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Rajoy greift durch

Von Konstanze Walther

Politik

Das katalanische Parlament machte seine Drohung wahr und stimmte am Freitag für die Unabhängigkeit. Die Zentralregierung in Madrid konterte mit der Entlassung der Regionalregierung und setzt Neuwahlen an.


Barcelona/Madrid. Es wirkte chaotisch. Aber das war es nicht. Das katalanische Parlament hat am Freitag nun seine Unabhängigkeit verkündet. Der Ernstfall, den Madrid lange Zeit befürchtet hat.

Doch es war ein anderes katalanisches Parlament als noch vor einem Monat, es ist ein anderes Katalonien als noch vor einem Monat.

Die Abstimmung am 1.Oktober hat anfangs noch wie eine Fingerübung in Sachen Reizen des spanischen Staates gewirkt - schließlich hat ein kleiner Teil Kataloniens immer wieder mal versucht, über die Unabhängigkeit abzustimmen. Doch diesmal ist die Situation vollkommen eskaliert. Und das geht bei weitem nicht nur aufs Konto der Zentralregierung.

Schon bei einer Demonstration am 20. September sollen etwa Jordí Sanchez und Jordí Cuixart, die beiden "Jordís", Teilnehmer dazu ermutigt haben, Angehörige der staatlichen Polizeieinheit Guardia Civil einzukesseln. Dabei seien Fahrzeuge der Polizei beschädigt worden, erklärte der nationale Staatsgerichtshof. Sanchez und Cuixart seien die "Hauptunterstützer und Anführer" der Proteste vom 20. und 21. September" gewesen. Bei den Protesten gingen mehr als 40.000 Menschen auf die Straße, um gegen die Festnahme von elf katalanischen Beamten zu protestieren, die an der Organisation des Unabhängigkeitsreferendums vom 1. Oktober mitgewirkt haben.

Ein Strategiepapier beschreibt das Aufheizen der Stimmung

Eine Minderheit, die unterdrückt wurde und sich nun langsam wehrt? Dagegen spricht ein Dokument, dass in der Wohnung des katalanischen Vizefinanzministers, Josep Maria Jové Lladó, gefunden wurde. In dem undatierten Dokument ist laut spanischen Medien von den regierenden separatistischen Parteien der Weg zur Souveränität aufgezeichnet worden. Aufgetaucht ist das Dokument eine Woche nach dem Referendum. Die Echtheit des Papiers konnte noch nicht bestätigt werden. Doch was darin steht, erklärt bis aufs Kleinste die Taktik der bisherigen katalanischen Regierung. Denn den Separatisten war klar, dass sie anfangs noch nicht über die Unterstützung der breiten Mehrheit Bevölkerung für eine Sezession verfügen. Gerade mal hauchdünn war die Regierungsmehrheit, ein Bündel von Parteien, die nur ein Ziel gemeinsam hatten: mehr Rechte für Katalonien. Das war für die einen eine Oberhoheit über die Finanzen. Für die anderen, etwa die linke separatistische Kleinpartei CUP, war es dagegen immer ganz klar: ein eigenständiger Staat. Die CUP war nie mehrheitsfähig, allerdings der Mehrheitsbeschaffer der separatistischen Regierung.

Und nun ist der Kernpunkt in diesem Strategiepapier, "Weg zur Unabhängigkeit", dass man über die einseitige Ausrufung der Unabhängigkeit einen Konflikt auslösen wird, ja auslösen soll, der, wenn er richtig gelenkt werde, schließlich zu einem eigenen Staat führen könne.

Ein Tag der Abstimmung, der zum Mahnmal wird

Ein Konflikt, der also gewünscht wurde. Auch wenn die Zentralregierung dabei Steigbügelhalter war: Madrid schickte schließlich lange im Voraus die nationale Polizei sowie die Guardia Civil, die, kaserniert auf ihren Schiffen in den Häfen, einen Lagerkoller bekam und sich besonders aggressiv bei der Verhinderung der Abstimmung verhalten hatte.

Die Fotos mit blutüberströmten Gesichtern in Katalonien gingen um die Welt. Wir wollen doch nur einfach friedlich abstimmen, hieß es. Nur ein Unterdrücker-Staat würde mit Gummigeschossen auf friedliche Zivilisten losgehen, hieß es. Und schon gewannen die Separatisten Sympathisanten hinzu.

Wir wollen doch nur reden, hieß es von dem bisherigen katalanischen Regierungschef Carles Puigdemont immer wieder Richtung Madrid. Am liebsten richtete er diesen Wunsch über ausländische Medien aus, damit das Anliegen auf eine europäische Ebene gehoben wird. Explizit wollte die Regierung in Barcelona, dass sich Brüssel einschaltet und mit verhandelt.

Doch Brüssel verneinte. Sache Spaniens, hieß es. Und Madrid erklärte, man könne über nichts verhandeln, was außerhalb der Verfassung sei. Der spanische König Felipe goss seinerseits mit seiner Ansprache Öl ins Feuer. Er rief in ungewohnt harten Worten die Katalanen zur Ordnung auf, anstatt eine versöhnende Hand für Gespräche auszustrecken.

Aha, so wenig werden wir also respektiert. Schon hatte die separatistische Strömung, die zugleich Katalonien zur Republik umfunktionieren will, wieder ein paar Sympathisanten mehr.

Schließlich wurden die beiden Jordís wegen aufrührerischen Verhaltens von der Zentralregierung festgenommen. Sie sind normale U-Häftlinge, sie sitzen wegen Wiederholungsgefahr, sie haben gegen die nationale Polizei gehetzt, heißt es aus Madrid. Nein, sagte Barcelona. Die beiden Vorsitzenden der separatistischen katalanischen Nationalversammlung (ANC) und der separatistischen Organisation Omnium Cultural sind politische Gefangene. Madrid tritt unser Recht mit Füßen. Nun hatte die separatistische Bewegung ihre ersten Märtyrer. Flugs wurden gelbe Schleifen mit den Namen Jordís gedruckt. Solche "Yellow Ribbons" zum Anstecken gibt es je nach Bewegung, entweder um die US-Truppen nach Hause zu bekommen, oder um den Hodenkrebs zu besiegen (Lance Armstrong). Hier war es ein Solidaritätszeichen mit den Gefangenen.

Ein Gefangenenchor im katalanischen Parlament

Und als das Regionalparlament in Barcelona nun am Freitag Nachmittag für die Unabhängigkeit gestimmt hatte, schmückte diese gelbe Schleife den Revers von allen verbliebenen Parlamentariern. Die Politiker des konservativen PP, des sozialistischen PSOE und der liberalen Ciudadanos hatten längst den Saal unter Protest verlassen, es war quasi ein Privatissimum, mit dem das Schicksal Kataloniens besiegelt wurde. Schließlich stimmten alle Politiker im Saal mit gelber Schleife die katalanische Hymne, "Els Segadors" an. Es wirkte wie eine Probevorführung des Gefangenenchors von "Nabucco".

Und es kam, wie es kommen musste. Denn auf diesen nächsten Eskalationsschritt hatte Madrid wiederum gewartet. Eine halbe Stunde später, nachdem das rote Tuch aus Barcelona kam, stimmte der Senat in Madrid endgültig für die Entmachtung der Region. Der Artikel 155 wird damit - wie angekündigt - in Gang gesetzt. Eine Maßnahme, die schon letztes Wochenende von Madrid angekündigt worden war, aber noch des grünen Lichts des Senats bedurfte, der seinerseits gewartet hatte, ob die katalanische Regierung nicht doch noch einlenken werde. Doch Puigdemont hat schließlich den Ausweg der Neuwahlen in Katalonien abgelehnt, den ihm Madrid als dritten Weg vorgeschlagen hatte.

Nach der Entmachtung der Region setzte die Zentralregierung die Regionalregierung ab. Rajoys Kabinett werde die Aufgaben der katalanischen Behörden übernehmen. Der Premier kündigte zudem an, den katalanischen Polizeichef zu entlassen und Neuwahlen in der Region am 21. Dezember abzuhalten. Die größte Separatisten-Gruppe ANC hat die Mitarbeiter der Regionalverwaltung zuvor aufgerufen, Anordnungen aus Madrid nicht zu befolgen. Die Bediensteten sollten mit "friedlichem Widerstand" reagieren. Auch Puigdemont forderte die Katalanen auf, weiter friedlich für die Unabhängigkeit zu kämpfen. In einer Erklärung vor Abgeordneten und Bürgermeistern der Unabhängigkeitsbewegung sagte er, es gehe in den nächsten Stunden darum, friedlich, verantwortungsvoll und "mit Würde" zu reagieren. Wie sich der angekündigte Widerstand abspielen wird ist unklar, Beobachter rechnen mit dem Schlimmsten.