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Ende eines Irrweges

Von Alexander Dworzak

Politik

Schulz' Verzicht auf das Außenministerium ist ein spätes Eingeständnis - und ein richtiger Schritt beider Seiten.


Berlin/Wien. Er wollte sich unbedingt rehabilitieren. Und beschleunigte damit nur seinen Abgang. Denn der Preis für die Aussicht auf Martin Schulz als kommenden Außenminister wurde für die SPD von Tag zu Tag höher. Umgekehrt fiel kaum ein Politiker so schnell wie der 62-Jährige: Noch vor knapp einem Jahr wurde er mit 100 Prozent zum Parteivorsitzenden gewählt und mit Barack Obama verglichen. Seit Freitag ist Schulz nicht nur Ex-Kanzlerkandidat und Parteivorsitzender der Sozialdemokraten mit Ablaufdatum, sondern auch Doch-nicht-Außenminister Deutschlands.

Dabei hatte Martin Schulz in den Koalitionsverhandlungen Angela Merkel die Stirn geboten und die Kanzlerin in ihrer Paradedisziplin, der Verhandlungsführung, geschlagen. Das für die SPD gewonnene Finanzministerium sollte Garant dafür sein, dass die rund 463.000 Genossen dem Koalitionspakt zwischen Union und Sozialdemokraten zustimmen. Tatsächlich traten die inhaltlichen Debatten in den Hintergrund, wurden die grundlose Befristung von Arbeitsverträgen und die unterschiedlichen Honorarverrechnungen zwischen privat und staatlich Krankenversicherten, was sie stets hätten sein sollten: Randthemen, keine Fragen von Sein oder Nichtsein einer Regierung im wichtigsten Land der EU.

Zwei denkwürdige Sätze

Dennoch kam die SPD nicht zur Ruhe. Martin Schulz’ Ankündigung, den Parteivorsitz zugunsten von Andrea Nahles zurückzulegen, entschärfte die Lage nicht. Denn er wollte zumindest den Außenministerposten - jenes Amt, in dem auch unbeliebte Politiker plötzlich zum Darling der deutschen Öffentlichkeit aufsteigen. Schulz’ Vorgänger als Parteichef, Sigmar Gabriel, machte es vor.

Hätte Schulz bloß nicht am 25. September 2017 zwei denkwürdige Sätze gesprochen: "In eine Regierung von Angela Merkel werde ich nicht eintreten. Ganz klar!", sagte er am Tag nach der Bundestagswahl. Die Sätze gelten nun als eine Wendung zu viel. Erst recht für jemanden, der seine Prinzipientreue bei jeder Gelegenheit herausstreicht. Dass Schulz die SPD erst auf bedingungslosen Oppositionskurs einschwor und dann zum Vorkämpfer der großen Koalition mutierte, stieß schon vielen Genossen auf. Die Kehrtwende konnte noch unter dem Deckmäntelchen der staatspolitischen Räson verkauft werden, weil CDU, CSU, FDP und Grünen ihr "Jamaika"-Experiment abbrachen und die Sozialdemokraten in die Koalitionsbresche springen mussten.

Wie beim Sager um seine Zukunft agierte Schulz auch in Sachen Oppositionskurs taktisch höchst ungeschickt - mit Unterstützung des Parteipräsidiums. Wer sich dieser Tage über einen unfähigen Vorsitzenden im Willy-Brandt-Haus mokiert, darf jene Genossen nicht aus der Verantwortung nehmen.

Fast drei Viertel der Deutschen lehnten Schulz als Außenminister ab, selbst 60 Prozent der SPDler. "Ich kann die Gefühlswallung und manche Faust auf dem Tisch verstehen", sagte der Vorsitzende der SPD-Nordrhein-Westfalen, Michael Groschek. Die mit Abstand wichtigste Landesorganisation wird als Herzkammer der deutschen Sozialdemokratie bezeichnet. Besonders bitter für Schulz: Es ist sein Heimatverband.

In dieser ausweglosen Lage hat Schulz eingesehen, dass er der Partei zur Last fällt: "Wir alle machen Politik für die Menschen in diesem Land. Dazu gehört, dass meine persönlichen Ambitionen hinter den Interessen der Partei zurückstehen müssen", ließ Schulz am Freitag ausrichten. Er hoffe mit seinem Rückzug "gleichzeitig inständig, dass damit die Personaldebatten innerhalb der SPD beendet sind". Dafür gebührt ihm Respekt.

Eine Debatte über Inhalte, wie die Sozialdemokraten wieder mehrheitsfähig werden könnten, hat es unter Martin Schulz jedoch nie gegeben. Im Bundestagswahlkampf 2017 ging die SPD wie vier Jahre zuvor mit dem Schlagwort der sozialen Gerechtigkeit unter. Lautstark fordern Genossen daher, die SPD müsse sich wieder links orientieren. Dabei eroberte sie 1998 unter Gerhard Schröder mit einem dezidierten Mitte-Kurs das Kanzleramt von den Konservativen zurück. Dieses Spannungsfeld bleibt genauso bestehen wie die Frage, wie denn eine Mehrheit links der Mitte gebildet werden könnte. Im Westen der Bundesrepublik gilt die Linkspartei noch immer mehrheitlich als nicht koalitionsfähig. Sobald Rot-Rot-Grün in Aussicht steht, laufen die Wähler davon; zu beobachten bei der Wahl im Saarland im vergangenen März, mit der Schulz’ Abstieg anfing. Dass der inhaltliche Schub durch Schulz überschaubar ist, zeigt nun das Statement von SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil. Er verwies zum Abschied auf den Einsatz von Schulz, der sich für die Partei aufgeopfert habe. Die designierte Parteivorsitzende Andrea Nahles blickte am Freitag bereits nach vorne. Sie gehe davon aus, dass die SPD sich jetzt voll auf die inhaltliche Debatte konzentrieren könne.

Neue Chance für Gabriel?

Was aus Schulz politisch wird, ist derzeit nicht vorauszusehen. In Deutschland ist er aber so beschädigt, dass er kaum in irgendeinen Wahlkampf gehen könnte, sondern ein bestehendes Amt gehievt werden müsste. Vielleicht zieht es den früheren EU-Parlamentspräsidenten Richtung Brüssel. Das Europakapitel im Koalitionsvertrag hat er aus Sicht der SPD erfolgreich verhandelt. Konservative fürchten sich bereits davor, sie lesen aus schwammig formulierten Passagen den Beginn einer Transferunion Richtung Süden heraus.

Ausgerechnet Sigmar Gabriel könnte nun Außenminister bleiben. Für ihn, der Schulz an der SPD-Spitze Platz gemacht hatte, war, schien kein solcher im Kabinett frei. Gabriel beklagte sich zuletzt nicht nur über "mangelnde Wertschätzung meiner Arbeit", er stellte auch einen Wortbruch von Schulz in den Raum.

Ein einfacher Charakter ist Gabriel nicht, er zügelt aber mittlerweile seine Temperamantsausbrüche. Inhaltlich gilt er als Profi. Schulz fehlte gerade bei innenpolitischen Verhandlungen das Detailwissen. Außerdem macht er Politik aus dem Bauch. Das reicht für kurze Euphorie. Aber in Zeiten von Brexit, Donald Trump im Weißen Haus, Russlands geopolitischen Ambitionen und den Querelen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan auf Schulz zu vertrauen, birgt große Risiken. Diese wollte die SPD zurecht nicht eingehen.