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"Russland hat das getan, was Dugin zuvor gesagt hatte"

Von Gerhard Lechner

Politik
Patrick Poppel ist Chef des wegen Kontakten zu rechten russischen Kreisen umstrittenen Suworow-Instituts, das in der Ukraine-Krise gegründet wurde, um nach Eigenaussage "den russisch-österreichischen Dialog zu fördern." Foto: privat

Patrick Poppel hat den Besuch des umstrittenen russischen Soziologen Alexander Dugin in Wien eingefädelt. Im Interview spricht er über seine Sicht auf Russland, Europa und den Ukraine-Konflikt.


Wiener Zeitung: Herr Poppel, ihr Suworow-Institut hat den Besuch des umstrittenen russischen Soziologen Alexander Dugin in Wien organisiert. Dugin galt 2014, während der Ukraine-Krise, bei manchen als Inspirator der Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Danach hat er angeblich an Bedeutung eingebüßt. Welchen Einfluss hat Dugin in Russland heute noch?

Patrick Poppel: Beobachten Sie Dugins Aussagen, lesen Sie seine Artikel, und dann sehen Sie sich an, wie Russland gehandelt hat. Und sie werden sehen, dass Russland genau das getan hat, was Dugin zuvor gesagt hatte. Sowohl in Syrien als auch beim Iran und in der Ukraine-Krise.

In der Ukraine ist es aber nicht soweit gegangen, wie Dugin wollte. Dugin wollte sich mit dem Donbass ja keineswegs zufriedengeben.

Das stimmt. Im Großen und Ganzen hat Russland aber Dugins Denken in die Praxis umgesetzt.

Russland hat ja in seiner Nachbarschaft, vorsichtig ausgedrückt, nicht nur Freunde, sondern viele Gegner. Wenn Sie sich in die Lage eines westlich orientierten Ukrainers, eines Polen, Balten oder Rumänen hineinversetzen: Kann man nicht verstehen, dass diese Länder vor dem russischen Expansionismus Angst haben? Dass sie Schutz bei den USA suchen?

Erstens gibt es keinen russischen Expansionismus. Zweitens schützt Amerika überhaupt niemanden außer seine eigenen Interessen. Zu glauben, dass bei einem Dritten Weltkrieg der Kampf in den USA stattfindet, ist ein Blödsinn. Der wird auf europäischem Boden ausgetragen. Amerika ist kein Schutz, Amerika ist eine globale Bedrohung.

Warum?

Durch die massive Destabilisierung verschiedener Staaten im Nahen Osten und durch diesen immensen Expansionsdrang der Nato, wo nicht die europäischen Staaten die Hauptrolle spielen, sondern die USA. Ich glaube, dass das amerikanische Zeitalter langsam zu Ende geht. Wir leben in einer Epoche, in der sich eine multipolare Weltordnung ankündigt mit mehreren Machtzentren, von denen Russland eines ist. Auch Europa sollte dafür sorgen, eines Tages wieder eine unabhängige Zivilisation zu sein.

Ist es das denn nicht?

In Europa herrscht eine allgemeine Russophobie vor, die auch stark durch die USA unterstützt wird. Dabei wird Russland grundsätzlich als ein Gegner aufgebaut, der er nicht ist.

Ist das Verhalten Russlands in der Ukraine-Krise nicht wirklich ein Grund für massive Besorgnis für den Westen?

Ich würde eher sagen, dass das Verhalten des Westens in der Ukraine ein Grund zur Besorgnis um den Weltfrieden ist. Das, was in der Ukraine geschehen ist, war letztlich ein Putsch auf dem Maidan, wo radikale Kräfte das Ruder übernommen haben. Im Endeffekt gab es dann eine sehr stark faschistoide Regierung.

Nun haben die radikalen Parteien wie der Rechte Sektor bei den Wahlen nach der Maidan-Revolution aber sehr schwach abgeschnitten. Warum soll das dann eine faschistische Regierung sein?

Diese Kräfte haben aber auf der Straße dort weiterhin eine gewisse Macht, und das sorgt dafür, dass die Meinungsfreiheit sehr stark beeinträchtigt ist. Ich kenne auch genug Leute dort.

In Kiew?

In dem Gebiet, das jetzt als Ukraine gilt.

Tun Sie sich schwer mit dem Wort Ukraine als Staatsbezeichnung?

Sagen wir so: Das jetzige Staatsgebiet der Ukraine ist historisch sehr schwer nachvollziehbar. Was auf jeden Fall nicht zur Ukraine gehört, ist die Krim und das Gebiet, das wir jetzt als Neurussland definieren, nämlich die Volksrepubliken von Lugansk und Donezk.

Warum?

Weil diese Gebiete einen Teil der Russischen Welt darstellen, und die ist eben größer als Russland. Das heißt, es gibt Staaten, die souverän sind und trotzdem Teil der Russischen Welt.

Wie weit reicht denn die Russische Welt?

Die umfasst einige Staaten der Ex-Sowjetunion, die heute souverän sind. Und diese Souveränität gilt es auch zu achten. Es ist in der Ukraine auch nie etwas geschehen, was die Souveränität des ukrainischen Staates in irgendeiner Weise angetastet hätte.

Wirklich? Und die Annexion der Krim und der Krieg im Donbass? War das keine Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine?

Die Krim ist durch einen völlig nachvollziehbaren Prozess im Sinne des Völkerrechts abgespaltet worden, über ein Referendum. Der Donbass ist einfach eine Region, die für sich Autonomie beansprucht. Russland hat weder Völkerrecht gebrochen noch einen Staat zerlegt. Das war die Entscheidung der Leute vor Ort.

Russland präsentiert sich heute als konservativer Gegenentwurf zum westlichen, wie es heißt: dekadenten Europa. Ist Russland das?

Ich glaube, dass Russland historisch gesehen die Nachfolgeorganisation des Byzantinischen Reiches ist. Russland wurde von Beginn an als ein christlicher Staat konzipiert, der aber eine große Toleranz gegenüber allen religiösen, ideologischen und ethnischen Minderheiten hat. Europa hat keine wirkliche Leitkultur oder Leitideologie, außer vielleicht den Liberalismus heute.

Ist das so schlimm?

Ich glaube, dass so ein System auf Dauer keine Zukunft hat, weil es den Entwicklungen der Zeit nichts entgegenzusetzen hat. Es ist den Migrationsströmen und radikalen Ideologien nicht gewachsen und kann sehr stark von diesen Entwicklungen beeinflusst und sogar zerstört werden.

Ist die Behauptung, Russland wäre ein christlicher Staat, nicht sehr romantisierend? Manche behaupten, Russlands Kern wäre eher der Gazprom-Konzern und ein wenig romantisches, kleptokratisches Machtsystem, das sich nur christlich drapiert.

Es hängt viel von der Liebe zur Russischen Kultur ab, das gebe ich schon zu. Aber wir müssen auch die geopolitische Rolle des Landes heute beleuchten. Russland hat massiv wieder die Weltbühne betreten durch das Eingreifen in Syrien, wo es für die syrische Staatlichkeit eingetreten ist und somit einen weiteren Regime-Change verhindert hat, wie wir es in Nordafrika erlebt haben. Russland ist eben auch auf der ideologischen Grundlage eines Alexander Dugin die Eurasische Wirtschaftsunion und auch weitere politische Bündnisse eingegangen, die eben im Osten eine Achse fernab von Nato- und EU-Strukturen aufbauen. Und Russland strebt eben genau das an, was Dugin will, nämlich eine multipolare Welt. Dass es außer Washington und vielleicht noch Brüssel noch weitere Machtzentren gibt im russischen Denken, nämlich Moskau, Peking, Teheran und auch andere. Das ist, glaube ich, sehr wichtig, dass die Welt nicht so monopolar wird und nur von einer einzigen Zentrale aus gesteuert wird.

Und Russland will nicht auch monopolar die Welt dominieren?

Eben nicht, das sehen wir ja auch. Es ist ja nicht so, dass wir hier in Europa nach einem russischen Kulturmodell leben. Wir leben nach einem amerikanischen Kulturmodell. Russland hat sich nicht erweitert nach Westen, die Nato hat sich nach Osten erweitert. Dass sich jetzt Russland neue Partner sucht, ist völlig klar und nachvollziehbar.