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Ein Randthema wird zum Knackpunkt

Von Alexander Dworzak

Politik

Union und SPD gehen in Verlängerung - SPD beharrt auf Abschaffung befristeter Arbeitsverträge.


Berlin/Wien. Zwei Tage Puffer hatten CDU, CSU und SPD für den Abschluss ihrer Koalitionsgespräche einkalkuliert. Bis spätestens Dienstag wollte man fertig sein. Das wird knapp. Beide Seiten vertagten am Montagabend erneut den Abschluss ihrer Beratungen – am Dienstag soll es in der CDU-Zentrale weitergehen, hieß es am Montagabend aus Teilnehmerkreisen. Union und SPD wollen ihre Koalitionsverhandlungen aber auf jeden Fall heute, Dienstag, abschließen. "Wir gehen jetzt in die Schlussrunde", sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil am Montagabend in Berlin. "Der Wille ist da, ich glaube von allen Seiten. Aber die Hürden sind auch noch groß", sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Die Gespräche seien intensiv und kontrovers.

Auf jeden Fall wollen aber Union und SPD mit ihren Verhandlungen vor Weiberfastnacht am Donnerstag durch sein. "Der Wille ist da, ich glaube von allen Seiten. Aber die Hürden sind auch noch groß", sagte etwa CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt.

Immerhin wurde das Europakapitel geschlossen, und SPD-Chef Martin Schulz frohlockte über "mehr Investitionen, einen Investitionshauhalt für die Eurozone und ein Ende des Spardiktats". So gebe es mehr Mittel zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Doch in Außen-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik stockten die Gespräche weiterhin. "Man hat sich vor allem bei Gesundheit und Arbeit verhakt", sagte ein anonym bleiben wollender Unterhändler. Gemeint ist die Angleichung von Arzthonoraren. Bisher dürfen Mediziner ihren Privatpatienten mehr als Kassenkunden verrechnen. Diese warten daher deutlich länger auf Behandlungstermine.

Nicht im Sondierungspapier

Zudem fordern die Sozialdemokraten die Abschaffung grundlos befristeter Arbeitsverträge. Bis zu zwei Jahre dürfen diese dauern. Das Thema wurde im 116-seitigen SPD-Programm für die Bundestagswahl im September 2017 allerdings nur zweimal kurz erwähnt und spielte im Wahlkampf dementsprechend keine Rolle. Im Ergebnispapier der Sondierungen zwischen Schwarz und Rot vom 12. Jänner tauchten die sachgrundlosen Befristungen überhaupt nicht auf. Erst als die SPD-Delegierten beim Parteitag eine Woche darauf ihren Verhandlungsführen drei Bereiche zum Nachbessern auftrugen, fand sich das Thema wieder.

4,8 Millionen Arbeitnehmer in Deutschland sind befristet angestellt; darunter fallen grundlose als auch begründete Klauseln in den Verträgen. Mit 8,5 Prozent im Jahr 2016 liegt die Quote aber deutlich unter dem EU-Schnitt in Höhe von 11,3 Prozent. Zwar ermöglichte der Gesetzgeber bereits vor mehr als 30 Jahren grundlos befristete Arbeitsverträge. Dieser Passus hat jedoch an Brisanz gewonnen, da der Anteil befristet Beschäftigter unter den neu Eingestellten stark gestiegen ist. Mittlerweile trifft es vier von zehn Personen. In der öffentlichen Verwaltung wurden gar 56 Prozent befristet eingestellt. Die Arbeitgeber sähen sachgrundlos befristete Verträge als rechtssicherer denn befristete an, analysiert das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.

Vor der SPD-Ländertüre kehren

Und je nach Kassenlage dürfen im öffentlichen Dienst Mitarbeiter befristet eingestellt werden - ein Privileg, das der Privatwirtschaft verwehrt ist. Spitzenreiter dabei sind die Bundesländer. Bei einer Gesetzesänderung könnten die Sozialdemokraten gleich vor der eigenen Türe kehren, schließlich werden sieben von 16 Ländern von einem SPD-Ministerpräsidenten regiert, in vier weiteren sind sie Juniorpartner. Aus konservativer Sicht handelt es sich bei befristeten Verträgen auch ohne Sachgründe um ein Werkzeug zur Vollbeschäftigung und ein Flexibilisierungsinstrument der Personalpolitik. Außerdem würden daraus in vielen Fällen unbefristete Dienstverhältnisse münden. Das Ende von sachgrundlosen Befristungen vermindere nicht befristete Verträge per se, meint der Arbeitsrechtler Gregor Thüsing in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Es gebe kein Mehr an sozialer Gerechtigkeit, sondern bloß an Rechtsberatungskosten.

Die wirklich problematischen Fälle beträfen laut Thüsing Arbeitnehmer, die immer wieder neu befristet würden. Der Arbeitsrechtler zitiert den Fall eines Gefängnismitarbeiters, der über elf Jahre 13 Verträge für dieselbe Tätigkeit erhalten hatte - was sowohl von der deutschen Rechtsprechung als auch dem Europäischen Gerichtshof gedeckt wurde.

Im Besonderen sind Erziehung, Unterricht und Wissenschaft von Befristung betroffen, dort handelt es sich um sieben von zehn Neuanstellungen. Universitätsangehörige kämpfen mit Kettenverträgen. Die SPD kündigte daher an, sie wollte auch die "Möglichkeit von Kettenbefristungen begrenzen". Die konservative Union will lediglich "Missbräuche" abstellen.

Sollten CDU/CSU also nur grundlos befristete Arbeitsverträge abschaffen, wäre es für die SPD vor allem ein symbolischer Sieg vor dem Mitgliedervotum. Denn die rund 450.000 Genossen müssen dem Koalitionsvertrag noch zustimmen. Tatsächlich endet eine isolierte Regelung ohne Besserung auch bei Kettenverträgen wohl als Rohrkrepierer.