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Chancen und Risiken bei Neuwahl

Von Alexander Dworzak

Politik

Wahlforscher Frank Brettschneider über die Ausgangslagen der deutschen Parteien.


Berlin/Wien. Zwar sträubt sich der deutsche Präsident Frank-Walter Steinmeier noch immer gegen Neuwahlen, scheint aber auf verlorenem Posten zu stehen. Da es in Deutschland übergeordnetes staatspolitisches Ziel ist, die Zeit einer nur geschäftsführenden Regierung wie der jetzigen kurz zu halten, kursiert in Berlin mittlerweile ein Samstag im Februar 2018 als Wahltermin.

"In dem kurzen Wahlkampf wird es darum gehen, wem es besser gelingt, die Situation zu framen", sagt Frank Brettschneider, Professor für Kommunikationswissenschaft und Wahlforscher an der Universität Hohenheim in Stuttgart. Beim Framing geht es darum, Deutungsrahmen, die alle Wähler haben, im Sinn der Partei zu vermitteln. Die CDU gab dem Scheitern der Jamaika-Sondierungsgespräche folgendes Framing: "Wir stehen für Stabilität und Verantwortung - die Mitte." Damit positioniert sich die Partei als ruhender Pol der zwischen FDP, CSU und Grünen geführten inhaltlichen Kontroverse. Der Forscher sieht in dieser Strategie eine Fortsetzung des Bundestagswahlkampfes - obwohl die konservative Union im September 8,6 Prozentpunkte verloren hat. "Dieser Politikstil der Mitte ist einem guten Teil der CDU-Wählerschaft wichtig", begründet Brettschneider die Vorgangsweise. Die CDU stehe immer vor dem Balanceakt, zwischen ihrer Kernklientel und den in den Merkel-Jahren neu dazugewonnen Mitte-Wählern die Balance zu finden.

Rückkehr von FDP zur Union?

Rund eine Million Wähler verlor die Union allerdings im September an die FDP. Viele von ihnen könnten nun über das Ende von Jamaika enttäuscht sein und zu CDU/CSU zurückkehren. Dass die FDP in der Flüchtlingspolitik einen sich abzeichnenden Kompromiss zwischen CSU und Grünen torpedierte, kommentierte die linksliberale "Süddeutsche Zeitung" als "Haiderisierung" der FDP. Der Obmann der Liberalen, Christian Lindner, hatte bereits im Wahlkampf Kritik an der Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel geübt und so um enttäuschte Unions-Wähler geworben, die vor der AfD zurückschrecken. Noch mehr Wähler aus diesem Segment an sich zu binden, dürfte aber nicht Lindners nunmehrige Strategie gewesen sein, sagt Frank Brettschneider. "Vielmehr gehe es ihm um das Thema des geordneten Asylverfahrens, ein wunder Punkt für Merkel mit Blick auf die Ereignisse 2015." Der Kommunikationswissenschafter verweist auch auf eine "Bild"-Umfrage, wonach der Ausstieg der FDP aus den Sondierungen mit CDU, CSU und Grünen von den eigenen Anhängern weniger stark goutiert wurde als von AfD-Sympathisanten.

Die Spitzen der nationalkonservativ-populistischen Partei jubilierten über das Ende von Jamaika, freut sie doch alles, was einen Misserfolg für Angela Merkel bedeutet. Wenig Chancen sieht Brettschneider, dass die AfD nochmals aus dem Lager der CDU viele zusätzliche Stimmen holt. "Bei der AfD ist eine große Bandbreite denkbar: Dieses Mal wird sich die Berichterstattung stärker auf die anderen Parteien und deren Unterschiede konzentrieren. Daher ist auch ein Absinken möglich. Es kann aber auch sein, dass Menschen, die über eine Neuwahl frustriert sind, die AfD wählen, statt nicht zu wählen", sagt der Wahlforscher. Ebenfalls nicht eindeutig ist, inwieweit die Abnabelung Frauke Petrys von der Partei schadet. Zwar führte ihr Abschied nicht zur Spaltung der AfD-Bundestagsfraktion. Aber gerade im Osten der Bundesrepublik ist die frühere Parteivorsitzende populär; in Sachsen wurde die Alternative für Deutschland sogar stimmenstärkste Partei vor der CDU, Petry errang die meisten Stimmen in ihrem Wahlkreis und erhielt ein Direktmandat. Brettschneider erinnert an die Spaltung der AfD-Fraktion in Baden-Württemberg 2016, die keine Auswirkungen in der Gunst der Wählerschaft hatte. Andererseits hatte sich Petry in den vergangenen Monaten als moderate Kraft innerhalb einer teils verbalrabiaten Partei inszeniert - ungeachtet früherer Unterstützung weit rechter Positionen. Es bleibt abzuwarten, ob Wähler, die Petry als gemäßigte Konservative ansehen, nun der AfD den Rücken kehren.

"Sehr riskante" SPD-Linie

Potenziell Verluste für die bayerische CSU sieht Brettschneider angesichts der Verhandlungslinie einiger Vertreter bei den Jamaika-Sondierungen; als "unterirdisch" bezeichnet er in diesem Zusammenhang Generalsekretär Andreas Scheuer und Alexander Dobrindt. Der Verkehrsminister unter Schwarz-Rot und Landesgruppenchef der CSU-Fraktion im Bundestag nannte etwa das Entgegenkommen der Grünen, auf ein Zulassungsverbot für Pkw mit Verbrennungsmotoren ab 2030 zu verzichten, als Räumen von "Schwachsinnsterminen". Viel werde nun davon abhängen, wie sich die Partei sortiert. Wie lange kann sich Horst Seehofer noch an der Spitze der Christsozialen und als Ministerpräsident halten, kommt Bayerns Finanzminister Markus Söder bereits vor der Landtagswahl im Herbst 2018 an die Spitze?

Ungeklärt ist die Führungsfrage auch bei der SPD. Zwar will sich Martin Schulz im Dezember als Parteichef bestätigen lassen. Als Spitzenkandidat für eine anstehende Neuwahl scheint er angesichts des Debakels im September ungeeignet. Den momentanen strikten Oppositionskurs der Sozialdemokraten hält Brettschneider für "sehr riskant". Zudem gebe es innerparteiliche Spannungen, der rechte Parteiflügel ist Schwarz-Rot nicht abgeneigt. Bei der SPD sei daher alles möglich, vom Absacken unter die 20-Prozent-Marke bis zum Stimmengewinn.

Über ein Plus können sich in Umfragen derzeit die Grünen freuen. "Sie haben bei Jamaika gut verhandelt, waren kompromissbereit und verantwortungsvoll", sagt der Wahlforscher. Auch würden Realo- und Fundi-Flügel geeinter auftreten. Das liege auch daran, dass Schwarz-Grün in Hessen und Grün-Schwarz in Baden-Württemberg funktionieren.

Still war es in den vergangenen Wochen um die Linkspartei. Sie blieb dennoch stabil in Umfragen, der angekündigte Linkskurs der SPD-Spitze blieb bisher wirkungslos. Auch die Linke plädiert für Neuwahlen.