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Eine Woche für die Wende

Von Alexander Dworzak

Politik

Mit sozialdemokratischer Handschrift, aber ohne Leuchtturm-Projekt muss Martin Schulz am 21. Jänner bei den SPD-Funktionären für Koalitionsverhandlungen mit CDU/CSU werben. Die Jungsozialisten machen dagegen mobil.


Berlin/Wien. Martin Schulz kann seinen Hürdenlauf für Schwarz-Rot fortsetzen. "Turbulente Momente" habe es bei der 24-stündigen finalen Verhandlungsrunde zwischen CDU, CSU und SPD gegeben, räumte der sozialdemokratische Vorsitzende ein. Die Parteien hätten "miteinander gerungen", auf der Kippe seien die Sondierungen aber nie gestanden. Jenes 28-seitige Papier nach fünf Tagen ist mehr, als die Sondierungspartner für eine Jamaika-Koalition - CDU, CSU, FDP und Grüne - zuvor in knapp fünf Wochen zustandegebracht haben. Die große Herausforderung für Schulz folgt aber am Sonntag in einer Woche. Dann entscheiden die Delegierten bei einem Parteitag, ob die Sondierungsgespräche in Koalitionsverhandlungen münden - und damit auch mit großer Wahrscheinlichkeit in eine Fortsetzung der seit 2013 amtierenden Koalition.

"Kniefall" bei Flüchtlingen

Eine sichere Bank ist das Ja der Genossen nicht. Das zeigen die sechs Abweichler im SPD-Vorstand, die den Delegierten vor dem Parteitag keine Koalitionsverhandlungen empfehlen wollten. 40 Mitglieder stimmten dafür. Hingegen votierten der CDU-Vorstand und die CSU-Bundestagsabgeordneten am Freitag einstimmig für Koalitionsverhandlungen. An der Spitze der Gegner von Schwarz-Rot stehen die Jungsozialisten (Jusos) unter Kevin Kühnert. Sie pochen auf eine inhaltliche Erneuerung der SPD abseits der Regierungsbank. Und sie wollen der AfD nicht die Rolle als Oppositionsführerin im Bundestag zugestehen, welche die nationalpopulistische Partei, Dritte bei der Wahl im Herbst, im Falle von Schwarz-Rot einnehmen würde.

Auf völliges Unverständnis stößt bei den Jusos, dass SPD und Union pro Jahr nur 180.000 bis 220.000 Flüchtlinge aufnehmen wollen. Aufrecht bleibt vorerst die im März ablaufende Regelung, wonach der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte ausgesetzt ist. Dabei handelt es sich um Personen, die weder Asylberechtigung noch Flüchtlingsstatus haben, denen in ihrer Heimat aber Folter oder Todesstrafe droht. Nach Inkrafttreten eines neuen Gesetzes soll der Zuzug auf 1000 Personen pro Monat begrenzt werden. "Die Obergrenze und die Regelung zum Familiennachzug ist ein Kniefall vor den Rechtspopulisten der AfD und den rechtspopulistischen Tendenzen in der CSU", sagt die stellvertretenden Jusos-Vorsitzende Jessica Rosenthal zur "Wiener Zeitung".

Dass die SPD beim Asylthema derart einknicken werde, habe bei den Jungsozialisten "niemand erwartet", so Rosenthal. Und auch in den vergangenen Tagen der Sondierungen war der Schwenk nicht absehbar.

Verhallt ist auch der SPD-Ruf nach einer "Bürgerversicherung", einer einheitlichen Krankenversicherung. In Deutschland können Arbeitnehmer, die pro Monat mehr als 4800 Euro brutto verdienen, von der gesetzlichen in eine private Krankenversicherung wechseln. Privatpatienten erhalten umfangreichere Leistungen und rascher Untersuchungstermine - bei höheren Honoraren. Für die SPD ist das "Zwei-Klassen-Medizin". Sie setzte nun lediglich durch, dass Arbeitnehmer künftig nicht mehr als Arbeitgeber in die gesetzliche Krankenversicherung einzahlen müssen.

In anderen Punkten ist aber sehrwohl eine sozialdemokratische Handschrift erkennbar: Zehn Milliarden Euro sparen sich kleine und mittlere Einkommen durch die schrittweise Abschaffung des Solidaritätsbeitrags. Der Spitzensteuersatz in Höhe von 42 Prozent greift nicht wie bisher ab 53.700 Euro Bruttoeinkommen pro Jahr, sondern erst ab 60.000 Euro. Mit dieser Regelung hat die SPD insbesondere Facharbeiter im Blick. CDU und CSU setzten im Gegenzug durch, dass es keine Steuererhöhungen geben wird.

Die heimliche Chefin der SPD, die Fraktionsvorsitzende und frühere Arbeitsministerin Andrea Nahles, boxte einen öffentlich geförderten Arbeitsmarkt für 150.000 Langzeitarbeitslose durch. Eine Milliarde Euro kostet diese Maßnahme. Von den 46 Milliarden Euro Spielraum für die Verhandler sind nun zwölf Milliarden für Familie, Kinder und Soziales projektiert, weitere zwölf Milliarden Euro fließen in Landwirtschaft, Verkehr und Kommunen. Schwarz-Rot hat also durchaus die sogenannten kleinen Leute im Blick - auch, um viele von ihnen von der AfD zurückzugewinnen. Es fehlen jedoch der große Wurf und ein Leuchtturmprojekt mit Symbolkraft.

200 Mitstreiter gebraucht

Schulz begibt sich nun mit dem Verhandlungsergebnis auf Reise, er leistet bis zum Parteitag Überzeugungsarbeit an der Basis. Die Jusos tun es ihm gleich, sie haben eine "NoGroKo-Tour" ausgerufen. "Die SPD-Thüringen hat sich bei einem Landesparteitag gegen Schwarz-Rot ausgesprochen, auch die Delegierten aus Nordrhein-Westfalen - dem größten Landesverband - sind sehr kritisch", sagt Jusos-Vize Jessica Rosenthal. Rund 600 Delegierte werden beim Parteitag erwartet. Bis zu 100 stellen die Jusos, sie brauchen also circa 200 Mitstreiter, um die geplanten Koalitionsverhandlungen zu kippen.

Klappt das nicht, bleibt noch eine Hürde für Schulz: Einem ausverhandelten Koalitionsvertrag müssten im Anschluss die SPD-Mitglieder zustimmen.