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Locken und Distanz halten

Von Martyna Czarnowska

Politik

Die östliche Partnerschaft mit Staaten wie der Ukraine und Armenien ist für die EU ein heikler Balanceakt.


Brüssel/Wien. Es ist eine Gratwanderung zwischen Locken und Distanz halten: Einerseits will die EU im Rahmen der östlichen Partnerschaft sechs Staaten näher an sich binden, den Raum "der Stabilität, Sicherheit und des Wohlstandes" vergrößern, wie sie deklariert. Doch auf der anderen Seite soll der Eindruck vermieden werden, dass Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Moldawien, Weißrussland und die Ukraine schon bald eine Aussicht auf EU-Mitgliedschaft haben könnten. Und dann gibt es auch noch das Ringen um Einflusssphären mit Russland, dem die Annäherung der ehemaligen Sowjetrepubliken an die EU alles andere als behagt.

In diesem Spannungsfeld werden sich auch die Debatten beim fünften Ostpartnerschaftsgipfel bewegen, der am heutigen Freitag in Brüssel über die Bühne geht. Dabei werden die EU-Staats- und Regierungschefs versuchen, allzu hohe Erwartungen der Partnerländer zu dämpfen - auch wenn die sowieso unterschiedlich sind. So haben Georgien, Moldawien und die Ukraine bereits eine Freihandelszone mit der EU etabliert, während Armenien sich der Eurasischen Wirtschaftsunion angenähert hat, die Russland gemeinsam mit Weißrussland und Kasachstan gegründet hatte. Das autoritär regierte und über bedeutende Ölreserven verfügende Aserbaidschan wiederum ist nicht unbedingt an Forderungskatalogen aus der EU interessiert.

Die Europäer sind denn auch dazu übergangen, die östliche Partnerschaft nicht als Gesamtpaket zu sehen, sondern die Länder individuell zu bewerten. Moldawier, Georgier und Ukrainer dürfen mittlerweile ohne Visum in die EU einreisen; für Armenien wiederum wird eine Lösung gesucht, wie sich die Kooperation mit Russland mit einer stärkeren Anbindung an die Union vereinbaren lässt.

Sehr allgemein gehalten sind daher die Wünsche der EU, die an alle sechs Staaten gerichtet und in zwanzig Punkten zusammengefasst sind. Sie reichen von Forderungen nach einer Stärkung der Wirtschaft und der Rechtsstaatlichkeit, nach Verbesserungen der Infrastruktur und einer Absicherung der Energieversorgung bis hin zu der Anregung, eine europäische Schule für die östliche Partnerschaft zu schaffen.

Ringen um EU-Perspektive

Für Länder wie Georgien und die Ukraine kann das eine Enttäuschung sein. Sie würden gern weitere Schritte setzen, die sie verorten würden "zwischen dem, was sie haben - wie die Handelsabkommen -, und dem, was sie anstreben - wie die Perspektive auf EU-Mitgliedschaft", schreibt Hrant Kostanyan von der in Brüssel ansässigen Denkfabrik CEPS (Centre for European Policy Studies). Allerdings sei das Signal der EU an die Staaten klar: "Erfüllt die bestehenden Vereinbarungen, bevor ihr nach neuen Angeboten fragt." Denn die Fortschritte bei wirtschaftlichen und politischen Reformen könnten deutlicher sein.

Dennoch wünscht sich die Ukraine beispielsweise mehr. So wirbt die Regierung um die Bildung einer Zollunion mit der EU. Doch auch wenn das für Kiew politisch attraktiv aussehen möge, könnte es den Interessen des Landes zuwiderlaufen, meint Kostanyan in seinem Kommentar. Das Land dürfte dann nämlich nicht mehr selbständig über Handelsabkommen mit anderen Partnern verhandeln, müsste aber - ohne Mitspracherecht - die Verträge akzeptieren, die die EU abschließt.

Das EU-Parlament hingegen plädiert sehr wohl für eine Vertiefung der Beziehungen zwischen der EU und den am meisten fortgeschrittenen Ländern - für eine "Östliche Partnerschaft Plus". Beinhalten könnte diese neben einem Beitritt zur Zoll- und Energieunion sogar eine Aufnahme in den Schengen-Raum, in dem Reisen ohne Passkontrollen möglich sind. In einer Entschließung plädiert das Abgeordnetenhaus außerdem für die Einrichtung eines Fonds, der private und öffentliche Investitionen in die "soziale und wirtschaftliche Infrastruktur" in Georgien, Moldawien und der Ukraine ankurbeln würde.

Schon jetzt profitieren die Staaten von EU-Förderungen, ohne freilich Anspruch auf spezielle Vorbeitrittshilfen zu haben, die nur EU-Kandidaten zustehen. Laut EU-Kommission sind in der laufenden Finanzierungsperiode seit 2014 insgesamt fast drei Milliarden Euro in die Länder der östlichen Partnerschaft geflossen.

Vorteile für die Wirtschaft

Gleichzeitig betont die Brüsseler Behörde die Vorteile, die sich für die EU aus der Kooperation ergeben. Abgesehen vom politischen Interesse, die Stabilität in den Regionen zu erhöhen, gibt es auch wirtschaftliche Aspekte. Neue Märkte werden erschlossen, die Handelsbeziehungen werden intensiviert. So haben sich nach Angaben der Kommission die Ausfuhren der EU in die sechs Länder in gut zehn Jahren fast verdoppelt: Ihr Wert stieg von etwas mehr als 16 Milliarden Euro 2014 auf 30 Milliarden Euro im Jahr 2016.