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Start in die Provokationsperiode

Von Alexander Dworzak

Politik

AfD-Kandidat Albrecht Glaser fällt bei der Wahl zum Vizepräsidenten des Bundestags durch - wie von der Partei gewünscht.


Berlin/Wien. Seit 1972 ist Wolfgang Schäuble CDU-Parlamentarier, seit Dienstag läuft seine 13. Legislaturperiode. Manches ist dennoch neu für den frisch gewählten Präsidenten des Deutschen Bundestags, als er zu seiner Rede ansetzt. Zu hören ist nämlich nichts im Halbrund. "Muss ich selber drücken?", fragt Schäuble mit Verweis auf den Mikrofon-Knopf. Gelächter brandet auf. Vom linken Rand, an dem die Abgeordneten der Linkspartei sitzen, bis zum rechten der AfD-Parlamentarier. Mehr an Konsens zwischen allen Parteien herrscht nicht bei der konstituierenden Sitzung des Bundestags.

Mit 709 Abgeordneten ist der 19. Bundestag der größte in der Geschichte der wiedervereinigten Bundesrepublik. Rund 40 Prozent aller Mandatare sind erstmals vertreten. Das liegt zu einem Gutteil am Einzug der AfD, die bei der Wahl vor einem Monat drittstärkste Kraft geworden ist und 94 Mandate errungen hat. Nach dem Absprung von Frauke Petry und eines Mitstreiters sind es mittlerweile 92. Und erstmals seit 1961 ist wieder eine Partei rechts der Union aus CDU und CSU im Bundestag vertreten.

Vergleich mit Göring

In der AfD tummeln sich neben Konservativen und Wirtschaftsliberalen auch Deutschnationale mit Abgrenzungsproblemen nach Rechtsaußen. "Wir werden die Regierung jagen, wir werden uns unser Land und unser Volk zurückholen", donnerte Spitzenkandidat Alexander Gauland bereits am Wahlabend. Nun führt er mit Alice Weidel die Fraktion der AfD an. In den vergangenen vier Jahren wurde der CDU, der bayerischen CSU und der SPD vorgeworfen, aufgrund ihrer erdrückenden Mehrheit das Parlament gelähmt zu haben. Nach so viel Ruhe herrscht nunmehr Angst vor dem AfD-Sturm aus Parolen und Provokationen.

Dass die Alternative für Deutschland im Bundestag an die Schärfe des Wahlkampfes anknüpft, demonstriert sogleich ihr Parlamentarischer Geschäftsführer Bernd Baumann. Er kritisiert eine Änderung der Geschäftsordnung, nach der nicht mehr der älteste, sondern der dienstälteste Abgeordnete die erste Sitzung im Bundestag eröffnet. Damit sollte ein AfD-Abgeordneter verhindert werden. Diese umstrittene Maßnahme veranlasst Baumann zur Bemerkung, dass in 150 Jahren Parlamentsgeschichte die Regel zum Alterspräsidenten unangetastet geblieben sei - mit einer Ausnahme: "1933 hat Hermann Göring die Regel gebrochen, weil er politische Gegner ausgrenzen wollte. Wollen Sie sich auf solch schiefe Bahn begeben?" Den Vergleich mit dem Luftwaffen-Oberbefehlshaber des NS-Regimes quittiert FDP-Abgeordneter Marco Buschmann mit den Worten: "Da haben Sie sich an Geschmacklosigkeit selbst übertroffen."

Opfer des "Mainstreams"

Ob die AfD aus Provokation, Überzeugung oder einer Mischung aus beidem polarisiert: Ihr werfen CDU, CSU, FDP, Linke und Grüne ein verqueres Geschichtsbild vor. Sie wiederum sieht sich genau deswegen als Opfer des "Mainstreams".

Um diesen Status weiter zu pflegen, beharrt die AfD auf Albrecht Glaser als Vizepräsidenten des Bundestags. Jede Fraktion hat darauf Anspruch. Das gestehen auch die anderen Fraktionen - sie bringen ihre Kandidaten am Dienstag durch - der AfD zu. Doch Glaser ist kein gewöhnlicher Kandidat. Vier Jahrzehnte war er Mitglied der CDU, als Stadtkämmerer von Frankfurt investierte er im Jahr 2000 mehr als 100 Millionen Euro. Die beiden Fonds machten im Vergleich zu einer konservativen Geldanlage rund 90 Millionen Euro Verlust, bilanzierte die "Frankfurter Neue Presse" 2011. Zudem empörte Glaser mit einer Rede, in der er sich dafür aussprach, dem Islam das Grundrecht auf Religionsfreiheit zu entziehen. Publik wurde dieser Fall bereits im April. Die AfD hätte somit genügend Zeit gehabt, einen anderen Kandidaten zu suchen, der weniger konfrontativ auftritt. Stattdessen lässt sie Glaser am Dienstag als Vizepräsidenten demonstrativ durchfallen: In zwei Wahlgängen erhält er jeweils nur rund ein Drittel der erforderlichen 355 Stimmen. Auch im dritten Versuch, bei dem lediglich mehr Ja- als Nein-Stimmen nötig sind, bekommt er keine Mehrheit. Die AfD lässt nun offen, ob sie Glaser erneut aufstellen oder eine Alternative präsentieren wird.

Ähnliches passierte 2005 Lothar Bisky, damals Chef der Linkspartei. Ein halbes Jahr zog sich der Streit, dann stellte die Linke Petra Pau auf. Sie schaffte gleich im ersten Wahlgang die notwendige Mehrheit.

An der Linkspartei wollen Konservative und FDP bis heute nicht anstreifen. In einem Atemzug spricht der liberale Abgeordnete Buschmann am Dienstag von der "extremen Linken und der extremen Rechten". Lange wehrte sich die FDP dagegen, im Bundestag anschließend an die AfD-Abgeordneten Platz nehmen zu müssen; letztlich erfolglos. "Ich kenne die AfD aus dem Landtag von Nordrhein-Westfalen. Aufgefallen ist sie durch harte Parolen am Pult, an der Sacharbeit hat die Partei kein Interesse", lässt Liberalen-Chef Christian Lindner kein gutes Haar am Sitznachbarn. "Die Parlamentarier der AfD sind keine normalen Kollegen. Dazu zähle ich jene, denen es um das Wohl des Landes geht. Bei der AfD geht es darum, Deutschland kaputtzumachen", so das Urteil von Grünen-Chef Cem Özedmir. Der Linke Gregor Gysi mahnt hingegen ein, die anderen Parteien müssten lernen, im Umgang mit der AfD souverän zu werden.

Schäuble schneidet schlecht ab

Genau in diese Richtung zielt dann auch Wolfgang Schäubles Antrittsrede. Kein einziges Mal nennt er die AfD beim Namen, mehrfach spricht er sie an: "Demokratischer Streit ist notwendig. Wir müssen ihn führen und aushalten - nach Regeln. Mehrheitsentscheidungen dürfen nicht als illegitim oder verräterisch denunziert werden", sagt der Bundestagspräsident.

Der Mann mit 45 Jahren Erfahrung in der Politik ist zum Bändiger der AfD im Plenarsaal auserkoren worden. Seine Kontrahenten quittieren die Rolle, indem sie gegen Schäuble stimmen. Doch nicht nur die AfD votiert so: Die 173 Nein-Stimmen und 30 Enthaltungen gehen weit über die Abgeordnetenzahl der AfD hinaus. Wahrscheinlich haben viele Linke aufgrund von Schäubles Euro-Politik als Finanzminister gegen ihn gestimmt, dazu kommen wohl SPD-Abgeordnete. Mit nur 71,2 Prozent erreicht Schäuble das zweitschlechteste Ergebnis seit den 60er Jahren. Mut macht ihm der liberale Alterspräsident des Bundestags, Hermann Otto Solms: "Ich wünsche Ihnen eine glückliche Hand. Verstand muss ich Ihnen nicht wünschen, den haben Sie sowieso."