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Der Präsident ist der König der Debatte

Von Klaus Huhold

Politik

Obwohl Tschechien enorm von der EU profitiert, ist die Skepsis gegenüber Brüssel groß. | Die nunmehrige Präsidentenwahl hat einen entscheidenden Einfluss auf die künftige Stimmung gegenüber der Union.


Prag/Wien. Es sind Zahlen, die nur schwer zueinander passen: Seit dem EU-Beitritt 2004 bis zum Jahr 2017 hat Tschechien umgerechnet 19,5 Milliarden Euro in das EU-Budget eingezahlt und 45,3 Milliarden Euro erhalten. Gleichzeitig hielten in einer Eurobarometer-Umfrage im vergangenen Jahr nur 33 Prozent der Tschechen die EU-Mitgliedschaft für positiv.

Das war damals der niedrigste Wert in der EU. Generell zählen die Tschechen, auch wenn sie nicht immer an letzter Stelle liegen, bei derartigen Umfragen zu den größten EU-Skeptikern. Da mögen Wirtschaftstreibende noch so sehr die Vorzüge der Union loben: Dass die Wirtschaft Jahr für Jahr kräftig wächst, die Arbeitslosigkeit bei nur rund drei Prozent liegt und die Löhne steigen, hat nämlich viel mit der Union zu tun. Das hoch industrialisierte Exportland, in dem etwa viele Autobauer ihre Werke angesiedelt haben, profitiert enorm von seiner Teilnahme am EU-Binnenmarkt. Stimmungstechnisch findet das aber wenig Niederschlag. Und das hängt stark mit dem politischen Diskurs über die Union zusammen, sagt der Prager Politologe Jiri Pehe.

Kosten-Nutzen-Rechnung EU

"Die Politiker erklären der Öffentlichkeit nicht die Vorteile unserer Mitgliedschaft", meint der frühere Berater von Ex-Präsident Vaclav Havel. Stattdessen sei es fast zur Norm geworden, dass tschechische Politiker kritisch oder skeptisch der EU gegenüberstehen.

Ein ambivalentes Verhältnis zur EU hat auch die überlegene Siegerin der Parlamentswahl im Oktober des Vorjahres, die Bewegung ANO des Milliardärs Andrej Babis, die fast 30 Prozent der Stimmen erhielt. Der Unternehmer ist zwar für einen Verbleib in der EU: Der zweitreichste Mann des Landes ist sich bewusst, wie sehr Tschechien ökonomisch von der Union profitiert. Er kritisiert aber ständig die Politik der EU.

Babis ist gegen einen Beitritt zum Euro. "Ich will weder für die griechischen Schulden noch italienische Banken haften", sagte er. Und er verteufelt die von der Union beschlossenen Flüchtlingsquoten, die er - wie der Großteil der Bevölkerung - rundweg ablehnt.

Es ist noch unklar, ob Babis Tschechiens künftiger Premier wird, da die Polizei wegen eines Korruptionsverdachts Ermittlungen gegen ihn aufgenommen hat. Mit ANO wird aber wohl künftig eine Partei die tschechische Regierung anführen, die eine pragmatisch-skeptische Haltung gegenüber der EU einnimmt.

Diese hat eine lange Tradition. Als Tschechien 2004 der Union beitrat, war Vaclav Klaus tschechischer Präsident, der damals schon äußerst EU-skeptisch war und mittlerweile einer der größten Gegner von Brüssel ist. "Der Beitritt wurde damals als reine Kosten-Nutzen-Rechnung betrachtet", berichtet Pehe. "Demnach zahlt es sich für die Tschechen aus, in der EU zu sein, solange sie davon profitieren. Aber sonst sehen viele Tschechen bis heute keinen tieferen Sinn in der Mitgliedschaft."

Das zeige sich dann, wenn eine Diskussion wie die über die Flüchtlingsquoten hochkocht. "Die Bevölkerung sieht keinen Grund, warum sie aufgrund irgendwelcher humanistischer Werte mit anderen Ländern solidarisch sein soll", erklärt Pehe. Genau während solcher Debatten steigt dann wieder die EU-Skepsis, wird die Frage aufgeworfen, ob das Land von der EU-Mitgliedschaft noch genügend profitiert.

Vielleicht ein neuer Ton

Befeuert hat diese Debatte auch immer wieder Präsident Milos Zeman. Der 73-Jährige verglich die EU wegen der Flüchtlingsquoten mit dem "Warschauer Pakt". Und auch wenn er sich selbst als EU-Föderalist bezeichnet, "verdammte er in der Praxis ständig die Politik der EU", sagt Pehe. "Die Leute erfuhren von ihm nur, dass die Union nicht funktioniert und uns Befehle erteilt."

Tschechien wählt nun einen neuen Präsidenten -die Stichwahl hat am Freitag begonnen und dauert bis Samstag. Und Zemans Konkurrent, der Universitätsprofessor Jiri Drahos, steht der EU viel offener gegenüber, er setzt sich für eine stärkere Rolle Tschechiens in der EU sowie für eine Einführung des Euro ein. Mit Drahos würde Tschechien einen Staatschef bekommen, der proeuropäische Akzente setzt.

Das könnte die Diskussion über Europa in eine andere Richtung führen. Denn der Präsident gibt in politischen Debatten den Ton vor. "Die Tschechen haben vom Habsburgerreich das Erbe übernommen, dass sie dem Präsidenten einen monarchischen Charakter zuschreiben", erklärt Pehe. Die Verfassung gestehe zwar dem Präsidenten wenig Macht zu, doch dieser besitze eine große Autorität. Deshalb haben seine Ansichten zur EU einen großen Einfluss darauf, welches Ansehen die Union in Tschechien genießt.