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Von progressiv bis konservativ

Von WZ-Korrespondent Tobias Müller

Politik

Der Koalitionsvertrag der neuen niederländischen Regierung spiegelt deren heterogenen Charakter wider.


Den Haag. "Vertrauen in die Zukunft": So lautet der Titel des Koalitionsvertrags, den die künftigen Regierungsparteien gestern, Dienstag, in Den Haag präsentierten. Mark Rutte, der alte und neue Premierminister der liberalen Partei VVD, sprach von einem "Paket", das allen Gruppen Verbesserungen bringe. Auch die Parteichefs der künftigen Bündnispartner, Sybrand Buma (Christdemokraten), Alexander Pechtold (Democraten66) und Gert-Jan Segers (ChristenUnie), zeigten sich zufrieden mit dem Ergebnis der schwierigen Verhandlungen.

"Vier Parteien mit ziemlich unterschiedlichen Hintergründen und Überzeugungen", fasste es der frühere Finanzminister Gerrit Zalm zusammen, der die Koalitionsgespräche geleitet hatte. Der Vertrag spiegelt die außergewöhnliche Zusammensetzung wider. Sozial-ökonomisch zielt er vor allem auf die Mittelschicht und Betriebe ab. Mit einer zweistufigen Flat-tax sollen Einkommenssteuern gesenkt werden; der Freibetrag der Vermögenssteuer steigt von 25.000 auf 30.000 Euro. Die Kapitalertragssteuer fällt künftig weg, und die Körperschaftssteuer sinkt, um mehr internationale Unternehmen anzulocken.

Dem gegenüber steht eine Anhebung des niedrigeren der beiden Mehrwertsteuersätze von sechs auf neun Prozent. Bemerkenswert: Die niederländische Besonderheit des steuerlichen Abzugs von Hypothekenzinsen soll künftig deutlich reduziert werden, wogegen sich gerade die Wahlsiegerin VVD lange gewehrt hatte. Als Arbeitsmarkt-Maßnahmen wird der Kündigungsschutz gelockert und die Krankengeld- Bezahlung unter bestimmten Umständen auf ein Jahr beschränkt.

Investieren will die Rutte III genannte Koalition in den Bereich der Altenpflege (zwei Milliarden Euro), Verteidigung (1,5 Milliarden Euro), Polizei sowie Bildung (770 Millionen Euro), was auch eine Reaktion auf die jüngsten Streiks von Grundschullehrern ist. Die Infrastruktur von Straßen bis hin zum öffentlichen Verkehr soll mit zwei Milliarden Euro ausgebaut werden.

Die Ausgaben zeugen davon, dass die neue Regierung nach überwundener Krise anders als ihre Vorgängerin wieder Geld zu Verteilen hat. Das Wirtschaftswachstum 2017 liegt bei mehr als zwei Prozent, im kommenden Jahr soll es etwas weniger betragen. Zugleich sinkt die Arbeitslosigkeit: Heuer lag die Quote bei 4,9 Prozent. Während des Wahlkampfs im Frühjahr war jedoch vielfach kritisiert worden, dass die Bevölkerung von dieser positiven Entwicklung wenig spüre.

Rechtsruck ohne Wilders

In der Einleitung des Koalitionsvertrags wird darauf ausdrücklich bezug genommen. "Wenn viele Menschen zurückbleiben, schadet das der gesamten Gesellschaft", heißt es dort. Künftig solle es deshalb "mehr um die Niederlande und die Niederländer und weniger um Zahlen und Den Haag" gehen. Dies ist ein recht auffälliger Verweis auf die viel zitierte Kluft zwischen Bürgern und Politik, mit der nicht zuletzt der Aufstieg des niederländischen Rechtspopulismus erklärt wird.

Vor allem die Christdemokraten (CDA) hatten im Wahlkampf versucht, der Partij voor de Vrijheid (PVV) von Geert Wilders das Wasser abzugraben. Ihre Bemühungen finden sich nun in prominenter Form im Regierungsprogramm wieder: Die Nationalhymne und Besuche des Parlaments sowie des Amsterdamer Rijksmuseums sollen ein obligatorisches Unterrichts-Thema werden. Die Migrationspolitik wird strenger: Anerkannte Flüchtlinge sollen erst nach zwei Jahren Zugang zu Sozialleistungen bekommen. Geplant sind auch Abkommen mit nordafrikanischen Staaten, um Auswanderung einzudämmen.

Auffällig ist, dass das Parade- Projekt der Democraten66, das Gesetz zu einem selbstbestimmten Lebensende, nicht Teil des Koalitionsvertrags ist - ein klares Zugeständnis an die Junior-Partnerin ChristenUnie. D66 wird mit einem Pilot-Projekt zum staatlich autorisierten Marihuana-Anbau und einer Verfassungsänderung entschädigt, wonach Bürgermeister bald von der Bevölkerung direkt gewählt werden können. Auch sollen Behörden in Zukunft möglichst auf Geschlechts-Registrierung von Bürgern verzichten.

"Der Koalitionsvertrag verbindet konservativ und progressiv", kommentierte D66-Chef Alexander Pechtold. Teil der heterogenen Regierungspläne sind auch einige ökologische Maßnahmen: So soll bis zum Ende der Legislaturperiode 2021 eines der Kohlekraftwerke schließen, die übrigen Kraftwerke sollen bis 2030 folgen.

Wenig beeindruckt von all dem zeigt sich die Opposition. Vertreter rechter Parteien wie Geert Wilders und Thierry Baudet kritisierten die VVD bereits als unzuverlässig.