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Die ungewollte Regierung

Von Alexander Dworzak

Politik

Schwarz-Rot in Deutschland ist selbst bei den Koalitionsverhandlern ungeliebt und in der Bevölkerung unbeliebt.


Berlin/Wien. Durchhalteparolen gaben die Spitzen von Schwarz und Rot aus: "Wir sind jetzt in einer entscheidenden Phase. Das spürt, glaube ich, jeder", sagte Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Dienstag. Und der SPD-Vorsitzende Martin Schulz appellierte: "Es geht um nichts weniger, als dass in einem der größten Industrieländer der Welt eine stabile, dauerhafte Regierung gebildet werden kann."

Doch auch am zweiten Tag der Verlängerung der Koalitionsgespräche verkündeten die konservative Union und die SPD bis zum späten Dienstagabend keinen Durchbruch. Zwar lud die CDU bereits die Mitglieder ihres Bundesvorstands für "voraussichtlich" 11 Uhr am Mittwoch ein. Die Fraktion von CDU/CSU will "nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen" um 13 Uhr zusammenkommen. Zu den Hauptstreitthemen Krankenkassenfinanzierung und Ende der grundlosen Befristung von Arbeitsverträgen wollte aber niemand Stellung beziehen.

Unterhalb der Parteispitzen wurde gar Unmut laut, insbesondere in den Reihen der Konservativen. Alexander Dobrindt, als CSU-Landesgruppenchef Vorsitzender der bayerischen Abgeordneten im Bundestag, bediente sich einer Militär-Metapher: "Alle sind jetzt gefordert, sich aus ihren Schützengräben rauszubewegen."

Nicht eingegraben, sondern abgewendet hat sich in der Zwischenzeit ein Gutteil der Wähler von Union und SPD. CDU/CSU erreichen nur mehr 30,5 Prozent, die SPD kommt auf lediglich 17 Prozent, ergab eine Insa-Umfrage für die "Bild"-Zeitung. Zusammengezählt liegen die drei Parteien somit deutlich unter der 50-Prozent-Marke. Der Absturz der - einstigen - Volksparteien setzt sich damit nahtlos fort: Sie verloren im Vergleich zur Bundestagswahl 2017 nochmals 5,9 Prozentpunkte - und das, nachdem sie beim Urnengang im September bereits 14,8 Prozentpunkte im Vergleich zum Wahlergebnis 2013 verloren hatten.

Die einstigen Sympathisanten verlaufen sich in alle Richtungen. Sowohl AfD (15 Prozent) als auch Grüne (12,5 Prozent) und FDP (10 Prozent) gewinnen gemäß der aktuellen Umfrage dazu, die Linkspartei hält ihre 11 Prozent.

Fehlendes Vertrauen

Die Bürger spüren, dass mit Union und SPD drei Partner zusammenfinden müssen, die eigentlich nicht zusammengehen wollen. Die große Koalition nach der Wahl 2013 hat in der Sozialdemokratie tiefe Wunden hinterlassen. Der von Dobrindt einst lächerlich gemachte "Zwergenaufstand" gegen die sogenannte "GroKo", angeführt von den Jungsozialisten, zeigt nicht nur die Unzufriedenheit unterhalb der Parteiführung deutlich. Die Oberen tragen es nicht nach außen, bei den Verhandlungen mit CDU/CSU wird aber klar, dass sie den Konservativen nicht trauen. Warum einem Randthema wie die Abschaffung grundlos befristeter Dienstverträge, welche die SPD einfordert, so große Bedeutung zukommt, erklärt sich aus dem Koalitionsvertrag des Jahres 2013. Damals wurde die Solidarrente paktiert, eine Mindestpension für langjährig Versicherte mit nur geringen Beitragszahlungen. Auch sollten Teilzeitbeschäftigte das Recht auf Rückkehr in eine Vollzeitbeschäftigung erhalten. Beides verhinderte danach aber die Union. Daher wollen die SPD-Verhandler nun alle Einigungen so detailliert wie möglich festhalten.

Die Verhandler beider Seiten verlieren sich damit in Kleinteiligkeit, anstatt dem Wahlvolk Leuchtturmprojekte für die kommenden Jahre zu präsentieren. Schwarz-Rot vermittelt keinen Aufbruch. Inhaltlich gilt das zuallererst für die Klima- und Energiepolitik. Dass das Klimaschutzziel für 2020 einfach kassiert wurde, die Treibhausgase nicht um 40 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 reduziert werden, ist ein Armutszeugnis. Es ist ein Sieg für die Lobbyisten des Kohleabbaus in Nordrhein-Westfalen und dem Osten der Bundesrepublik. Merkel ließ sie gewähren, obwohl sie bei den Sondierungen für eine "Jamaika"-Koalition zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen noch mit einer strengen Regelung geliebäugelt hatte.

Bei der Kanzlerin gehört inhaltliche Flexibilität zum Markenkern. Der Pragmatikerin sind die Bürger nach zwölf Jahren Amtszeit zwar müde, ein Kurswechsel wird ihr aber weniger zur Last gelegt - Ausnahme Flüchtlingspolitik - als dem Moralisten Martin Schulz. Der SPD-Chef symbolisiert die zweite Krisenebene, jene des Personals, wie kein anderer Verhandler. Erst scheute er Neuwahlen nicht - und wandelte sich zum Verfechter von Schwarz-Rot. Ein Amt in einem Merkel-geführten Kabinett schloss der 62-Jährige aus - mittlerweile strebt er einen Posten in der Regierung an.

Dem langjährigen EU-Parlamentarier fehlte in den Koalitionsverhandlungen die innenpolitische Sachkenntnis, auch seine Verhandlungsführung sei schwach, drang nach außen. Immer lauter werden die Zweifel, ob er der Aufgabe gewachsen ist; sowohl als Parteichef als auch als potenzieller Außenminister. Sollten die nun 464.000 SPD-Mitglieder gegen den Koalitionsvertrag stimmen, erledigt sich zumindest diese Frage von selbst.