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Die Geister der Vergangenheit

Von Michael Schmölzer

Politik
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Gerry Adams hat die Politik Nordirlands jahrzehntelang geprägt. Jetzt übernimmt eine neue Generation.


Wien/Belfast. Fast 35 Jahre stand Gerry Adams an der Spitze der katholischen nordirischen Sinn Fein, jetzt zieht er sich aus der ersten Reihe zurück. Ab Samstag ist Mary Lou McDonald (48) Chefin jener Partei, die lange als politischer Arm der Terrororganisation IRA galt. Einer Wahl stellt sie sich nicht, McDonald ist die einzige Kandidatin. Sie ist Vertreterin einer neuen Generation, einer, die mit der blutbefleckten Vergangenheit nicht mehr direkt in Verbindung gebracht wird. Sie will die Partei modernisieren und steht für einen moderateren Kurs als ihr Vorgänger.

Adams dominierte in den 80er Jahren die Schlagzeilen, mit ihm tritt jetzt ein Stück Zeitgeschichte ab: Führung bedeute, den Zeitpunkt für einen Wechsel zu erkennen, meinte er im November 2017: "Und dieser Zeitpunkt ist jetzt."

Generation der alten Kämpfer

Geboren wurde Gerry Adams als Sohn eines Hilfsarbeiters im katholisch-nationalistischen West-Belfast. Der Vater trat im Alter von 16 Jahren der IRA bei, saß gemeinsam mit zwei seiner Brüder jahrelang in Haft. Gerry Adams nahm als Jugendlicher an Straßenschlachten zwischen katholischen Nationalisten und der Polizei teil, brach die Schule ab und arbeitete als Barkeeper. Mit 18 soll er der IRA beigetreten sein und später Kommandofunktionen übernommen haben. In den 70er- Jahren saß Adams ohne Anklage im Gefängnis. Er wurde in die "Palace Barracks" am östlichen Stadtrand von Belfast gesperrt und dort misshandelt. Die damalige Linie der britischen Regierung war es, auf diese Art die IRA brechen zu wollen. Später war Adams auf dem Gefängnisschiff "Maidstone" interniert, schließlich kam er in das Lager Long Kesh, wo hunderte Nordiren saßen, die der IRA-Mitgliedschaft verdächtigt wurden. Gerry Adams traf dort auf seinen Vater und seinen Bruder Paddy.

Der scheidende Parteichef soll mit anderen IRA-Kommandeuren an der Planung von Anschlägen in Belfast beteiligt gewesen sein, unter anderem an den Attentaten des "Bloody Friday" 1972, als innerhalb einer Stunde zwischen 19 und 22 Autobomben in Belfast explodierten. Es gab neun Tote. Im Jahr 2014 wurde Adams festgenommen und zum Mord an Jean McConville befragt. Sie war 1972 entführt und ermordet worden, weil man ihr unterstellte, mit den Briten zu kollaborieren - wahrscheinlich zu Unrecht. Es sind die Geister einer gewaltsamen Vergangenheit, die Adams nicht loswird. Er selbst bestreitet bis heute, je IRA-Mitglied gewesen zu sein. Derzeit bekämpft er zwei Verurteilungen wegen Fluchtversuchs aus der Haft im Jahr 1975.

Akteur des Friedens

Adams überlebte zwei Mordanschläge militanter Protestanten. Später war er treibende Kraft bei der Entwaffnung der IRA. Er wurde mehrfach ins britische Parlament gewählt, nahm seinen Sitz aus Protest aber nie ein. Adams gilt zu Recht als einer der Architekten des Karfreitagsabkommens, das 1998 eine Machtteilung zwischen Katholiken und Protestanten festlegte und nach Jahrzehnten des Konflikts den Frieden brachte. Insgesamt waren in dem Konflikt zwischen 1968 bis 1998 mehr als 3600 Menschen getötet worden.

Seit der Brexit-Entscheidung im Juni 2016 ist die Lage in Nordirland wieder fragiler geworden. Die Koalition zwischen dem katholischen und dem protestantischen Lager ist im Jänner 2017 gescheitert, seitdem gibt es keine Regierung. Fraglich ist auch, wie nach einem EU-Austritt Großbritanniens Grenzkontrollen zwischen Irland und Nordirland vermieden werden können.