rang 71 von gelisteten 179 Staaten. Ungarns Regierung schuf eine neue Medienbehörde, die Verordnungen ohne parlamentarische Kontrolle erlassen kann. Öffentlich-rechtliche Radio- und TV-Stationen sowie die staatliche Nachrichtenagentur wurden unter einer Holding zusammengefasst und auf Linie gebracht. Wer als privater Medienunternehmer mit objektiver oder gar regierungskritischer Berichterstattung auffällt, dem wird die Sendelizenz streitig gemacht - wie dem Radiosender Klubradio. Oder ihm wird mit zusätzlichen Steuern gedroht - siehe den TV-Sender RTL Klub und das Online-Portal Origo, das der Deutschen Telekom gehört hatte.

Private Werber scheuen daher davor zurück, in Orbán-kritischen Medien zu schalten. Sie fürchten die Rache der Regierung und ausbleibende staatliche Aufträge. Die Medien hängen dadurch in dem kleinen ungarischen Markt am Anzeigetropf der Regierung. Großzügig verteilt Orbán Gelder, wenn er Kampagnen gegen die EU oder gegen George Soros führt. Im Frühjahr 2018 stehen Parlamentswahlen an, über die "Braven" wird dann das Füllhorn ausgeschüttet werden.

Regionalzeitungen eignen sich dafür besonders gut. Regionalzeitungen, das klingt dröge im Internetzeitalter. Doch würden kritische Online-Portale außerhalb Budapests und den Hauptstädten der Komitate kaum gelesen, erklärt Dalma Dojcsák, Leiterin der Sektion Meinungsfreiheit bei der ungarischen NGO Tasz. Regionalzeitungen sind hingegen am Land bestens verankert, ihre Auflage überflügelt jene der überregionalen Titel teils um Längen. Entsprechend groß ist Orbáns Begehr im Angesicht der Wahl.

Der Gas- und Heizungsmonteur als Oligarch

So traf es sich gut, dass die Vorarlberger Russmedia Ende Juli ihre drei ungarischen Regionalzeitungen sowie zwei Blätter in Rumänien verkaufte. Offizielle Begründung: "strategische Fokussierung" auf den Digitalbereich. Käufer war die Media Development Management Kft. Diese wiederum ist "eine Tochtergesellschaft der CPS Investment Services AG, über welche Mitarbeiter und Partner der VCP Gruppe in Beteiligungen investieren", so Russmedia.

Hier schließt sich der Kreis zu "Népszabadság". Denn VCP steht für Vienna Capital Partners - über die Firma Mediaworks einst Eigentümer und vor genau einem Jahr Totengräber von "Népszabadság". Gründer und Senior Partner von VCP ist Heinrich Pecina. Er wurde im Hypo-Prozess im August der Untreue schuldig gesprochen und wegen Betrugs verurteilt. Dafür erhielt der Investmentbanker 22 Monate bedingt und 288.000 Euro Geldstrafe.

Vienna Capital Partners verkauften keine drei Wochen nach der Liquidierung von "Népszabadság" ihr Mediaworks-Medienportfolio. Dieses bestand aus regelrechten Trophäen für Orbán, nämlich zwölf Regionalzeitungen. Dazu kommt noch eine Sport-Tageszeitung. Käufer war Opimus Press. Die Aktionäre dieser Holding residieren laut "Süddeutscher Zeitung" auf den Seychellen und in Nigeria sowie in Felscút - Heimatgemeinde des Regierungschefs. Von dort agiert Lörinc Mészáros. Der ehemalige Gas- und Heizungsmonteur stieg unter Orbán zum Oligarchen auf. "Strohmann" lautet daher Mészáros’ Spitzname.

Unter ihm sind die Blätter auf bedingungslose Regierungslinie umgeschwenkt. Zu Weihnachten 2016 wurde in allen zwölf ein zentral redigiertes Interview mit Orbán veröffentlicht. Doch in einer Zeitung wurden satirische Zitate hinzugefügt; dieses Zeichen des Protests kostete mehrere Mitarbeiter ihre Jobs, obwohl ihre Schuld nie bewiesen wurde.

Die Oligarchen haben die traditionellen Medienunternehmer aus dem Ausland abgelöst. Ironischerweise ist auch des Premiers größter Gegenspieler ein Oligarch, Lajos Simicska. Er war über Jahrzehnte einer der engsten Vertrauten von Viktor Orbán, die Gründe des Bruches sind bis heute unklar. Auf der Seite des Premiers agiert neben Lörinc Mészáros noch Andrew Vajna. Der frühere Hollywoodfilm-Produzent amtiert seit dem Jahr 2011 als Regierungsbeauftragter für die Filmindustrie. Vajna besitzt einen der beiden großen privaten TV-Kanäle Ungarns sowie zwei Regionalzeitungen.

"Heinrich Pecina war und bleibt Mittelsmann"

Damit ist Orbáns Marktmacht bei den regionalen Blättern einzementiert. Laut einem Bericht für das International Press Institute sind Mészáros, Vajna und die Vertreter von Vienna Capital Partners die einzigen verbliebenen Eigentümer von Regionalmedien in Ungarn. Die Fragen der "Wiener Zeitung" nach den strategischen Überlegungen des Kaufes und dem Anlagehorizont blockt VCP ab. Der frühere "Népszabadság"-Redakteur András Dési malt ein düsteres Szenario: "Von Heinrich Pecina kann man nichts Gutes erwarten. Er war und bleibt Mittelsmann. Pecina wird für gutes Geld weiterverkaufen."

26 Jahre war András Dési bei "Népszabadság" tätig, zuletzt als leitender Redakteur für internationale Politik. Den traurigen Jahrestag der Einstellung der Zeitung wird er mit Ex-Kollegen begehen. Er versuche, sich ein neues Leben aufzubauen, publiziere derzeit als freier Autor. Márton Gergely gab Ende Jänner den Kampf um eine Nachfolgezeitung von "Népszabadság" auf. Seit Februar schreibt er für das unabhängige Magazin HVG. Fragt man Gergely nach Licht am Ende des ungarischen Tunnels, schnaubt er: "Mittlerweile diskreditieren Regierungsmitglieder persönlich Journalisten. Ich fürchte, was noch kommt." Trotz allem hat Márton Gergely auch ein optimistisches Szenario parat: "In den USA stieg nach der Wahl Trumps die Auflage der Qualitätszeitungen, in Ungarn legt zum Beispiel HVG zu. Propagandajournalismus ist einfach langweilig."