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Jusos könnten gegen Schulz stimmen

Von Alexander Dworzak

Politik

Der SPD-Chef muss beim Votum um seine Wiederwahl fürchten, die Quittung für seinen Zickzackkurs zu erhalten.


Einhundert Prozent erzielte Martin Schulz bei seiner Wahl zum SPD-Vorsitzenden im März. Am Donnerstag stellt er sich der Wiederwahl, bis Samstag halten die Genossen in Berlin ihren Parteitag ab. Ungemütliche Tage drohen Schulz, der als Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl das historische Tief von 20,5 Prozent zu verantworten hat. Danach legte Schulz die SPD auf die Oppositionsrolle fest. Seit dem Scheitern der Sondierungen von CDU/CSU, FDP und Grünen ist der Druck auf die SPD enorm, doch eine große Koalition einzugehen. Schulz laviert sich derzeit aus der Ecke - und zieht sich damit den Zorn der Parteijugend zu. Die Jusos stellen eigenen Angaben zufolge rund ein Sechstel der Delegierten beim Parteitag, sie sind strikt gegen Schwarz-Rot.

"Wiener Zeitung": Die SPD scheint derzeit zerrissen zwischen den Optionen Neuwahlen, große Koalition (GroKo) und Unterstützung einer Minderheitsregierung. Wie einig sind sich die Jusos in ihrer Ablehnung der GroKo?

Jessica Rosenthal:Die große Koalition ist die schlechteste aller Varianten. Bei uns herrscht Geschlossenheit gegen die Regierungsbeteiligung. Ein entsprechender Initiativantrag wurde vor zwei Wochen beim Bundeskongress der Jusos - in unserem höchsten beschlussfassenden Gremium - einstimmig angenommen.

In ihrer Online-Petition gegen die GroKo schreiben die Jusos, es gebe dringenden Handlungsbedarf: bei Umverteilung der Vermögen, Investitionen in die Zukunft unserer Generation, der Bekämpfung der Kinderarmut, der Weiterentwicklung der europäischen Integration. Braucht es dann nicht erst recht die SPD in der Regierung, um Lösungen voranzutreiben?

Wir Jusos glauben nicht, dass die SPD die großen Richtungsentscheidungen in einer Koalition mit CDU und CSU herbeiführen kann. Zwei verschiedene Lager müssen dann Kompromisse schließen, es gibt keinen Wettstreit um Ideen. Wohin das führt, sieht man in Österreich, wo die rechtspopulistische FPÖ erstarkt ist. Wir brauchen wieder eine Politisierung der Gesellschaft. Die gibt es nur, wenn sich die beiden großen Lager SPD und Union gegenüberstehen.

Andererseits gibt es dann keine Chance, das SPD-Programm zumindest teilweise umzusetzen.

Viele Dinge, die SPD-Minister in der großen Koalition ab 2013 durchgesetzt haben, waren wichtig und gut, etwa der Mindestlohn. Doch die GroKo verliert sich in Klein-Klein, bei Kinder- wie Altersarmut verhandeln wir um Cent-Beträge. Mit der Union kommt man nicht weiter.

GroKo-Befürworter verweisen auf die staatspolitische Verantwortung, eine stabile Regierung in einer politisch unsicheren Zeit zu bilden. Was entgegnen Sie ihnen?

Staatspolitische Verantwortung übernimmt eine Partei nicht nur in der Regierung, sondern auch im Parlament. Und die SPD hat die Verantwortung, nicht der bei der Wahl drittplatzierten AfD die Oppositionsführerschaft im Bundestag zu überlassen.

Neben inhaltlichen Vorbehalten trauen die Jusos der Union schlicht nicht. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil erklärte in der "Süddeutschen Zeitung", nach viereinhalb Jahrzehnten heftiger Kontroverse wurde zu Beginn der Sondierungen zwischen SPD und CDU klar gesagt, was dem einen am anderen nicht gefallen hat. Kann es so ein reinigendes Gewitter nicht auch auf Bundesebene geben?

Nein. Die Union ist nicht bereit, sich zu bewegen. Das zeigte der Alleingang von CSU-Landwirtschaftsminister Christian Schmidt bei der Glyphosat-Entscheidung (er stimmte für die weitere Zulassung des Unkrautvernichters in der EU, anstatt sich der Koalitionslinie entsprechend zu enthalten, Anm.). Die Kanzlerin hat nur eine Rüge ausgesprochen, weitere Konsequenzen blieben aus. Wenn die Union eine vertrauensbildende Maßnahme setzen wollen würde, könnte sie das Rückkehrrecht von Frauen von Teil- in Vollzeit im Bundestag mit der SPD beschließen. Das stand bereits im Koalitionsvertrag von 2013, wurde von der Union aber blockiert. Ich habe den Eindruck, Angela Merkel hat die Union derzeit nicht im Griff. Also kann man sich auf solch einen Partner nicht verlassen.

Unterstützen die Jusos den Leitantrag der SPD-Führung für den Parteitag nach ergebnisoffenen Gesprächen mit der Union?

Wir sind für Gespräche, aber am Ende dieser darf es keine große Koalition geben. Wir werden daher auf dem Parteitag einen Änderungsantrag einreichen, bei dem die Delegierten die GroKo bereits jetzt ablehnen können.

Was ist den Jusos lieber: Neuwahlen oder Unterstützung einer Minderheitsregierung?

Wir können uns beides vorstellen, haben keine Präferenz. Neuwahlen müssen der letzte Weg sein, aber wir haben vor ihnen keine Angst. Die Jusos haben einen sehr intensiven Wahlkampf hinter sich und werden es schaffen, einen weiteren zu führen.

Parteichef Martin Schulz hat sich in den vergangenen zwei Wochen immer stärker vom Beschluss des Parteivorstandes entfernt, wonach die SPD "für den Eintritt in eine große Koalition nicht zur Verfügung" steht. Sind sie von Schulz’ Kurs enttäuscht?

Ich habe gedacht, dass er seiner Linie treu bleibt. Aber Schulz hat auch nicht alle Fäden alleine in der Hand. Die Parteispitze traf diesen Beschluss einstimmig, doch es formierte sich sofort Widerstand dagegen - auch von Personen, die selbst dem Vorstand angehören. Das tut der Glaubwürdigkeit der SPD nicht gut.

Ist Martin Schulz noch der richtige Parteichef für die SPD?

Grundsätzlich genießt er hohes Vertrauen in der SPD-Basis. Denn er setzt der Berliner Mentalität etwas entgegen, ist nicht aalglatt, hat Ecken und Kanten in seiner Biografie. Aber Schulz muss nun seiner Linie vom 24. September treu bleiben (unmittelbar nach der verlorenen Bundestagswahl kündigte er den Gang der SPD in die Opposition an, Anm.).

Schulz weicht jedoch immer mehr von seiner Linie ab. Werden die Jusos am Donnerstag für seine Wiederwahl stimmen?

Wir werden ihn unterstützen, wenn er zu seiner ursprünglichen Linie mit der Ablehnung der großen Koalition zurückfindet. Tut er das nicht, werden wir beraten, wie wir damit umgehen. Ich schließe eine Enthaltung oder ein Nein bei seiner Wahl nicht aus.

Haben die Jusos bereits einen Favoriten für einen möglichen Nachfolger von Martin Schulz?

Nein.

Zur Person:

Jessica Rosenthal ist stellvertretende Bundesvorsitzende der Jungsozialisten in der SPD (Jusos) und stellvertretende SPD-Vorsitzende in Bonn. Die 25-Jährige studiert Geschichte und Deutsch auf Lehramt.