Zum Hauptinhalt springen

Offene Wunden

Von Gerhard Lechner

Politik

Das polnisch-ukrainische Verhältnis galt lange Zeit als vorbildlich. Ein Streit über die belastete Vergangenheit vergiftet nun aber die Beziehungen.


Warschau/Kiew. Das Bild ist in der Westukraine heute nicht ungewöhnlich: Wachen in Uniformen der SS-Division Galizien, die aus Ukrainern bestand, stehen Spalier. Kämpfer der radikal-nationalistischen Organisation Una-Unso lassen ihre rot-schwarzen Fahnen wehen - das Schwarz soll für die ukrainischen Schwarzerdeböden stehen, das Rot für das darauf vergossene Blut. Ein wichtiger Lokalpolitiker hebt zu einer Rede an. Er eröffnet ein Denkmal zu Ehren eines Kommandeurs jener ukrainischen SS-Einheiten, die im Zweiten Weltkrieg Massaker an Polen und Juden zu verantworten hatten. Er nennt ihn einen nationalen Helden. Salutschüsse. Orthodoxe Priester des von Moskau abgespaltenen Kiewer Patriarchats, das sich betont nationalistisch gibt, segnen das Denkmal. Ein TV-Sender überträgt die Zeremonie.

Es sind Szenen wie diese, die sich erst jüngst in der Nähe der galizischen Stadt Iwano-Frankiwsk abgespielt haben, die der Ukraine nun Probleme bereiten - und zwar nicht mit Russland, mit dem man spätestens seit der Annexion der Krim und dem Krieg in der Ostukraine ohnehin im Clinch liegt. Sondern mit dem westlichen Nachbarn Polen, also mit jenem Land, das vielen Ukrainern als Vorbild für die eigene Entwicklung erscheint. Polens Außenminister Witold Waszczykowski drohte vor kurzem damit, Ukrainer mit "antipolnischer Gesinnung" nicht mehr ins Land zu lassen. "Menschen, die demonstrativ Uniformen der SS-Division Galizien anziehen, werden nicht nach Polen einreisen", erklärte der Politiker der nationalkonservativen PiS.

Geschichte ist brisantes Thema

Denn die Wunden aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs sind zwischen Ukrainern und Polen noch nicht ganz verheilt - obwohl das tägliche Zusammenleben weitgehend friktionsfrei verläuft. Hunderttausende Ukrainer studieren und arbeiten in Polen, die polnische Regierung bemüht sich, gut ausgebildete Ukrainer ins Land zu holen. Zwar wird bei vielen Polen im Grenzgebiet zur Ukraine auf die ärmeren Nachbarn im "unzivilisierten" Osten herabgeblickt. Doch größeren Widerstand hat die rasch zunehmende Zahl an Ukrainern im Land bisher nicht ausgelöst.

Unter der Oberfläche bluten die alten historischen Verletzungen aber noch. Vor einem Jahr kam mit "Wolyn" ein Film in die polnischen Kinos, der ein brisantes historisches Thema behandelte: die Massaker an der polnischen Zivilbevölkerung in den Jahren 1943 und 1944 in der Westukraine, besonders in Wolhynien. Warschau hatte in der Zwischenkriegszeit, als dieses Gebiet zu Polen gehörte, dort eine Polonisierungspolitik verfolgt und versucht, polnische Bauern anzusiedeln, wo bislang vor allem Ukrainer wohnten. Die Ukrainer wehrten sich. 1929 kam es zur Gründung der "Organisation Ukrainischer Nationalisten" (OUN), es wurden Terroranschläge gegen polnische Politiker durchgeführt, der polnische Innenminister fiel einem Anschlag zum Opfer.

Spaltpilz Bandera

Für die Tat verantwortlich gemacht wurde seitens Polens OUN-Führer Stepan Bandera - jener Mann, der bis heute manchen Westukrainern als Nationalheld gilt, als ein Vorkämpfer einer freien Ukraine, während Russen, Polen und Israelis in ihm einen Nazi-Kollaborateur und Kriegsverbrecher sehen. Die Symbolfigur Bandera polarisiert auch innerhalb der Ukraine: Während er im Osten nur wenig Anhänger hat, werden im Westen des Landes Denkmäler zu seinen Ehren und zu Ehren seiner Mitkämpfer der "Ukrainischen Aufstandsarmee" (UPA) errichtet. Die UPA gilt als mitverantwortlich für die Massaker an Polen und Juden in der Kriegszeit.

Der Film "Wolyn" zeigt anhand einer Liebesgeschichte zwischen einer Polin und einem Ukrainer die ganze Härte und Brutalität jener Zeit der "ethnischen Säuberungen", der "Bloodlands", wie sich der Historiker Timothy Snyder ausdrückte. Die Brutalität des Partisanenkrieges aller gegen alle - auch die Polnische Heimatarmee ermordete Ukrainer - wird in eindringlichen Bildern vor Augen geführt: In abgehackten Händen, in Menschen, die gevierteilt werden, und Ähnlichem. Vor allem aber in der allgegenwärtigen Angst vor dem Tod, die den Film durchzieht.

Die Reaktionen auf den gut gemachten Film fielen anders aus als erhofft: In der Ukraine wurde über ihn ein Aufführungsverbot verhängt. In Polen kochten die scheinbar entschlummerten Emotionen hoch, rechte Blätter machten mit Schlagzeilen auf wie "Sie wollten uns alle töten" und "Das war Völkermord!". Ein Denkmal für die UPA nahe der Stadt Przemysl in Ostpolen wurde zerstört.

Daraufhin untersagte Kiew die Exhumierung von polnischen Kriegsopfern - was wiederum die sehr geschichtsbewusste nationalkonservative Regierung in Warschau erboste. Waszczykowski will nun auch ukrainische Beamte, die "nicht erlauben, polnische Gedenkstätten wieder aufzubauen", mit dem Einreisebann belegen. Polen hatte erbost, dass in der Westukraine ein Denkmal, das an die polnischen Opfer der SS-Division Galizien erinnert, gesprengt worden war.

Streit beschäftigt Präsidenten

Eine polnische Zeitung berichtete kürzlich, dass auch der Chef des Instituts für Nationales Gedenken in Kiew, der Historiker Wolodymyr Wiatrowitsch, auf der Liste jener Personen steht, die nicht nach Polen einreisen dürfen. Wiatrowitsch gilt unter den ukrainischen Historikern als Hardliner und Anhänger Banderas. Er hatte Warschau vorgeworfen, mit antiukrainischer Politik eine Hinwendung zu Russland einzuleiten - ein angesichts der nicht gerade russophilen Politik der PiS sehr gewagter Vorwurf.

Mittlerweile droht der Streit die ansonsten guten Beziehungen zwischen den beiden Ländern erheblich zu vergiften. Im Dezember soll Polens Präsident Andrzej Duda nach Kiew reisen. Wegen der Geschichtsdebatte steht der Besuch nun aber auf der Kippe. Duda selbst sagte am Freitag, die historische Wahrheit dürfe von ukrainischen Regierungsvertretern nicht abgestritten werden. Seine Kanzlei begrüßte allerdings den Vorschlag des ukrainischen Staatschefs Petro Poroschenko, im Rahmen der bilateralen Präsidentenkommission zu vermitteln.