Zum Hauptinhalt springen

Trippelschritte statt Meilensteinen

Von Alexander Dworzak

Politik

Wo bei den SPD-Forderungen in der konservativen Union aus CDU und CSU Spielraum herrscht.


Berlin/Wien. Deckel drauf, Nachverhandlungen unmöglich. Seitdem CDU, CSU und SPD ihre Sondierungsergebnisse vor eineinhalb Wochen präsentiert haben, wehren führende Konservative Änderungswünsche ab. Alexander Dobrindt, Chef der bayerischen Bundestagsabgeordneten, ging so weit, das "Ergebnisse der Sondierungsgespräche" genannte 28-seitige Papier könnte genauso gut "Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen" heißen, dermaßen detailreich sei es.

Dobrindts Wunsch wird sich nicht erfüllen, so viel steht seit dem SPD-Sonderparteitag am Sonntag fest. Zwar stimmten die Delegierten für Koalitionsverhandlungen mit der konservativen Union. Aber das magere Ja mit nur 56 Prozent ist - nach einer kompletten Verweigerung - die zweitschlimmste Variante für die SPD-Spitze. Sie steht nun unter Zugzwang, bei den Koalitionsverhandlungen noch mehr Inhalte durchzusetzen. Denn das letzte Wort haben die SPD-Mitglieder, sie stimmen über den Koalitionspakt ab. Die Union wiederum hat keine Alternative zur SPD als Regierungspartner.

Familiennachzug aufstocken

In drei Bereichen wurden noch am Parteitag Nachbesserungen eingefordert, und sie alle werden auf Widerstand bei CDU/CSU stoßen: Denn die Genossen wollen eine Angleichung von gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen, die Abschaffung von grundlos lediglich befristeten Arbeitsverträgen und eine mildere Regelung beim Familiennachzug von subsidiär Schutzberechtigten.

Beim letztgenannten Punkt handelt es sich um Personen, die weder Asylberechtigung noch Flüchtlingsstatus haben, denen in ihrer Heimat aber Folter oder Todesstrafe droht. In der vergangenen Legislaturperiode hat ausgerechnet die schwarz-rote Koalition den Familiennachzug ausgesetzt. Künftig soll er auf 1000 Personen pro Monat begrenzt werden. Diese Regelung trägt klar die Handschrift von CDU/CSU als Zugeständnis an Sympathisanten der AfD, ebenso wie die auf 180.000 bis 220.000 Flüchtlinge pro Jahr begrenzte Zuwanderung. Insbesondere die CSU wird gegen die SPD-Forderung ankämpfen, haben die Christsozialen doch erst nach dem Wahldebakel vom September Kanzlerin Angela Merkel zu einer noch härteren Linie und Obergrenze bewegen können. Ein Aufschnüren des Sondierungsergebnisses ist hier am wenigsten zu erwarten.

Bei der Angleichung von gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen verfolgt die SPD ein Ziel, das bereits bei der Wahl 2013 im Programm stand. Ihrer Maximalforderung nach einer "Bürgerversicherung", einer einheitlichen Krankenversicherung, kam sie seitdem keinen Schritt näher. Bei den Sondierungen setzte sie lediglich durch, dass Arbeitnehmer (bisher 8,2 Prozent) künftig nicht mehr als Arbeitgeber (7,3 Prozent) in die gesetzliche Krankenversicherung einzahlen müssen. Eine Annäherung der unterschiedlichen Honorarsysteme bei gesetzlicher und privater Krankenversicherung - Arbeitnehmer, welche pro Monat mehr als 4800 Euro brutto verdienen, können in das private System wechseln - gelang der SPD aber nicht. Allerdings sind der Gesundheitspolitik im Sondierungspapier nur 16 Zeilen gewidmet. Hier herrscht Spielraum für Nachbesserungen.

Kein Mindestlohn-Nachfolger

Das gilt auch für die Arbeitsmarktpolitik. Die Abschaffung von sachgrundlosen Befristungen stand schon bei den Sondierungen auf dem sozialdemokratischen Wunschzettel weit oben. Auch hier beharrte die Union auf ihrem Nein. Dafür handelte die heimliche Chefin der SPD, die Fraktionsvorsitzende und Ex-Arbeitsministerin Andrea Nahles, einen öffentlich geförderten Arbeitsmarkt für 150.000 Langzeitarbeitslose aus. Eine Milliarde Euro kostet diese Maßnahme.

Interessanterweise hat die SPD bei den Nachbesserungen die Europapolitik völlig außer Acht gelassen, das Steckenpferd ihres angezählten Vorsitzenden Schulz.

Auf welche SPD-Forderungen die Union letztlich eingeht, es wären Nachbesserungen - aber keine sozialdemokratischen Durchbrüche. Ein solcher gelang 2013 mit dem Mindestlohn. Damals stimmten zum ersten Mal die SPD-Mitglieder über einen Koalitionsvertrag ab, und der damalige Parteichef Sigmar Gabriel boxte dieses öffentlichkeitswirksame Thema durch. Knapp 76 Prozent der Mitglieder befürworteten daraufhin Schwarz-Rot.

Das Votum der 443.000 Genossen ist diesmal ungewiss. Mehr als 30.000 Personen sind 2017 in die SPD eingetreten, so viele wie nie seit der Wiedervereinigung. Im ersten Quartal galt Martin Schulz als ernstzunehmender Konkurrent von Kanzlerin Angela Merkel. Die Neumitglieder wollten einen angriffslustigen Vorsitzenden, bekommen haben sie letztlich einen Fürsprecher der großen Koalition. Nicht nur diese Unzufriedenen wollen die Jungsozialisten ansprechen. Deren Chef Kevin Kühnert fordert zum Eintritt in die SPD auf, um die "GroKo" doch noch zu verhindern. Dem will der Parteivorstand einen Riegel vorschieben und kündigt einen Eintritts-Stichtag an.

Ein konkretes Datum ist noch nicht bekannt. 2013 lag der Stichtag einen Monat vor Beginn der Abstimmung. Kühnerts Erfolgsaussichten hängen also davon ab, wie schnell sich die Koalitionsverhandler nun einig werden. Die SPD werde "jetzt erstmal in dieser Woche beraten", kündigte Parteichef Schulz an, betonte aber auch, "dass die Zeiträume, die wir jetzt in Angriff nehmen, nicht zu lang werden". Noch am Montag besprach sich Schulz mit Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer. Die Kanzlerin möchte die Verhandlungen bis Fasching abschließen. Noch nie hat eine Regierungsbildung in Deutschland so lange gedauert. Kein Scherz.