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Schwarz-roter Kassenstreit

Von Alexander Dworzak

Politik

Die SPD macht die "Bürgerversicherung" zur zentralen Forderung für eine große Koalition.


Berlin/Wien. Keine zwei Wochen ist der Beschluss des SPD-Präsidiums alt. Und wirkt doch aus einer anderen Zeit. Die Sozialdemokraten stünden angesichts ihres Ergebnisses bei der Bundestagswahl "für den Eintritt in eine große Koalition nicht zur Verfügung", hieß es damals. Am Donnerstag erinnerte lediglich der Vorsitzende der Jungsozialisten, Kevin Kühnert, seinen Parteichef öffentlich daran. Denn Martin Schulz traf am Abend gemeinsam mit den Vorsitzenden von CDU und CSU, Angela Merkel und Horst Seehofer, Präsident Frank-Walter Steinmeier. Das Quartett lotete aus, ob die seit 2013 amtierende schwarz-rote Koalition doch fortgesetzt werden könnte. Steinmeier drängt darauf, er hält wenig von den anderen Optionen Minderheitsregierung und Neuwahlen. Am heutigen Freitag beraten die Spitzen von CDU und SPD über das Gespräch.

Sollten die konservative Union und die SPD tatsächlich ernsthafte Verhandlungen starten, werden diese nicht auf den Ergebnissen zwischen den verhinderten Jamaika-Partnern CDU, CSU, FDP und Grüne aufbauen. Basis wären dann die jeweiligen Programme für die Bundestagswahl im September. Bei der SPD fand sich darin auch die Einführung einer "Bürgerversicherung"; sie ist in den vergangenen Tagen zur zentralen Forderung aufgestiegen.

Ab 4800 Euro Monatsgehalt

Hinter der Wortschöpfung steckt eine einheitliche Krankenversicherung für alle Bürger. Ein "gemeinsamer Versicherungsmarkt ohne Zwei-Klassen-Medizin" schwebt SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach vor. Denn in Deutschland können Arbeitnehmer, die pro Monat mehr als 4800 Euro brutto verdienen, von der gesetzlichen Krankenversicherung in eine private wechseln. Diese Kassen verfügen somit über eine wohlhabendere Klientel und bieten ihren Einzahlenden umfangreichere Leistungen an, sie stellen auch höhere Ärztehonorare. Privatpatienten erhalten daher in der Regel schneller Untersuchungstermine als jene der gesetzlichen Krankenversicherung.

Die SPD möchte nicht nur die Honorare vereinheitlichen. Die Bürgerversicherung solle "paritätisch" sein. Zwar sind die Beitragssätze von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in der gesetzlichen Krankenversicherung identisch, Arbeitnehmer werden aber mit einem einkommensabhängigen Zusatzbeitrag zur Kasse gebeten, sie zahlen also mehr ein. Diesen Zusatzbeitrag will die SPD abschaffen. Wer bereits privat versichert ist, dürfe das auch bleiben, sagen die Genossen.

68.000 qualifizierte Arbeitsplätze bei den privaten Krankenversicherungen sieht hingegen deren Vorsitzender Uwe Laue bedroht. Er spricht von einer "willkürlichen Radikalreform an unserem gut funktionierenden Gesundheitswesen". Der Präsident der deutschen Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, sieht ausgerechnet in der Bürgerversicherung einen "Turbolader in die Zwei-Klassen-Medizin". Ihm zufolge sicherten die Privaten aufgrund des Wettbewerbsdrucks den hohen Versorgungsstandard auch in der gesetzlichen Krankenversicherung. Durch die "Bürgerversicherung" "würden der medizinischen Versorgung Mittel in Milliardenhöhe entzogen". Denn obwohl nur elf Prozent der Deutschen privat versichert sind, sorgt diese Gruppe - je nach Datenlage - für 20 bis 25 Prozent der Praxisumsätze.

Während neben der SPD auch CSU-Chef Horst Seehofer die "Bürgerversicherung" befürwortet, ist Merkels Partei strikt dagegen. "Rechtlich bedenklich und kostet Arbeitsplätze", lautet das Urteil auf der CDU-Webseite.

Bürger mit System zufrieden

Bereits in der vergangenen Legislaturperiode ließen die Christdemokraten die SPD mit einem derartigen Krankenkassenvorschlag abblitzen. Nun nehmen die Genossen einen neuen Anlauf. Sie hoffen auf Erfolg, da die CDU keinen anderen potenziellen Koalitionspartner mehr zur Verfügung hat. Andererseits droht der SPD - wie schon mit ihrem Wahlkampfthema soziale Gerechtigkeit - die Stimmung bei den Bürgern zu verfehlen. Laut einer in Juni veröffentlichten Umfrage des Allensbach-Instituts bewerten 86 Prozent der gesetzlich Versicherten das Gesundheitssystem und die Gesundheitsversorgung in Deutschland als gut oder sogar sehr gut. Bei Privatversicherten sind es sogar 91 Prozent.